Autor Thema: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug  (Gelesen 18745 mal)

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Achamanian

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Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
« Antwort #50 am: 22.09.2011 | 10:14 »
Also, mit Nebellands Antworten finde ich das jetzt schon sehr viel verdaulicher, und mir ist klarer, was das ganze eigentlich soll. Dass die Forge-Sachen nicht wissenschaftlich sind, diesen Anspruch (meistens) auch nicht erheben, und dass diejenigen, die meinen, aus den entsprechenden Texten verbindliche Definitionen und Modelle darüber, was Rollenspiel "wirklich ist" ableiten zu können, ein gelinde gesagt problematisches Theorieverständnis haben, sehe ich alles ein.
Was zumindest bei mir das Verständnis des eigentlichen Anliegens (nämlich Rollenspielforschung zu machen) blockiert hat, ist der Umstand, dass der Eingangstext damit schließt, dass man sich von forge endlich mal verabschieden soll. Das klingt für mich erst mal wie: "Das war die alte, schlechte Art sich mit RSP auseinanderzusetzen, jetzt kommt meine neue, gute."
Dabei war und ist viel Forge-Kram als eine auf die Praxis hin betriebenes, unsystematisches Theoretisieren von bleibendem Wert. Wenn man es einfach durch eine "bessere Rollenspielforschung" ersetzen würde, würde man wahnsinnig viel praktisches, für den Spieltisch relevantes Wissen verlieren.
Offenbar ist das ja gar nicht Nebellands Intention. Es geht einfach nur um die Enttäuschung, dass das, was als Rollenspieltheorie angeboten wird, nicht seine Bedürfnisse erfüllt.

Offline asri

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Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
« Antwort #51 am: 22.09.2011 | 11:34 »
Hallo Florian,

Wenn du die Literatur nicht kennst, welche existierende Forschung meinst du dann? [keine Ironie]

Zum Beispiel so etwas:
Sarah Lynne Bowman, The Functions of Role-Playing Games
http://books.google.de/books?id=Pn3wR74wDCgC&printsec=frontcover#v=onepage&q&f=false

Herbrik/ Röhl (2007): Visuelle Kommunikationsstrategien im Zusammenspiel. Gestik im Fantasy-Rollenspiel
http://kops.ub.uni-konstanz.de/handle/urn:nbn:de:bsz:352-opus-97441

dies. (2008): Mapping the Imaginary—Maps in Fantasy Role-Playing Games
http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/1162

Meines Erachtens gab es auch mal Vorträge über RPGs bei Tagungen der Gesellschaft für Fantastikforschung - weiß ich nicht genau, ich entsinne mich nur dumpf, mal etwas in einem Tagungsprogramm gesehen zu haben. Verzeih bitte die Schwammigkeit.

Ich kenne diese Sachen nicht in dem Sinne, dass ich sie nicht gelesen habe - ebenso z.B. die Dissertationen, die in einem anderen Thread verlinkt sind. Dass ich die Literatur nicht kenne, heißt ja nicht, dass ich nicht weiß, ob es sie überhaupt gibt. Ich kenne z.B. auch ein paar Bücher noch nicht, die ich im Regal stehen habe.  ;D

Wie gesagt will ich nicht behaupten, dass Deine Aussagen über Rollenspielforschung damit falsch sind - mir fehlte nur in Deiner Argumentation der Bezug auf eben solche Forschung. Angeltheorie etc. tut hier meines Erachtens nichts zur Sache. Dass es wenig Forschung über P&P-Rollenspiele gibt, da sind wir uns einig. Allerdings überrascht mich das nicht. :)

Ich bin neugierig, wie Du da etwas ankurbeln willst. Falls Du ein paar mehr Andeutungen zu machen bereit bist, nur zu. Gerne auch per PN.

