Autor Thema: Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf  (Gelesen 39349 mal)

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Offline Turning Wheel

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« am: 7.12.2011 | 14:54 »
Praktisch alle Kampfsysteme, die ich kenne lösen nur extrem grob auf oder haben gar keine Regeln zur Kampfmoral.
Deshalb ist für mich eine Debatte über perfekten Kampf in konkret existierenden Regelsystemen fast lächerlich, weil das Thema eigentlich DAS Thema im Kampf ist, welches ein extrem großes (wenn nicht oft das größte) Entscheidungsgewicht hat.
Oder kennt jemand ein System, wo es vergleichbar zur technischen Waffenanwendung ähnlich detaillierte Regeln gibt, wie die Kampfmoral auf die Kampfhandlungen Einfluss nimmt.
Also nicht nur die Unterscheidung in "darf oder darf nicht angreifen" (wie z.B. Cuddelhu und Konsorten) sondern eine genauere Regelung von Handlungsoptionen aufgrund psychologischer bzw. führungstechnischer Effekte. Und damit meine ich anständige Regeln wie in diversen Cosims  (z.B. ASL) oder Tabletops, und nicht irgendwelche lustigen Zufallstabellen (wie z.B. in Warhammer oder Space Gothic).

Offline Waldgeist

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #1 am: 7.12.2011 | 15:00 »
Für mich ist Kampfmoral etwas, dass nicht durch Regeln abgedeckt werden muss. Jeder Beteiligte sollte selbst entscheiden, worum es ihm in einem Kampf geht und wie weit er gehen will. Wenn das Kampfsystem mit entsprechenden gesundheitlichen Konsequenzen und das Setting mit entsprechenden solzialen Folgen daherkommt, sowie der Charakter ordentliche Motivationen besitzt, reicht mir das vollkommen, um zu entscheiden, ob ich in den Kampf ziehe/mich ihm stelle, mich ergebe/zurückziehe/um Gnade winsel, eher aggressiv oder eher defensiv kämpfe, etc. Diese Entscheidung will ich nicht verregelt sehen.
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Offline OldSam

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #2 am: 7.12.2011 | 16:14 »
Was die Kampfmoral angeht sind die wichtigsten Fragen IMHO ohnehin die nach den "Einschränkungen" bzw. "Grenzen" und "Schwächen" von Charakteren - diese Dinge gehen den Kampfregeln noch voraus und werden ja heute bei mehreren Systemen (wie auch GURPS schon seit langem) über Nachteile geregelt.
- Kann der Charakter vielleicht aus religiösen Gründen generell nicht töten? Hat er große Probleme das Risiko einzugehen einen Unschuldigen zu verletzen?
- Gibt es Traumata o.ä. die häufig so etwas wie eine Schockstarre auslösen, wenn er emotional von der plötzlich aufkommenden Gewalt überwältigt wird?
- Hat er/sie vielleicht besondere Angst vor bestimmten Kreaturen oder kann schon den Anblick einer blutigen Klinge nicht verkraften?
- Ist der Charakter vielleicht generell feige und rennt bei Gefahr lieber davon als seinen Kameraden zu helfen?
- Oder sucht er im Gegenteil stets die extremsten Gefahren, ist vielleicht sogar lebensmüde...?
- usw. usf.

- Bei bestimmten Situationen geben viele Systeme außerdem etwas wie Willenskraftproben/Fright Checks an die Hand, beispielsweise kommen die Chars nichts ahnend um eine Ecke und überraschend taucht plötzlich vor ihnen eine übel entstellte, kopflose aber aufrecht gehende Leiche auf und attackiert sie mit einer Axt. Typischerweise klar, dass dann ein Check gerechtfertigt ist, ob der ein oder andere das Weite sucht, wenn sie das nicht schon so machen... ;)

Grundsätzlich sehe ich das aber auch so wie Waldgeist, es sollte nicht soviel geregelt werden, dass es die Spielerfreiheit begrenzt! Die Regeln sollten IMHO quasi nur nochmal eine "Bekräftigung" der jeweiligen Charakterzüge darstellen, der Spieler sollte dann natürlich selbst entscheiden können, ob er "dagegen ankämpft", sowieso 'freiwillig' seinen Schwächen nachgibt oder vielleicht irgendeine ganz andere Kompensationshandlung versuchen möchte...


Für ein RPG, nicht ein Wargame(!), scheint es mir dagegen überhaupt nicht sinnvoll, zu argumentieren, dass der SC z.B. zwingend wegrennen müsste, weil er jetzt auf einmal statt von zwei nun gleich von vier Orks angegriffen wird! Die Entscheidung über das Risiko sollte IMHO schon der Spieler selbst treffen, zumal das ja auch vom Setting abhängt (z.B. dirty&bloody oder heroisch) etc.

edit PS: In der Tat können können solche Regeln für NSCs durchaus sinnvoll sein, aber meist fällt der SL ja sowieso selbst eine dramaturgische oder dem Gegnertyp angemessene (psychologische) Entscheidung über deren allgemeine "Taktik", insofern ist eine Verregelung nicht wirklich nötig IMHO.

« Letzte Änderung: 7.12.2011 | 16:36 von OldSam »

Offline tartex

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #3 am: 7.12.2011 | 16:18 »
Selbst wenn man die Spieler als Helden ausnimmt, wären NSCs und Gegner sicher leicht über solche Regeln abzudecken.
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Offline YY

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #4 am: 7.12.2011 | 17:37 »
Wenn ich euch richtig verstehe, dann löst ein "perfektes" Kampfsystem also alle Handlungen auf einem gleichen AUflösungsniveau auf?

