Ich bin - wie alle Jahre wieder - mal wieder mit HARP und den Alternativen zugange. Zu denen greife ich immer, wenn ich Lust auf etwas habe, was mich an die 90er mit ihren krebsgeschwürartig wuchernden Fertigkeitensystemen erinnert, und das dann aber etwas knapper und spielbarer präsentiert haben will. Und mal wieder merke ich, dass HARP mir beim Lesen immer noch ganz gut gefällt. Die Fertigkeiten könnten ein bisschen weniger kleinteilig sein, aber wirklich nur ein bisschen weniger. Das Magiesystem mit den "scalable Spells" liest sich nach wie vor Spitze (da scheint auch meine DSA-Vergangenheit durch, da hier das Prinzip "jeder Spruch eine Fertigkeit" vernünftig umgesetzt ist).
Klar steckt da im Grundsatz immer noch eine Regeldesignphilosophie aus dem letzten Jahrtausend hinter, aber das muss ja nichts Schlechtes sein.
VsD ist natürlich immer noch die naheliegende Alternative, mit der ich mich ja schon ausgiebig befasst habe - möchte ich auch gerne mal spielen, aber HARP hat doch noch einen anderen Charme, weil es sich eben nicht so auf Tolkien-Epigonentum festlegt.
Wenn sich HARP bei mir noch bis zum Sommer, wenn ich wieder in Deutschland bin und Printprodukte bestellen kann, im Kopf hält, werde ich mir wohl endlich mal "College of Magics" und das "Bestiary" zulegen, und vielleicht auch das Abenteuer "Gardens of Rain" - der Preview auf Drivethru liest sich nämlich echt interessant, da scheint ein Mikrosetting mit ein paar echt deftigen moralischen Dilemmata dahinterzustecken.
Parallel lese ich noch "Fantasy Express", das ebenfalls im weiteren Sinne auf RM/HARP zurückgehende RSP von HARP-Designer Tim Dugger, das auf der Open00-Lizenz (also VsD) basiert und anscheinend so was wie der Nachfolger von Novus 2 ist, angereichert um Ideen aus VsD. Gefällt mir auch ganz gut, wobei ich glaube, dass es sich schon wieder ein bisschen mehr in Kleinteiligkeit verliert und vielleicht eine Nummer zu komplex für mich ist. Vor allem hat es ein System, bei dem man mit seinen Erfolgsgraden Effekte shoppen kann, das mich auf dem Papier sehr an Mythras und FantasyAge erinnert, und bei beiden habe ich damit im Spiel doch eher ambivalente Erfahrungen gemacht. In der Theorie schön, dass man sich bei Fantasy Express seinen Crit praktisch selbst aus Erfolgsgraden zusammenbauen kann, aber vielleicht ist einfach würfeln und was lustiges aus der Tabelle ablesen doch besser ...
Das Setting von FX heißt Anwyn (war wohl auch schon das Setting) und beschreibt einen kleinen Kontinent, der frei durch das Multiversum flottiert und auf dem ein paar Götter ihre Lieblingsspezies angesiedelt haben. Die Idee ist nett (und Cyradon von HARP nicht ganz unähnlich), die Umsetzung allerdings ein bisschen zu Kitchen Sink für meinen Geschmack - ich glaube, damit werde ich nicht so ganz warm, weil es letztendlich doch ein bisschen zu konventionell ist.
Insgesamt is FX aber glaube ich eine sehr gute Alternative zu HARP, wenn man sich ein etwas methodischeres und aufgeräumteres Regeldesign und mehr Flexibilität wünscht.
Ich schließe wie immer mit "Wir brauchen die Cyradon-Neuauflage, das Setting war seiner Zeit voraus und würde HARP auf einen Schlag in den Olymp der Hipness katapultieren!"