Nachtrag: Die Auswahl oben erhebt keinerlei wie auch immer gearteten Anspruch. Z.B. die Knutepunkt-Veröffentlichungen und das IJRP kenne ich auch nicht, obwohl sie gerade erst wieder im Tanelorn erwähnt wurden. Vermutlich brauche ich Dich sowieso nicht auf diese Sachen aufmerksam machen. Aber mich würde interessieren, wie Dein "Streifzug" aussähe, wenn Du sie einbezögst.
« Letzte Änderung: 22.09.2011 | 17:43 von asri »

Offline Lord Verminaard

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Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
« Antwort #52 am: 22.09.2011 | 16:24 »
Ich will ja nicht rumzanken und nehme dich beim Wort, Florian. Sicherlich lag es an mir, wenn es mir so vorkam, als rümpftest du über die Tanelorn-Theoretiker die Nase. ;)

Zitat
Wenn ich überhaupt einen Vorwurf erhebe, dann den, das spätestens ab dem "Big Model" überhaupt nicht mehr über den Tellerrand geschaut wurde. Dass nicht mehr thematisiert wurde, was mit diesen Konstrukten alles nicht erklärt werden konnte. Und diesen Schuh müsst "ihr" (wer immer das ist) euch meiner Meinung nach anziehen, ob es euch gefällt oder nicht.

Nun ja. Kritikfähigkeit war durchaus vorhanden und Kritik wurde auch formuliert. Das ist ja nicht wertlos, nur weil kein komplettes Gegenmodell entworfen wurde. Es wurden ja übrigens auch andere Sachen wie Process Model oder Design Patterns hier wahrgenommen, allerdings gaben diese keine wesentlichen neuen Impulse. Lag das nun an ihnen oder an uns? Keine Ahnung. Ich persönlich fand, das Process Model hörte da auf, wo es eigentlich erst interessant wurde. Die Design Patterns habe ich bis heute nur überflogen und schäme mich nicht, es zuzugeben. ;)
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Offline ianinsane

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Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
« Antwort #53 am: 25.09.2011 | 22:28 »
Mir ist der Unterschied zwischen Rollenspieltheorie und Rollenspielforschung nicht so ganz klar. Ich würde den Unterschied machen zwischen anwendungsbezogener Theorie, wozu ich das meiste, was in Foren veröffentlicht wird, zählen würde. Und auf der anderen Seite gibt es "beschreibende Theorie" (das ist der beste Begriff, der mir gerade dafür einfällt), die Rollenspiel aus kommunikationstheoretischer, kulturwissenschaftlicher, kunstpädagogischer Sicht etc. betrachtet. Zu letzterem gibt es allerdings schon wissenschaftliche Literatur, auch wenn sie zugegebenermaßen nicht zahlreich ist.
Dass anwendungsbezogene Theorie meistens nicht wissenschaftlichen Standards genügt, liegt einfach daran, dass es nicht als Kunstsparte anerkannt ist, die man in akademischem Rahmen lernen kann. Für andere Sparten gibt es wissenschaftliche, anwendungsbezogene Literatur, "Lehrbücher" genannt. Das hat das Rollenspiel dann tatsächlich mit Fußball oder Schach gemeinsam. Dafür gibt es auch Lehrbücher (und Foren oder Blogs; für Fußball gibts hier eine persönliche Empfehlung: www.zonalmarking.net), aber eben eher in der Form eines casual "Ratgebers".

Ich mach mal einen Extra-Thread auf, wo wir wissenschaftliche Literatur sammeln können, wäre vielleicht nicht schlecht. Ich hab so eine Datenbank jedenfalls vermisst bei der Suche nach Literatur für meine Diplomarbeit.

Humpty Dumpty

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Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
« Antwort #54 am: 25.09.2011 | 22:41 »
Ich hab so eine Datenbank jedenfalls vermisst bei der Suche nach Literatur für meine Diplomarbeit.
Hm, hier ist eine (veraltete) Liste. Und hier hatte ich einige Quellen genannt. So richtig viel mehr gibbet wohl nicht. Und hier hatte Florian mal eine Differenzierung vorgenommen, wie sie Dir eventuell vorschwebt.

Offline scrandy

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Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
« Antwort #55 am: 2.10.2011 | 02:33 »
@ Florian
Als ich deinen Post gelesen habe, war mein erster Impuls etwas ähnliches zu schreiben was ich anschließend in Vermis erstem Post gelesen habe. Aber eigentlich ist doch nicht nur die Frage, ob Rollenspielforschung wirtschaftlich und gesellschaftlich sinnvoll ist, sondern auch ob sie überhaupt zu irgendeinem Ziel führt.