Das ist für mich ein Kriterium für ein gutes Kampfsystem, ja.

Daher benötigt ein wirklich gutes KAmpfsystem die Option indiwiduell 'heranzuzoomen' und lokal unterschiedliche Detailgrade aufzulösen.

Das kann jedes in allen Bereichen detaillierte Kampfsystem, nämlich durch Vereinfachung an den jeweils gewünschten Stellen.

Problematisch wird es dann, wenn irgendwo ein anderen Bereichen vergleichbarer Detailgrad gefordert wird, den das System aber genau an dieser Stelle nicht liefern kann.


Praktisch alle Kampfsysteme, die ich kenne lösen nur extrem grob auf oder haben gar keine Regeln zur Kampfmoral.
Deshalb ist für mich eine Debatte über perfekten Kampf in konkret existierenden Regelsystemen fast lächerlich, weil das Thema eigentlich DAS Thema im Kampf ist, welches ein extrem großes (wenn nicht oft das größte) Entscheidungsgewicht hat.

"Kampfmoral" ist ein sehr weit gefasster Begriff.

Wenn man das entsprechend aufschlüsselt, finden sich einigermaßen brauchbare Regelungen in vielen Systemen.

Wie schon angeklungen, wird das oft eine Ebene höher als Nachteil o.Ä. verwurstet und zum Teil über Furchtwürfe etc. abgehandelt.

Der default ist i.d.R. der, dass Spielercharaktere eine sehr hohe Kampfmoral haben und eine abweichende Darstellung in der Hand des Spielers liegt - in Sachen Spielspaß über alle Spielstile mMn die sinnvollste Variante.

Also nicht nur die Unterscheidung in "darf oder darf nicht angreifen" (wie z.B. Cuddelhu und Konsorten) sondern eine genauere Regelung von Handlungsoptionen aufgrund psychologischer bzw. führungstechnischer Effekte.

Ich halte eine Unterteilung auf der individuellen Ebene, die über "darf handeln, darf nicht handeln, flieht" hinausgeht, für nicht sinnvoll.
Das bildet das Ganze mMn ausreichend ab. 

Was die geforderte Liste von Handlungsoptionen angeht - da bewegt man sich ganz schnell vom Thema Kampfmoral weg und kommt zu Geschichten wie Tunnelblick/Task fixation und Zurückfallen auf automatisierte Handlungsweisen etc. pp..

Auch hier ist der mMn sinnvoll gestaltete default der, dass zunächst alle Beteiligten viel Übersicht und Wahlfreiheit haben und Abweichungen gesondert umgesetzt werden (können).

Letzteres kann im Prinzip jedes System leisten, nur ist der Aufwand viel zu groß, um sich unterm Strich für den zweifelhaften Gewinn einer verbindlichen Regelung solcher auch IRL recht schwammiger Sachen die eigene Wahlfreiheit und damit für viele Spieler verbunden auch den Spielspaß einzuschränken.

Hier muss mMn ein gruppenweiter Konsens bestehen, wie das Ganze dargestellt werden soll, und in dem Moment braucht es keine gesonderten Regeln mehr.
"Kannst du dann bitte mal kurz beschreiben, wie man deiner Meinung bzw. der offiziellen Auslegung nach laut GE korrekt verdurstet?"
- Pyromancer

Offline Turning Wheel

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #5 am: 7.12.2011 | 19:49 »
YY, ich habe das Thema Kampfmoral aufgebracht, weil einige hier sich über das Detaillierungsgefälle in vielen
Spielen unterhalten haben. Aber hier scheint das Argument plötzlich keine Gültigkeit mehr zu haben.

Die Ansätze, die aus Spielen aufgeführt wurden (z.B. Vor- und Nachteile usw.) treffen auch gar nicht die Dimension,
von der ich gesprochen habe. Es geht mir nicht um spezielle Situationen, wo jemand pfeifend um die Hausecke läuft
und plötzlich dem leibhaftigen Nurgle gegenübersteht, sondern um die ganz normale Auseinandersetzung, wo Kampfmoral
ebenso eine Rolle spielt, weil sie praktisch immer eine Rolle spielt, sobald die Situation für eine Seite entgleist (und das
ist irgendwann in einer Kampfsituation immer so, wenn nicht eine plötzliche Kampfunfähigkeit auftaucht).

Die Antworten auf die Frage (vor allem von Dir und Waldgeist) sind natürlich auch bezeichnend. Natürlich leidet der
Spielspaß drunter, wenn jemand etwas nicht machen kann, aber mei, das ist doch bei jedem misslungenen Würfelwurf
so. Warum sehen sich die Spieler gerade durch Einschränkung der charakterlichen Kampfeswut so in ihrer Entscheidungsunnabhängigkeit beeinträchtigt?
Ich kann es sagen. Es hat etwas mit der ursprünglichen Menschwerdung durch das "sich Umdrehen und werfen" (Sloterdijk) zu tun, aber ich hätte das Thema nicht angesprochen, wenn nicht zwei Argumente dagegen sprechen würden:

