CliveDie Angst beginnt von Ove Besitz zu ergreifen. Ich habe diesen Ausdruck schon so oft auf den Gesichern anderer Menschen, selbst gestandener Männer, gesehen. Sei es an der Front oder auf meinen Expeditionen. Die Angst macht auch vor dem kräftigsten Mann nicht halt. Und Ove zählt eher zu den sensiblen Gemütern.
Also halte ich inne und schließe die Haustür noch einmal, auch wenn ich kein gutes Gefühl dabei habe, die Fremden in meinem Haus so lange unbeaufsichtigt zu lassen.
Es kostet mich einige Überwindung, nach Oves Hand zu greifen, um diesen zu beruhigen ... um ihm das Gefühl zu geben, ich als Arzt habe keinerlei Bedenken, was seine Hand angeht. Ich habe gelernt, meine Gefühle vor Patienten zu verbergen, Ekel, Abscheu oder (mitunter irrationale) Sorge vor Ansteckung unter einer Maske aus Rotine zu verbergen. Die Sicherheit, die ich ausstrahle, ist jedoch nur eine Fassade. Tatsächlich bin ich mir nicht sicher, welche Auswirkungen der Kontakt mit der Hand hatte. Zwar sagt mein Verstand mir, dass die Berührung von Oves Hand natürlich ungefährlich ist. Ich habe sie in den vergangenen Monaten unzählige Male geschüttelt. Kristine hat ihn ständig berührt. Und doch prallen Oves Worte nicht völlig an mir ab, so dass ein Restzweifel getragen von irrationalen, urtümlichen Instinkten verbleibt.
Lange schon habe ich beobachtet, wie Ove unbewusst nach seiner rechten Hand greift, sie kratzt oder reibt oder einfach nur hält. Dieses Verhalten hat schon im
Montgomery Spital in Crawles begonnen. Aber ich hielt es eher für ein psychosomatisches Leiden, irgendein durch die noch nicht abschließend verarbeiteten traumatischen Erlebnisse in London ausgelöstes, kompensatorisches Verhalten.
"Ich glaube nicht, dass mit Deiner Hand irgendetwas nicht stimmt. ... Was Du empfindest, ist vermutlich nur Ausdruck Deiner nur zu verständlichen Ängste aus der Zeit in London. ... Manche Erlebnisse brauchen viel Zeit, um von uns verarbeitet zu werden ... sehr viel Zeit.
Ich habe die Hand nie direkt berührt. Dennoch sehen mich diese Fremden auch als einen 'Auserwählten' an. Vielleicht sind sie in Wahrheit nur gekommen, um nach dem Verbleib der Hand zu forschen, liefern uns hier eine große Show, um uns zu verunsichern und zu unbedachten Äußerungen zu verleiten.
Was Azathoth betrifft ... nun, ich sehe da eher einen Bezug zu den Ereignissen auf Herm, was mich betrifft."
"London bringe ich eher mit Yog Sothoth in Verbindung, was sich natürlich nicht gegenseitig ausschließt", ergänze ich lediglich in meinen Gedanken.
"Wenn es mit London im Zusammenhang steht, möchte ich herausfinden, ob ich etwas über Cainnechs Verbleib erfahren kann.
Ich will verstehen, wo Paul in den Jahren seit Herm war und wie er die Insel damals verlassen konnte.
Es hilft nichts, wir müssen aufklären, worum es hier geht! Diese Besucher sind alle von unterschiedlichen Orten zur gleichen Zeit hier angekommen. Das muss etwas bedeuten. Wir können sie nicht einfach fortschicken und unsere Augen davor verschließen. Wir müssen die Ursache feststellen und bekämpfen, wenn das möglich ist. ... Ich bin mein Leben lang auf der Flucht gewesen. Und ich bin es leid! ... Willst Du so ein Leben? Für Dich? Für Kristine? ... Ich will, dass Matilde zurückkehrt! Ich will einen sicheren Ort für Marie!
Wir müssen da jetzt durch! Wir müssen diese Fremden kontrollieren. Und wir müssen mit Braddock reden. Wir sind nur zu zweit. Ich muss mich auf Dich verlassen können, Ove! Alleine schaffe ich das nicht!"
Ich denke an mein Herz und die seit Monaten vor Matilde verborgenen Symptome.
"Wieviel Zeit verbleibt mir? Wenn ich Matilde nicht zurückbekomme, was soll dann werden? Die Zeit läuft mir davon!" Vor meinem inneren Auge sehe ich die Alternative: das lichterloh brennende Manor, das Feuer, das all mein Wissen und meine Habe verschlingt, das den Virus endgültig auslöscht und vollendet, was schon vor über dreißig Jahren hätte geschehen sollen.
Ich warte Oves Antwort nicht ab, sondern öffne die Tür erneut, ohne Raum für einen Widerspruch zu lassen.
Ich weiß, dass es nicht fair ist, Ove weiter in diese Angelegenheit einzubinden. Ich weiß, was das vermutlich bedeutet ... was es für die meisten meiner Gefährten bedeutet hat.
"Aber ich habe keine Wahl, wenn ich meine Ziele erreichen will. Ich MUSS das hier klären und Matilde zurückholen, um welchen Preis auch immer. Der Fetisch, SIE, meine Forschungen ... sind wichtiger als das Leben einzelner Menschen. Auch wichtiger als mein Leben." Aber ich weiß, dass es immer die anderen trifft, nicht mich ... auch wenn ich mir wünschte, es wäre anders.
Als wir den Salon betreten, stelle ich Ove meinen 'Gästen' vor.