Ich studiere unter anderem Englische Literatur und habe mich letztes Semester mit Narratologie beschäftigt also der Wissenschaft vom Erzählen. Da ich gleichzeitig Literatur zum Creative Writing lese, und Blogs usw. zur schriftstellerischen Praxis verfolge, fällt mir da eine Enorme Diskrepanz zur wissenschaftlichen Narratologie auf. Denn auch wenn Erzähltheoretiker durchaus sinnvoll argumentieren, systematisieren und forschen sind ihre Modelle in der Praxis, also für den Schriftsteller, Drehbuchautor und ja auch Spiele-Story-Schreiber ziemlich unnütz und gehen an der Praxis vorbei. Und dabei sehe ich eine klare parallele zur Spiele-Forschung und somit auch zur Rollenspielforschung.

Die Frage ist nicht ob es sinnvoll ist Rollenspielforschung zu betreiben. Es wird immer Leute geben die sich dafür mehr interessieren als für die Praxis und sich damit dann auch beschäftigen sollten.

Grundsätzlich finde ich aber das die Spiele-Entwickler in Deutschland als auch die Spieler mehr davon profitieren wenn praxisnahe Überlegungen angestrengt werden, die ein besseres Spieldesign oder im Falle des Rollenspiels ein bewussteres Spielen und insgesamt verbessertes Spielerlebnis zur Folge haben.

Da du gerade auch digitale Spiele ansprichst, denke ich dass unsere deutschen Entwicklerstudios durchaus von den vielen Best Practices aus der Rollenspieltheorien profitieren würden (wenn sie sie denn lesen würden). Ich würde es in diesem Fall deutlich vorziehen in Zukunft bessere Gamedesigner und bewusstere Rollenspieler zu haben anstatt gute Theoretiker die über schlechte Gamedesigner schimpfen, die ihre abstrakten Theorien dann erst recht nicht mehr verstehen und sich auch um diese nicht scheren weil eh der Massenmarkt viel wichtiger für sie ist.

In diesem Sinne gönne ich dir Sicherlich deine Forschung und gehöre mit Sicherheit auch zu denen die solche Forschung lesen würde, aber die Zeit für eigene Anstrengungen ist mir da einfach zu schade. Denn genau wie die Zeit statt in der Narratologie besser im Creative Writing investiert wäre, damit wir in Deutschland endlich ein paar bessere Bücher, Filme und Fernsehserien bekommen, so ist meine Zeit sicherlich besser im Rollenspielschreiben und im überlegen neuer Best Practices investiert. Und selbst dafür ist es schwer Gesprächspartner zu finden. Oder sagen wir besser es ist schwer Gesprächspartner zu finden die das Subthema voll durchdringen und gleichzeitig auch an einer Veränderung interessiert sind.

Wenn es für Themen wie "erzählorientiertes Kampfsystem", "Charakterentwicklung ohne Fähigkeitenverbesserung" oder "Technikern zur Erweiterung des Vorstellungsraums" (nur um mal zufällig was rauszupicken) kaum Gesprächspartner gibt, dann wirst du zu richtiger Theorie erst recht keine finden und erst recht kaum Leute die die Zeit haben das wissenschaftlich zu publizieren ohne eine Uni im Rücken zu haben die die Forschung unterstützt, die Zeit beschafft und zumindest die finanzielle Existenz sichert. Denn das ist dann nichts für mal eben nebenbei.
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Offline Marcus Johanus

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Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
« Antwort #56 am: 2.10.2011 | 07:45 »
Ich muss gestehen, dass ich die vielen Ansätze zur "Rollenspieltheorie" und auch wissenschaftliche Arbeiten dazu stets ganz bewusst ignoriert habe (obwohl ich das ein oder andere Mal auch Anfragen bekam, für eine Abschlussarbeit einen Beitrag zu leisten oder für eine Studie einen Fragebogen auszufüllen etc.). Auch ich habe ja in meinem wahren Leben Zeit an einer Uni verbracht und war eigentlich immer heilfroh, nach den Vorlesungen und unendlichen Stunden am Schreibtisch, mich an den Spieltisch setzen zu können, um mich eben nicht mehr mit "grauer Theorie" zu beschäftigen. Ich vermute einfach, dass es vielen Rollenspielern so geht, da es sich dabei ja meinem Eindruck nach um ein Hobby handelt, das eher in Akademiker- und Abiturientenkreisen verbreitet ist.