1. Meine Erfahrung:
Als einigermaßen erfahrener Spielleiter weiß ich, dass die Kampfentscheidungen mit Abstand der meisten Spieler
beim Kampf so abseits realer Kampfmechanismen liegen wie sonst kaum etwas. Die momentane Situation des Kämpfenden wird im Gegensatz zur Realität z.B. normalerweise immer Agressiver, je schlimmer die Situation zu den eigenen Ungunsten steht. Viele Kampfregeln betrachten das "sich vom Gegner lösen" auch ziemlich stiefmütterlich, weil es nicht so wirklich vorgesehen ist. Vorgesehen ist, dass sich heldenhafte und versteckt überlegene Charaktere gegen strohdumme Draufhaumonster in den Kampf werfen, bis das Monster tot am Boden liegt. Abweichungen von diesem Programm sind weder von Spielern, noch von SLs noch von Regeldesignern so richtig erwünscht, allenfalls geduldet (Ausnahmen bestätigen die Regel ;) ).
Regelsysteme wo es um dynamische Konflikte auf Augenhöhe und nicht ums monotone siegen geht sind meiner Erfahrung nach eher selten.
Rollenspieler (und damit meine ich auch die NSCs des SL) handeln meistens überhaupt nicht so, wie es eigentlich von
simulativem Kampf erwartet werden würde, was mich zum 2. Punkt bringt:

2. Der Simulationsanspruch:
Es soll ja tatsächlich Leute geben, denen die exakte Simulation von Kampf (und zwar dann bitte auf jeder Ebene gleich tief) außerordentlich wichtig ist (z.B. Luftabdrücken vs. Blutabdrücken). YY, du hast ja weiter oben eine konsistente Kampregelung gefordert.
Dann würde ich aber auch erwarten, dass Kampfmoral ein Thema ist, das in dieser Tiefe verregelt ist. Aber hier scheiden
sich plötzlich die Geister. Wo bleibt denn dann der konsequente Anspruch?
Aber sei's drum, ob du persönlich Simulationist bist oder nicht, es soll sie da draußen ja geben, bzw. es soll Spiele geben, die als simulationistisch bezeichnet werden. Vor allem dort vermisse ich die taktische Tiefe in diesem Teilaspekt des Kampfes.

Das ganze ist insofern ein ganz sensibles Thema bei Rollenspielern, weil viele den Tod des Charakters dem Ausspielen einer persönlichen kämpferischen Unterlegenheit vorziehen. Bevor sie eingestehen müssen, dass sie "nicht Recht hatten", verlassen sie lieber den Tisch bzw. das Spiel. Zumindest habe ich den starken Eindruck, dass es eine ganze Menge Spieler da draußen gibt, die weit davon entfernt sind, das Verlieren im Spiel kompensieren zu können bzw. es gibt ja eine ganze Menge von Spielern (da will ich mich nicht ausschließen), die das Hobby Rollenspiel unter anderem (!) betreiben, um etwas zu kompensieren. Und deshalb ist das Kämpfe Verlieren auch so unerwünscht.

Der perfekte Kampf bedient mehr oder weniger das, was der jeweilige Spieler kompensieren möchte. Nur so eine Theorie.
« Letzte Änderung: 7.12.2011 | 20:06 von Das Nichts »

ErikErikson

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #6 am: 7.12.2011 | 20:04 »
Naja, ich nehm mal D&D. Da ist es vom Genre her nicht vorgesehen, das Spieler aus was anderem als taktischen Gründen flüchten. Schau dir nur mal die Bilder an. Wenn mein Uberkrieger hier auf Moral würfeln müsste, käm ich mir verarscht vor.

Bei Cthulhu gibt es keine Kampfmoral. Der Spieler flüchtet oft und gern aus eigener Entscheidung. Kampfmoral einubauen, wäre sogar schlecht, weil es IMHO den grusel erhöht wenn mna aus eigener Entscheidung flüchtet.

Bei GURPS sollte es auf jeden Fall Kampfmoral detailiert geben, das finde ich auch. 

Offline xergazz

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #7 am: 7.12.2011 | 20:30 »
In genau welchen Situationen ist es denn sinnvoll, dem Spieler zu vermitteln, dass der Held seiner Vorstellung ne Memme ist? Mal ganz davon abgesehen, dass jetzt alle NAR Spieler sich die Haare ausreißen, wenn sie hören, dass Spieler- und damit Plotentscheidungen zugunsten einer Simulation von Moral weggeregelt werden. Aber das ist wie du bereits angedeutet hast geschmackssache. Vielleicht gibt es ja Spielleiter da draussen, die diese Regeln sehr begrüßen würden, damit die Helden nicht ständig die kewlen NPC's plattmachen.
« Letzte Änderung: 7.12.2011 | 20:36 von xergazz »
Es ist ganz einfach. [...] Diskutiert nicht. Diskutiert bitte auch nicht über denn Sinn des Threads.

Offline Turning Wheel

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #8 am: 7.12.2011 | 21:19 »
Stimmt xergazz, Vielleicht ist es ja so, dass selbst die eingefleischten Simulationisten insgeheim doch auch kleine Narrativisten sind, wenn es um ihre uneingeschränkte Kampfwut geht.
Vielleicht weil Rollenpiel von manchen ein Stück weit gemacht wird, um die eigene Agression zu kanalisieren?
Das würde auch erklären, warum da draußen so viele Rollenspiele rumdümpeln, deren Kampfregeln im Detailgrad alles
andere ihrer Regelkapitel in den Schatten stellen und das gesamte Setting so aufgebaut ist, dass die Spieler von einem
Kampf in den nächsten stolpern.

Das ist keine Kritik. Jeder soll machen was er will.
Was ich allerdings anmerken will, ist dass vielleicht eine ganze Menge Leute genau das nicht wollen (weil sie es nicht brauchen) und einerseits die Rollenspielindustrie damit vielleicht ganze Zielgruppen von potenziellen Kunden gar nicht im Blickpunkt hat und weil andererseits in den kampf-fokusierten Spielen auch eine ganze Menge von anderen Plotmöglichkeiten verschenkt werden, an denen vielleicht auch die bestehenden Zielgruppen (mehr) Spaß haben könnten.