Abgesehen davon schließe ich mich scrandy an. Ich rede gerne über Rollenspiele und entwickle auch gerne Rezepte für gute Spielrunden, die aus aufaddierten Erfahrung und gemeinsamer Reflexion mit anderen Spielern entstehen. Aber wissenschaftlich ist halt was anderes - und die Frage ist doch wirklich, ob Rollenspiele das brauchen oder ob eher die Theoretiker ein weiteres Feld brauchen, auf dem sie sich austoben können. Ich befürchte Letzteres. In diesem Falle ist aber ein solches Forum tatsächlich der falsche Ort dafür.

Offline Sashael

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Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
« Antwort #57 am: 2.10.2011 | 08:32 »
Ich persönlich würde mir ja schon wünschen, dass im Bezug auf Rollenspieltheorie eine gewisse ... Öffentlichkeitsarbeit geleistet werden würde. Wenn ich den Begriff Rollenspieltheorie in meinem Bekanntenkreis der Rollenspieler auch nur einmal in den Mund nehme, wird instant darüber die Nase gerümpft. Als ob die Beschäftigung mit den sozialen und intelektuellen Hintergründen sofort das Hobby zerstören würde. Leider merkt man vielen Leuten am Spieltisch selber sehr deutlich an, dass sie ziemlich blind im Spiel herumwursteln. Dass sie manche Dinge, Spielweisen oder Techniken, die in der Theorie diskutiert wurden/werden, intuitiv beginnen, aber aus irgendwelchen Gründen dann wieder abbrechen. Als ob sie bei einem Autorennen nach einem grandiosen Start Schwierigkeiten haben, vom 3. in den 4. Gang zu schalten und irgendwann den Motor abwürgen. Das tut echt weh. Vor allem, wenn sie sich aktiv weigern, sich mit dem theoretischen Unterbau ihrer spielerischen Ansätze zu beschäftigen, weil "das nur von irgendwelche Übernerds kommt, die sonst kein Leben haben".

Da die Rollenspieltheorie aber leider fast ausschließlich in Foren und ein paar Papers behandelt wird, wird sie als irrelevant wahrgenommen.
Wenn gewisse Themen auch mal in einer "offiziellen" (mainstreamigen) Rollenspielpublikation angesprochen werden würden, könnten imho so einige Theorieverweigerer mehr Spass haben. Nämlich alle die, die am Spieltisch mit "Also das wäre doch mal eine guuuute Idee ...achneelieberdochnicht." agieren.
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Offline Beral

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Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
« Antwort #58 am: 2.10.2011 | 11:45 »
Nichts ist praktischer als eine gute Theorie.

Abgesehen davon schließe ich mich scrandy an. Ich rede gerne über Rollenspiele und entwickle auch gerne Rezepte für gute Spielrunden, die aus aufaddierten Erfahrung und gemeinsamer Reflexion mit anderen Spielern entstehen. Aber wissenschaftlich ist halt was anderes - und die Frage ist doch wirklich, ob Rollenspiele das brauchen oder ob eher die Theoretiker ein weiteres Feld brauchen, auf dem sie sich austoben können.
Die unsystematische Reflexion eigener Erfahrungen und die damit verbundene Suche nach den "Best Practices" gab und gibt es weiterhin. Aber diese Methode hat ihre Grenzen erreicht. Was damit geklärt werden konnte, ist weitgehend geklärt. Die Fragen wiederholen sich, die Antworten auch. Es gibt keine große Bewegung mehr.

Gute Theorien können helfen, unter die Oberfläche zu schauen und Schlüsselaspekte zu entdecken, die bisher nicht im Blickfeld waren. Das wird alte Fragen neu beantworten und neue Fragen aufwerfen.

Deine Frage, ob Rollenspiele das brauchen oder ob akademische Theoretiker eine neue Spielwiese suchen, finde ich berechtigt und wichtig. Ersteres würde der Rollenspielpraxis dienen, letzteres weniger. Man kann den Theoretikern nicht vorschreiben, womit sie sich befassen. Aber man kann das Ergebnis beurteilen.

Ich kann für mich sprechen: Gäbe es Antworten auf meine offenen Fragen, hätte ich keinen Grund, selbst nach Antworten zu suchen. Wenn ich theoretisiere, ist es nicht zweckfrei. Wenn ich die Motivstruktur von Spielleitern untersuchen möchte, liegt das an schlechten Erfahrungen mit Spielleitern. Ich frage mich, warum es der SL nicht besser hinbekommt. Dazu habe ich eine theoretisch hergeleitete Hypothese, die es aber noch zu prüfen gilt. Die Ausgangsfrage selbst ist total alltäglich und könnte praxisnäher nicht sein. Die Suche nach einer befriedigenden Antwort entzieht sich aber schon der Methode der unsystematischen Reflexion. Die Erklärungshypothese stammt aus empirisch belegten Theorien. Der Nachweis erfordert eine Untersuchung - die muss nicht publikationsreif sein, aber ohne Untersuchung keine Antwort auf die Hypothese. Die tiefere Durchdringung eines praktischen Problems ist hier nur mit fundierter Theorie (die schon andere aufgebaut haben) und einer einigermaßen systematischen empirischen Überprüfung (die noch zu tätigen ist) möglich.

Von Rollenspieltheorien erwarte ich also, dass sie praktisch relevante Phänomene erklären. Da müssen konkrete Ursachen für Erfolg oder Misserfolg in der Rollenspielpraxis sichtbar werden. Das ist eine Basis für zielgerichtete Interventionen / Ratschläge. Eine Sammlung von Ratschlägen ist noch keine Theorie. Über Probleme einfach irgendwie zu diskutieren führt nicht automatisch zu guten Ratschlägen. Aber aus einer guten Theorie leiten sich gute Ratschläge wie von selbst ab.
Spielertyp: Modellbauer. "Ich habe das Rollenspiel transzendiert."

"Wir führen keinen Krieg...sind aber aufgerufen eine friedliche Lösung auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen." Gerhard Schröder.

Offline ianinsane

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Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
« Antwort #59 am: 30.10.2011 | 00:45 »
Meiner bescheidenen Meinung nach können wir Rollenspiel im wesentlichen nur diskurstheoretisch verstehen. Und dann ist eine exakte Definition auf einmal gar nicht so wichtig, weil sich Rollenspiel selbst definiert. Die Büchse der Pandora sollte also am besten gar nicht erst geöffnet werden.
Der Versuch, etwas wie Rollenspiel oder Religion zu definieren, ist für mich schon selbst eine (intellektuelle) Spielerei. Ein Rätsel, das niemals gelöst werden kann.
  :d.

Das ist in etwa auch der Standpunkt, den Jonne Arjoranta in seinem sehr hilfreichen IJRP#2-Artikel "Defining Role-Playing Games as Language-Games vertritt. Wissenschaftlich, Heidegger zitierend und selbst zitierfähig. :)

Zum Umgang mit Forge-Theorie, die ich selbst ebenfalls als in vielfältiger Hinsicht überhaupt nicht ausreichend erachte, kann ich außerdem J. Tuomas Harviainens Artikel "A Hermeneutic Approach to Role-Playing Analysis" empfehlen. Er beklagt die unterschiedlichen Rollenspielparadigmen, die einander bekämpfen und sich kanonisieren, also "verhärten" und schläft stattdessen eine Lesart vor, die das ständige Hinterfragen seines eigenen Paradigmas vorsieht, den Verzicht auf Exklusivität der eigenen Paradigmen und die Anerkennung und Fruchtbarmachung anderer Paradigmen. In IJRP #1.