Meine Theorie bzgl. des wahren Kämpfers ist ja immer noch, dass er sich vor allem immer dann als wahrer Kämpfer fühlt, wenn der Konflikt nicht durch Kampf gewonnen wird. Das ist zumindest meine intensive Langzeitbeobachtung bei Kämpfern in der Realität und entspricht meinen Beobachtungen der letzten Jahre im Rollenspiel. Der wahre Kämpfer ist es erst dann, wenn es bei allen Anwesenden außer Frage steht, dass er es ist. Das Heldenbild wird in dem Moment immer wieder zerstört, wenn ein Dummbatz hinter der Kiste vorspringt und es nicht anerkennt (egal wie chancenlos er sein mag). Und es stellt sich auch nicht so wirklich ein, wenn er tot am Boden liegt (vor allem wenn er weitgehend chancenlos war). Der armselige Ersatz für das Gefühl sind dann ein paar billige EPs. Das macht den wahren Kämpfer genauso wenig glücklich wie die Blondine vom Shopping. Es ist immer nur eine Ersatzbefriedigung.
Die ganz harten Haudraufs wollen eigentlich gar nicht immer drauf hauen, wenn das Gefühl des wahren Kämpfers wirklich erreicht wird. Aber diese Dimension, die noch geiler ist, wird von SLs gar nie abgebildet. Das liegt teilweise an den Regeldefiziten, von denen ich gesprochen habe, aber vor allem, dass sie meistens die Ursache des Gefühls nicht kennen. Ich würde meine neue Art der Spielleitung als größten Durchbruch für mich selbst bezeichnen, seit ich Rollenspiele leite. Vor allem deshalb, weil die Hardcore-Slayer in meinem spielerischen Umkreis vom Gefühl des wahren Kämpfers immer wieder deutlich mehr beeindruckt sind als vom absoluten Sieg durch Totschlag.
« Letzte Änderung: 7.12.2011 | 21:25 von Das Nichts »

ErikErikson

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #9 am: 7.12.2011 | 21:22 »
Erinnert mich an das Konzept des Shojo Spielstils in BESM 3rd Edition. Da ist ein kleiner Artikel drin, der deinen Punkt schön verdeutlicht. 

Offline xergazz

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #10 am: 7.12.2011 | 21:41 »
Mal ganz unabhängig von den Law'schen Idealen bin ich da voll deiner Meinung. Leider ist es so, dass dem Kampf in den meisten Systemen eine größere Bedeutung zukommt als anderen Teilen der Geschichte. Dabei will sicherlich keiner die Stricken-Probe bis in den Exzess ausgewürfelt und -gespielt haben. Das Ziel sollte eher sein, den anderen Konflikten eine ebenbürtige Gewichtung zu geben. Sprich: den moralischen Konflikten des Helden, der entwicklung seiner Ideale, seines gesellschaftlichen Ranges, soziale Konflikte oder einfach die Abbildung eines Wettstreits zwischen zwei Rivalen.

Was ich allerdings nicht verstehe ist, wie die Moralregeln dabei helfen sollen. Da sie den Spieler in seinen Handlungen eher einschränken, anstatt ihm Werkzeuge an die Hand zu geben, einen Konflikt dramatisch oder spannend aufzubauen. Sie überladen doch eher noch einen Teil des Systems (nämlich den Kampf) mit noch mehr Sonderregeln.

Deine vorgeschlagene Vertiefung von Moral im Kampf und deine Kritik an der Dominanz des Kampfes sind für mich zwei verschiedene paar Schuhe. Aber vielleicht hab ich dich auch falsch verstanden und du verfolgst an dieser Stelle gar keine Argumentationskette. In dem Falle: Nevermind
Es ist ganz einfach. [...] Diskutiert nicht. Diskutiert bitte auch nicht über denn Sinn des Threads.

Taschenschieber

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #11 am: 7.12.2011 | 21:51 »
Kämpfe sind nun mal im besten Falle spannend, actionreich und wirklich plotrelevant (wenn du stirbst, isses aus). Daher erfreuen sie sich auch so großer Beliebtheit und nehmen einen so großen Raum in vielen RPGs ein.

Offline Turning Wheel

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« Antwort #12 am: 7.12.2011 | 22:15 »
Deine vorgeschlagene Vertiefung von Moral im Kampf und deine Kritik an der Dominanz des Kampfes sind für mich zwei verschiedene paar Schuhe. Aber vielleicht hab ich dich auch falsch verstanden und du verfolgst an dieser Stelle gar keine Argumentationskette. In dem Falle: Nevermind

Die Kampfmoral sorgt insofern für weniger Dominanz, als dass Kämpfe nicht immer bis zum Tod ausgefochten werden (von beiden Seiten nicht) und es nach dem Kampf überhaupt noch eine soziale Auseinandersetzung geben kann. Und sie sorgt vielleicht auch dafür, dass er erst gar nicht gestartet wird. Beides sorgt etwas für eine Verlagerung weg vom Kampf und hin zum Sozialen.
Der andere große Punkt beim Kampf für mich, den ich weiter vorne im Thema schon erwähnt habe, ist die regeltechnische Möglichkeit einer echten Bedrohungssituation. Und das ist der Punkt, der den wahren Kämpfer betrifft. Er stellt selbst eine Bedrohung dar, die wahrgenommen werden will.