Ich bin überrascht, hier im Forum fast ausschließlich auf die amerikanische ("Forge") Theorieschiene zu stoßen, während die skandinavische kaum auftaucht. Diese bemüht sich meinem Empfinden nach nämlich sehr viel stärker um akademische Verzahnung und damit wissenschaftlichen Anspruch. Das IJRP ist sicher zuallererst das Ergebnis der skandinavischen Theorieschiene.

Ich studiere unter anderem Englische Literatur und habe mich letztes Semester mit Narratologie beschäftigt also der Wissenschaft vom Erzählen. Da ich gleichzeitig Literatur zum Creative Writing lese, und Blogs usw. zur schriftstellerischen Praxis verfolge, fällt mir da eine Enorme Diskrepanz zur wissenschaftlichen Narratologie auf. Denn auch wenn Erzähltheoretiker durchaus sinnvoll argumentieren, systematisieren und forschen sind ihre Modelle in der Praxis, also für den Schriftsteller, Drehbuchautor und ja auch Spiele-Story-Schreiber ziemlich unnütz und gehen an der Praxis vorbei. Und dabei sehe ich eine klare parallele zur Spiele-Forschung und somit auch zur Rollenspielforschung.

Ich möchte mal behaupten, dass das nur auf das Verhältnis Literaturwissenschaft/populäre bzw. kommerziell erfolgreiche Literatur zutrifft. In der progressiven Avantgarde sieht es da ganz anders aus. Im Theater ist es bspw. so, dass die künstlerische Avantgarde sehr im Austausch steht mit der aktuellen wissenschaftlichen Theaterforschung.
Und hier liegt auch der Hund begraben, was die Rollenspielwissenschaft im deutschsprachigen Raum betrifft. Ich habe den Eindruck, dass hierzulande sehr sehr wenig geht, was wirklich progressives Rollenspiel und lebendiges Experimentieren angeht, insbesondere im Vergleich zu Skandinavien (Freeform, Jeepform, Hippieetc., aber auch rpg-inspirierte Kunst wie z.B. SIGNA). Das bedeutet auch, dass sich hier Rollenspielavantgarde und Rollenspielwissenschaft nicht gegenseitig befruchten können und beides de facto nichtexistent bleibt. Man müsste an beidem ansetzen.

An dieser Stelle möchte ich auch mal auf das relativ neue "Playground Magazine" hinweisen, das wie ich finde sehr interessante Themen aus dem Bereich progressives Rollenspiel beinhaltet. Da findet man erst mal die Themen, die zu (zumindest kultur- bzw. kunst)wissenschaftlicher Untersuchung reizen.

Dann noch eine Anmerkung: Florian, ich treffe in deinen Posts immer wieder auf die Behauptung, dass es keine akademische Spielwissenschaft gäbe. Das stimmt doch nicht. Es gibt die Ludologie mit Vertretern wie Huizinga, Sutton-Smith, Caillois, Goffman, Juul etc. mit Verbindung in die Ritualtheorie bei Turner, Geertz, van Gennep, Schechner oder zu Csikszentmihalyi. Und viele der mir bekannten wissenschaftlichen Arbeiten zu Rollenspielen schließen daran an.

Jan

EDIT: Schreibfehler raus...
« Letzte Änderung: 30.10.2011 | 09:46 von ianinsane »

Humpty Dumpty

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Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
« Antwort #60 am: 30.10.2011 | 08:38 »
Cooler Post. Den Teilen, die ich inhaltlich beurteilen und nachvollziehen kann, schließe ich mich an. Den Artikel von diesem Harviainen fand ich beispielsweise auch ziemlich gelungen. Vom Playground Magazine hatte ich noch nie gehört. Das schaue ich mir gerne mal an. Danke. Auch Deinen Eindruck, dass das Tanelorn stark Forge-beeinflusst ist und die Skandinavier über Gebühr ignoriert werden, teile ich und kann ebenfalls nicht fassen, woran das liegt. Nur in einem würde ich widersprechen:

Dann noch eine Anmerkung: Florian, ich treffe in deinen Posts immer wieder auf die Behauptung, dass es keine wissenschaftliche Spielwissenschaft gäbe. Das stimmt doch nicht. Es gibt die Ludologie mit Vertretern wie Huizinga, Sutton-Smith, Caillois, Goffman, Juul etc. mit Verbindung in die Ritualtheorie bei Turner, Geertz, van Gennep, Schechner oder zu Csikszentmihalyi. Und viele der mir bekannten wissenschaftlichen Arbeiten zu Rollenspielen schließen daran an.
Ich kenne die meisten der den genannten Namen zugehörigen Arbeiten ehrlicher Weise nicht. Huizinga, Sutton-Smith und Caillois sind selbst mir aber schon mal untergekommen. Und ein Konzept wie Flow würde ich nicht in den engeren Dunstkreis von Spieleforschung stellen. Will sagen: gemessen an der gesellschaftlichen Bedeutung von Spielen ist das theoretische Fundament bemerkenswert dünn. Und sowas in der Art lese ich korrekter Weise bei Florian heraus. Passt also.

Offline Lord Verminaard

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Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
« Antwort #61 am: 30.10.2011 | 10:11 »
Ja, es ist halt historisch so gewachsen. Im Wesentlichen ist Fredi der Elch schuld. >;D Es gab halt ein paar Leute hier, die sich so zwischen 2004 und 2006 auch aktiv an der Forge beteiligt haben, auch ein paar der Leute persönlich kannten, bei Projekten mitgemacht haben etc. Zuerst kannte man nichts anderes, dann war man beschäftigt, und dann hatte man kein Interesse mehr. Oder sagen wir, mildes Interesse aber keine Lust, sich das zu erarbeiten. Das hätten dann eben andere beisteuern müssen, hätten Missionsarbeit für die Skandinavier leisten müssen, wie es Fredi (und dann später andere, die er missioniert hatte) für die Forge getan haben. Und das beinhaltet eben mehr, als nur hin und wieder ein paar Links zu posten.
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Humpty Dumpty

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Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
« Antwort #62 am: 30.10.2011 | 10:21 »
Klingt ziemlich plausibel.

Offline ianinsane

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Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
« Antwort #63 am: 30.10.2011 | 10:36 »
Klaro.
Die populärkompatible Mission im Dienste der Wissenschaft (oder wie auch immer mans definieren möchte) ist ja auch ein hartes Brot.

In anderen Künsten ist es häufig eher so, dass die wissenschaftliche Forschung über die Avantgarden in die Praxis eingeht und von den Avantgarden dann langsam und portionsweise in den populären Bereich abfärbt.

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Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
« Antwort #64 am: 30.10.2011 | 19:57 »
Es können auch mehr Leute englisch als eine der skandinavischen Sprachen. Zudem ist der FORGE-Kram auch nicht gerade akademisches Hochreck. Ohne die skandinavischen Erkenntnisse zu kennen (mit Ausnahme der in IJRP veröffentlichten Artikel) ist der FORGE-Diskurs, ähm, zugänglicher, da etwas anspruchloser.

Offline ianinsane

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Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
« Antwort #65 am: 30.10.2011 | 20:02 »
Es können auch mehr Leute englisch als eine der skandinavischen Sprachen. Zudem ist der FORGE-Kram auch nicht gerade akademisches Hochreck. Ohne die skandinavischen Erkenntnisse zu kennen (mit Ausnahme der in IJRP veröffentlichten Artikel) ist der FORGE-Diskurs, ähm, zugänglicher, da etwas anspruchloser.
Meiner Erfahrung nach läuft der skandinavische Diskurs in der Öffentlichkeit ziemlich vollständig auf Englisch. Kann ja nicht jeder Finne Dänisch oder jeder Schwede Norwegisch. Bezüglich des Anspruchs stimme ich dir aber zu.

Hier ist übrigens ein sehr interessanter Vortrag von Tobias Wrigstad über Jeepform-Spiele an der IT University Kopenhagen. Ich finde, er demonstriert sehr gut, wie Theorie und experimentelle Praxis sich gegenseitig befruchten können.

Ich weiß, sorry, schon wieder nur ein Link. Für mehr fehlt mir momentan die Zeit. Aber dafür gibt es hoffentlich, wenn meine Diplomarbeit fertig ist, einen ganzen Batzen mehr.