Und du hast schon Recht, das muss nicht unbedingt geregelt sein. Eigentlich kann man das als SL (und Spieler) auch einfach so machen. Aber wenn es handfeste Regeln dafür gibt, dann ist es auf jeden Fall Teil der Settingmöglichkeiten und auf dem Radar des SL (und eventuell der Spieler).
Man darf nicht vergessen, dass Spielregeln so etwas wie eine Hilfe für den SL darstellen, mit denen er ohne weiteres Vorwissen den Spielern eine bestimmte Spielerfahrung vermitteln kann oder soll. Das gilt ausnahmslos für alle Spielregeln.


Offline Naldantis

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #13 am: 7.12.2011 | 22:43 »
Praktisch alle Kampfsysteme, die ich kenne lösen nur extrem grob auf oder haben gar keine Regeln zur Kampfmoral.
Deshalb ist für mich eine Debatte über perfekten Kampf in konkret existierenden Regelsystemen fast lächerlich, weil das Thema eigentlich DAS Thema im Kampf ist, welches ein extrem großes (wenn nicht oft das größte) Entscheidungsgewicht hat.

Ist im RPG in den allermeisten Fällen bedeutungslos, weil die Entscheidung über den Willen ihrer Charaktere bei den Spielern liegt - sie entscheiden, ob der PC ein harter Veteran oder ein Feigling ist, wann er Panik bekommt und fliehen oder aus Wut seine Angst überwindet; ...und das sollte man Ihnen auch besser nicht nehmen; dito der SL für die paar beteiligten NSCs.
Ausnahmen sind natürlich Massengefechte, ...aber dafür haben die meisten RPGs doch durchaus Moralregeln.
 
Zudem halte ich es für schlict unpraktikabel, die ganze Breite von charakterlichen Optionen auf Werte abzubilden: Jeder Spieler kann seinem PC jede Psychose zuweisen, die dann regelgetreu quantifiziert werden müßte, ohne im Vorfeld wirklich von einem Spieler zum sL rübergebracht worden zu sein.
Z.B. Dein Beispiel vom bei schlechteren Chancen verbisseneren Kämpfe ist schlicht die Folge eines cholerischen Themperaments, je angepisster und frustrierter man ist, je meher Schmerzen man hat, desto größer wird das Verlangen, nervenden Mitmenschen wehzutun...

 
« Letzte Änderung: 7.12.2011 | 23:03 von Naldantis »

Offline Turning Wheel

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #14 am: 7.12.2011 | 23:10 »
Ist im RPG in den allermeisten Fällen bedeutungslos, weil die Entscheidung über den Willen ihrer Charaktere bei den Spielern liegt ...

Eigentlich seltsam, gibt es denn nicht eine ganze Reihe von populären Rollenspielen, bei denen Willenskraft (manchmal auch Mut genannt) eine Haupteigenschaft ist und sogar ausgewürfelt wird?

Und: Jeder Spieler sieht ein, dass er den Berg nicht hochkommt oder die Tür nicht aufgeht, wenn er seinen Wurf versiebt. Wieviel ist bei diesen Dingen der Wille des Charakters wert? Es geht bei der mangelnden Akzeptanz einer Einschränkung der Kampfmoral doch nicht um den Willen des Charakters, sondern tatsächlich um den auf den Charakter transportierten Willen des Spielers.

Z.B. Dein Beispiel vom bei schlechteren Chancen verbisseneren Kämpfe ist schlicht die Folge eines cholerischen Themperaments, je angepisster und frustrierter man ist, je meher Schmerzen man hat, desto größer wird das Verlangen, nervenden Mitmenschen wehzutun...

Die Spieler und auch Spielleiter (!), die sich in solchen Kampfsituationen festbeißen sind im RL aber tatsächlich alles andere als Choleriker.
Ich vermute, es liegt einfach daran, dass man sich in solche Kampfsituationen einerseits aus dem Mangel an eigener Erfahrungen und andererseits mit dem Mund voller Chips am Wohnzimmertisch einfach nicht so richtig reindenken kann (und auch vielleicht nicht will).
Aber ich betone es nochmal, das ist definitiv ein rein simulativer Ansatz. Das mag auf die meisten sowieso gar nicht zutreffen.

Die für mich aber außerordentlich wichtige Frage: Ist dieser Effekt der ungebremsten Gewalttätigkeit tatsächlich so ein hohes rollenspielerisches Gut, dass seine Freiheit unbedingt bewahrt werden muss?
« Letzte Änderung: 7.12.2011 | 23:30 von Das Nichts »

Offline xergazz

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« Antwort #15 am: 7.12.2011 | 23:55 »
Vielleicht bestärken Regeln dieser Art aufgrund ihres Realismusanspruchs ja auch die Gewalttätigkeit innerhalb der Vorstellung der Spieler. Ich kann mir vorstellen, dass das bei Vielen ein Grund dagegen sein kann. Die Meisten wollen nunmal unterhalten werden. Da ist ein Popcorn-Kampf einfach geschmeidiger als das wahre Gesicht des Krieges.
Es ist ganz einfach. [...] Diskutiert nicht. Diskutiert bitte auch nicht über denn Sinn des Threads.

Offline YY

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #16 am: 7.12.2011 | 23:57 »
Natürlich leidet der Spielspaß drunter, wenn jemand etwas nicht machen kann, aber mei, das ist doch bei jedem misslungenen Würfelwurf so.
Warum sehen sich die Spieler gerade durch Einschränkung der charakterlichen Kampfeswut so in ihrer Entscheidungsunnabhängigkeit beeinträchtigt?

Weil es auf der mentalen Ebene einen sehr großen Schnittbereich zwischen Spieler und SC gibt, während das auf physischer Ebene nicht der Fall ist.

Deswegen besteht zumindest gefühlt ein ziemlich großer Unterschied, ob ein SC verletzt ist und davon Einschränkungen hat, oder ob er etwas (psychisch bedingt) nicht will oder nicht kann, während der Spieler das sehr wohl will.

Viele Kampfregeln betrachten das "sich vom Gegner lösen" auch ziemlich stiefmütterlich, weil es nicht so wirklich vorgesehen ist. Vorgesehen ist, dass sich heldenhafte und versteckt überlegene Charaktere gegen strohdumme Draufhaumonster in den Kampf werfen, bis das Monster tot am Boden liegt.
In solchen Systemen bzw. bei solchen Zielsetzungen haben Regelungen zur Kampfmoral auch keinerlei Existenzberechtigung, weil sie der Intention des Ganzen entgegen laufen.


Regelsysteme wo es um dynamische Konflikte auf Augenhöhe und nicht ums monotone siegen geht sind meiner Erfahrung nach eher selten.

Das ist mir allerdings der deutlich liebere Ansatz, und ich setze Aspekte davon auch in Systemen um, die eigentlich eher in die Sparte der "Monoton-Sieger" gehören.

Und man merkt mMn durchaus, dass bei diesem Spielansatz auf einmal Fragestellungen für die Spieler wichtig werden, die vorher keine Rolle spielten und die auch zum Thema Kampfmoral gehören.

Z.B. ob es ein bestimmter Konflikt überhaupt wert ist, deswegen ernsthaft zu kämpfen, oder mit welchem Gewaltlevel das Ganze angegangen wird.
Und natürlich die Frage, ob es die momentane Situation rein taktisch überhaupt sinnvoll erscheinen lässt, (weiter) zu kämpfen, oder ob man nicht lieber mal zurück steckt...


YY, du hast ja weiter oben eine konsistente Kampregelung gefordert.
Dann würde ich aber auch erwarten, dass Kampfmoral ein Thema ist, das in dieser Tiefe verregelt ist. Aber hier scheiden
sich plötzlich die Geister. Wo bleibt denn dann der konsequente Anspruch?

Vielleicht ist es weiter oben nicht klar geworden.
Zumindest für GURPS gilt:

Es gibt dort Optionen, das Ganze regelseitig abzubilden.
Das Regelwerk liefert einem z.B. alles, um einen individuellen (N)SC zu einem Feigling, zu einem Berserker, einem zögerlichen Kämpfer uvm. zu machen, und das durchaus mit klaren und eindeutigen Regelungen, denen sich der Spieler dann auch ebenso zu unterwerfen hat wie etwa den Wundregeln.
Das kann so weit gehen, dass einem Spieler auch die Entscheidung darüber, ob ein Kampf überhaupt geführt wird oder nicht, aus der Hand genommen wird.

Auch abseits der individuellen Gestaltung kann man mit fear checks u.Ä. in diese Richtung ziemlich viel machen.

Aber das ist eben in dieser ausgeprägten Form optional und nicht verbindlich für alle Spielstile als Teil des Regelkerns festgelegt.

Das ganze ist insofern ein ganz sensibles Thema bei Rollenspielern, weil viele den Tod des Charakters dem Ausspielen einer persönlichen kämpferischen Unterlegenheit vorziehen. Bevor sie eingestehen müssen, dass sie "nicht Recht hatten", verlassen sie lieber den Tisch bzw. das Spiel. Zumindest habe ich den starken Eindruck, dass es eine ganze Menge Spieler da draußen gibt, die weit davon entfernt sind, das Verlieren im Spiel kompensieren zu können bzw. es gibt ja eine ganze Menge von Spielern (da will ich mich nicht ausschließen), die das Hobby Rollenspiel unter anderem (!) betreiben, um etwas zu kompensieren. Und deshalb ist das Kämpfe Verlieren auch so unerwünscht.
Ich hab das einfach mal im Block zitiert, obwohl es eigentlich weiter oben schon mit zu einigen Stellen gehört hätte.

Jedenfalls ist da durchaus was dran, und ich stelle fest:
Für vieles, was ich so leite, brauche ich Spieler, die verlieren können.

Das werde ich mal im Hinterkopf behalten...
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Offline Turning Wheel

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #17 am: 8.12.2011 | 00:33 »
Für vieles, was ich so leite, brauche ich Spieler, die verlieren können.

Mir geht das auch so. Inzwischen kläre ich das gerne vorher mit den Leuten ab (Spiel für große Jungs?).
Um letztendliche Siege zu echten Siegen zu machen, ist es manchmal zuerst nötig zu verlieren (bzw. nicht zu gewinnen).
Letztenendes will ich ja als SL schon auch, dass die Spieler am Ende als die tollen Hechte dastehen, aber wenn man alle Register der Dramatik ziehen will, kann der Weg dahin nicht ohne Verluste oder Niederlagen gehen. Es ist aber manchmal nicht so leicht, Spieler zu finden, die das so verinnerlicht haben, dass sie es auch noch in der Kampfsequenz wissen.

Offline scrandy

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #18 am: 8.12.2011 | 00:49 »
@ Das Nichts
Also wir hatten das Thema ja schon mal auf der RPC dieses Jahr. Und ich bin der Meinung, dass ich Kampfmoral mit meinen neuen Statusregeln aus Mystix abbilden kann (damals gab es die noch nicht), vorausgesetzt die Spieler wollen sowas bespielen. Denn da Mystix ja recht Regelarm ist setzt es voraus, dass der SL und die Spieler Ahnung vom Kämpfen haben und so etwas wie deine "Kämpferausstrahlung" bespielen wollen. Insofern erfüllt es natürlich nicht die Vorgabe des hart geregelten Simulationismus. Aber ich versuchs trotzdem mal kurz zu erklären:

(Im Spoiler-Block, falls es die anderen nicht interessiert)
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Der Waldfürst gibt, der Waldfürst nimmt.