Offline Heinzelgaenger

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Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
« Antwort #66 am: 4.11.2011 | 22:53 »
Zunächst zu den anderen Theorien:

Fussballtheorie - der Proletarier Kampfsport Nr.1 hat "0" Bedarf für eine Theorie, oder überhaupt für irgendwelche Theoriegebäude.
Mir scheint, die Fans, die Profis, die Lobby verspüren keine Lust, auch nur mit dem Fingernagel an der Oberfläche zu kratzen. Wie beim Spielgerät selber ist die Aussenfläche die Projektionsfläche für die Leidenschaften, alles andere wird als verhirnt und spassraubend empfunden.
Daher werden Laufwege, Trainingslehren, Strategien uä nur mit sehr breitem Pinsel gezeichnet, sinnvolle Neuerungen werden so bereitwillig konzipiert wie im Vatikan, und niemand juckts.

Schach - leuchtet mir nicht ein.
Es mag eines der ältesten und beliebtesten Spiele sein, aber es ist nicht komplex. So können Computer heutzutage auf allerhöchstem Niveau spielen.
Undenkbar fürs RPG, es ist nicht zu warten, bald einen Androiden oder eine KI als Ersatzspieler kaufen zu können.
Schachtheorie ist etwas gänzlich anderes als Fussball- oder RPG Theorie. Vom Faszinosum an sich mal abgesehen.

Zitat
An diesem Punkt halten wir kurz inne und überlegen mal, warum es eigentlich bei Schachspielern im Vergleich zum Fußball keinen Sturm der Entrüstung gibt, keine "Traditionalisten", wenn jemand mit "Schachtheorie" um die Ecke kommt. Zum Teil haben wir das oben bereits beantwortet: Schach ist ohne zumindest einen Ansatz von Theorie praktisch kaum spielbar. Zum klassischen Bolzen dagegen brauche ich zwei gesunde Beine und eine Handvoll Mitspieler. Keine Theorie. Um meinen Fußballverein zum beherrschenden Thema meines Lebens zu machen, brauche ich Bier und eine Fahne. Keine Theorie.

?
In beiden Fällen ist ein klares Regelwerk vonnöten. Fussball hat da im übrigen noch mehr Regeln als Schach, insofern kann ich dem Absatz nicht zustimmen.
Allerdings gibt es in Schach keine physische Komponente, der Raum, in dem Schach agiert, ist virtuell. Das ist der grosse Unterschied und er bringt einen Berg an Implikationen mir sich.

Puppenspieltheorie, Designtheorie etc sind wieder völlig andere Baustellen.
Schach und Fussball sind fest unter der Kategorie Spiel einzuordnen und treffen Design, Puppespiel uä erst (wenn überhaupt) auf einer sehr übergeordneten Ebene.

Die Forge hat ein paar feine Texte ins Netz gestellt, die ich zwar ebenso kritisch betrachte -da ich einige Dinge fundamental anders sehe- aber dennoch ist es wohl das gelungenste auf dem Gebiet RPG.
Zweifelsohne wird es diejenigen inspirieren, die sich im Bestreben aufmachen, bessere Theorien zu verfassen - von diesen ist Einzelgänger übrigens einer.

Wünschenswert wäre es, eine funktionelle RPG-Theorie in eine ebenso funktionelle Spieltheorie einzugliedern.
Das ist meines Erachtens machbar.

Und der Post erklärt überhaupt nicht, warum das niemals zu schaffen ist, er kapituliert nur vor Obrigkeiten, die hier quer aus allen Richtungen zitiert werden.


Offline ianinsane

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Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
« Antwort #67 am: 27.11.2011 | 21:08 »
Hier ist übrigens ein sehr interessanter Vortrag von Tobias Wrigstad über Jeepform-Spiele an der IT University Kopenhagen. Ich finde, er demonstriert sehr gut, wie Theorie und experimentelle Praxis sich gegenseitig befruchten können.

Wäre natürlich cool, zu erfahren, ob sich noch jemand den Vortrag angesehen hat und was er_sie darüber denkt...
(da lob ich mir doch facebook...)