Mystix: Ranken, Glyphen, Kreiselschiffe - Story-orientiertes Steamfantasy-Rollenspiel. (Homepage / Diskussion)

Mystix - Das große Erwachen: Always Hope - Never Fall!

Offline OldSam

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« Antwort #19 am: 8.12.2011 | 00:57 »
..., sondern um die ganz normale Auseinandersetzung, wo Kampfmoral ebenso eine Rolle spielt, weil sie praktisch immer eine Rolle spielt, sobald die Situation für eine Seite entgleist (und das  ist irgendwann in einer Kampfsituation immer so, wenn nicht eine plötzliche Kampfunfähigkeit auftaucht).  .[...] Als einigermaßen erfahrener Spielleiter weiß ich, dass die Kampfentscheidungen mit Abstand der meisten Spieler beim Kampf so abseits realer Kampfmechanismen liegen wie sonst kaum etwas.

Ich sehe worauf Du hinaus willst und das Anliegen ist sicherlich auch prinzipiell berechtigt - abgesehen davon, dass es in der Tat sehr viele Kampagnenstile und Spielertypen gibt, die solchen "harten psychologischen Realismus" gar nicht möchten. Spielspaß für alle und Wahrung der gewollten Handlungsfreiheit sollte IMHO immer Vorrang haben.
Bei mir wäre es so, dass es ein paar Settings gibt, wo ich sowas gut finde, das sind Settings, wo generell ein hartes und realitätsnahes Feeling mit hohem Gefahrenfaktor für die SCs vorherrscht. Ganz entscheidend ist aus meiner Sicht dabei jedenfalls, dass die <ganze Gruppe> so etwas möchte, weil es sonst einigen den Spielspaß verdirbt und deren Standpunkt ist mindesten genau so berechtigt wie der andere, der in gewissem Sinne ja sogar der "Standard" in der RPG-Szene ist. Beispielsweise in normalen Fantasy-Runden würde ich sowas auch nicht haben wollen, weil es dann auch die "Lockerheit" oder ein wenig das Heroische des Spielgefühls beeinflusst und man ja i.d.R. auch nicht ständig "hard&dirty" spielt.


Generell scheint mir die beste Lösung für Dein Anliegen aber abseits der Regeln zu liegen, nämlich im Rollenspielverhalten selbst und damit in einem Gespräch mit den betroffenen Spielern! Erstmal sollte man sicher stellen, dass die Spieler diesen Stil überhaupt gut finden ;) Dann fordere solch ein Verhalten als gutes Rollenspiel und belohne es mit Punkten...
Aus meiner Erfahrung einer "harten" Kampagne mit GURPS-Regeln, also wo ich mal bewusst ziemlich simulativ gespielt habe und auch vorher mit den Spielern besprochen habe, dass es für ihre SCs eine härtere Herausforderung wird als normal, kann ich übrigens sagen, dass die Spieler sich zum Großteil auch von ganz allein (aus meiner Sicht) psychologisch ziemlich plausibel/realistisch verhalten haben!
Das liegt sicherlich v.a. daran, dass man bei GURPS auch recht schnell mal durch einen einzelnen Treffer eines NPCs eine Bein- oder Arm-Verkrüppelung bekommt und der Kampf dann leicht verloren ist... Also echte Konsequenzen! ...und der Char muss stark hoffen, dass zeitnah gute Heilmöglichkeiten verfügbar sind :p Allein als diese Folgen bewusst wurden, ist das Spielverhalten auch dem Gefahrenniveau angemessener geworden...

Einige Regelaspekte für solche Situation fände ich als <Option> für harte Settings ganz interessant, also im Prinzip ein häufigeres Einfordern von Willenskraftwürfen in bestimmten Situationen. Bspw. ein Willenswurf um Abzüge zu verhindern, etwa: "Sein massiver, hasserfüllter Angriff ist so überwältigend, dass Du echt an die Grenzen gebracht wirst, um nicht in Panik zu geraten!" Folge: Willenskraftwurf schaffen, ansonsten gibt es einen Abzug auf die Parade.... Sowas in der Art... Finde ich auf jeden Fall spannend, aber ist IMHO nur etwas für manche harten Settings und nur wenn die Spieler sowas auch wollen!  :d   ...zudem gibt es hier ganz offensichtlich extrem wenig Nachfrage auf dem RPG-Markt...?

« Letzte Änderung: 8.12.2011 | 09:53 von OldSam »

Offline Turning Wheel

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #20 am: 8.12.2011 | 01:26 »
OldSam, Du bringst mich auf eine Idee, denn der Ruf nach Moralregeln muss ja nicht nur grim & gritty und negativ sein.
In heldenhaften Settings kann es ja auch einen Moraleffekt geben, aber einen der eher positiv ist. Motto: Heldenmut steckt an!
Sowas hab ich aber auch noch nicht wirklich gesehen.
Eine "Heldengruppe" kann ja eigentlich mehr oder weniger eine richtige Kampfgruppe sein. Die gesamte Kampfführungssache wird aber in den Regeln, die ich so kenne, sträflich vernachlässigt. Effekte von befreundeten Erfolgen (oder Misserfolgen) sind meines Erachtens nicht im Zentrum der Beachtung. In der Realität sind sie allerdings sehr einflussreich.
Und wenn es sowohl Vor- als auch Nachteile gibt, dann wird auch den Gamisten das Spiel nicht versalzen sondern bereichert.

Ich führe diese Sachen übrigens nicht nur an, um mein persönliches Spiel zu verbessern (das natürlich auch), sondern vor allem aus der Sicht des Gamedesigners. Mein Anliegen ist nicht meine eigene Spielrunde, sondern neue, gute Spiele für alle.
Und deshalb geht es mir auch nicht um irgendeine Lösung, sondern um knallharte Regeln, die in einem Buch stehen und einer Gruppe hilfreich sind, um die Rollenspielerfahrung am Tisch vielschichtiger und interessanter zu machen.

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Scrandy, danke für die Ausführung. Ich glaube wir müssen uns mal wieder auf einem Con weiterunterhalten. 8)
« Letzte Änderung: 8.12.2011 | 03:50 von Das Nichts »

Offline Benjamin

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #21 am: 8.12.2011 | 08:21 »
Moral gab es hier in den alten Versionen für Monster, die Spieler sollten schon immer selbst entscheiden dürfen, wann sie das Weite suchen.

Den Effekt eines kritischen Treffers oder eines Misserfolgs siehst Du in den Gesichtern Deiner Spieler, was brauchst Du da denn noch!?

Wenn das verregelt wird, führt das zu Genre-Konventionen, denn sicher muss das dann für Superheldencomics anders aussehen als für ... etc.
Letztendlich schränkt man damit die Spieler ein. Denn was ist denn der Umkehschluss? Darf ein Krieger sich dann nur noch aus dem Kampf zurückhalten, wenn er seine Moral versemmelt?

Den Vergleich von Moral und Fertigkeitsproben halte ich hier für unangebracht, denn der Willen eines Charakters, eine Wand zu erklimmen, ist durch seine Fertigkeit nicht eingeschränkt. Allenfalls die Durchführung klappt nicht, aber das gilt dann auch für den Angriff. Wer seinen Magier gegen den Orkhäuptling kämpfen lassen möchte, kann das jederzeit tun.

Offline Waldgeist

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #22 am: 8.12.2011 | 08:29 »
OldSam, Du bringst mich auf eine Idee, denn der Ruf nach Moralregeln muss ja nicht nur grim & gritty und negativ sein.
In heldenhaften Settings kann es ja auch einen Moraleffekt geben, aber einen der eher positiv ist. Motto: Heldenmut steckt an!
Sowas hab ich aber auch noch nicht wirklich gesehen.

"Moralregeln", die mich nicht (absolut) zu Handlungen zwingen, sondern Boni oder Mali gewähren, könnten durchaus für das eine oder andere Setting interessant sein. (Ich meine bei HeroQuest 2.0 etwas in die Richtung gesehen zu haben, bin mir aber nicht sicher.) Wenn solch ein System entsprechend optional aufgebaut wäre, könnte man es weglassen, auf grim & gritty oder auf heroisch (und auf Abstufungen dazwischen) einstellen.

@Das Nichts: Wie könnte so ein System aussehen?

Wäre es nicht langsam sinnvoll, das Kampfmoral-Thema auszulagern?
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Offline Oberkampf

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #23 am: 8.12.2011 | 09:08 »

Und: Jeder Spieler sieht ein, dass er den Berg nicht hochkommt oder die Tür nicht aufgeht, wenn er seinen Wurf versiebt.

Ist das so? Bei mir passiert da imemr was ganz anderes: die spieler maulen, wollen verpatzte Proben nochmal versuchen, weil es ja "nicht realistisch" ist, dass man bei solchen Sachen scheitern kann etc. Und das, obwohl ich schon alle möglichen Tricks aus dem Hut ziehe (Stakes vereinbaren und so), um sowas zu unterbinden. Nichts ist in meinen Augen ärgerlicher als verpatzte Proben außerhalb einer klar verregelten Situaton (wie einem Kampf).

Kampfmoral:

Das Nichts hat da einen guten Punkt angebracht, der aber eigentlich viel weiter führt: die meisten Rollenspiele funktionieren nach dem Prinzip, das körperliche Angelegenheiten detailliert geregelt sind und gewürfelt werden, während psychische Angelegenheiten der SCs trotz einiger Alibiattribute meistens den Spielern überlassen bleiben. Soll ja auch so sein, schließlich handelt es sich um Fantasyspiele und keine Realitätssimulation.

Deswegen halte ich Moralregeln im Kampf (auf der Scharmützelebene, nicht bei Schlachtszenen) auch nur für bedingt nötig. Aber einige Möglichkeiten gibt es trotzdem. Fate z.B. bildet auch innere Zustände der (N-)SCs ab, und da wiegen Moralverluste schwer. Warhammer 3 hat da auch interessante Mechanismen (Stress, kurzzeitige Insanities, die Charaktere nicht unspielbar machen).

Eine ganz einfache Möglichkeit in Systemen mit Trefferpunkten wäre es z.B., die Trefferpunkte als "Kampfmoral" zu definieren. Wenn die HP auf Null sinken, ist der Gegner besiegt - wie das dann aussieht, bleibt der Beschreibung des Spielers oder SLs überlassen. Das würde auch mal die blöde Frage klären, warum Tiere (Söldner usw.) nicht abhauen, wenn sie über die Hälfte ihrer HP verloren haben: weil ihre Kampfmoral noch nicht gebrochen ist, was etwas ganz anderes ist als ihre Gesundheit!
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Offline Yehodan ben Dracon

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Kampfmoral, war: Der "perfekte" Kampf
« Antwort #24 am: 8.12.2011 | 09:17 »
So etwas gibt es doch bestimmt schon. Kommt mir jedenfalls bekannt vor, mit dem TP=Kampfmoral...
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