Autor Thema: Der Hang zu "negativen" Settings  (Gelesen 13475 mal)

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Offline Doc-Byte

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Der Hang zu "negativen" Settings
« am: 23.07.2022 | 22:26 »
Moin, moin!

Ich vermute, das Thema wurde sicher schon mal besprochen, aber ich hab mit der SuFu nichts passendes gefunden. Aus aktuellem Anlass beschäftig mich wieder mal die Frage der "negativen" Settings.

@Teylen hat drüben im Kickstarter Thread eine schöne neue, aktuelle Übersicht verlinkt und dabei sprang mir dieser KS ins Auge: https://gamefound.com/projects/a-game-of-nerds/deep-sky-ballad "Space Western" ist ja nun mal voll mein Thema und ich dachte mir, "schau mal rein, was die 'Konkurrenz' so macht". Und dann springt mich direkt im ersten Satz das hier an: "In a once-united galaxy, war and hatred have taken everything away, leaving only blackened ruins behind."

Da dachte ich mir nur: "Och nee, nicht schon wieder noch eine Dystopie, Post-Apo, wie immer man es nennen will..."

Ich frage mich echt, woher dieser Hang zu den "negativen" Settings kommt. Sind düster Settings wirklich beliebter in der Spielerschaft? Oder ist das nur ein gefühlter Eindruck, der sich für mich irgendwie auch hier im Forum zeigt. Liegt es darin begründet, dass sich in einem düsteren Umfeld einfacher Geschichten finden lassen, welche die Charaktere strahlen lassen? (Sei es jetzt subjektiv oder auch objektiv.) Oder täuscht micht der Eindruck total und positive Settings sind eigentlich genauso beliebt wie die finsteren?

Ich meine, erst diese Woche kam ja hier im Forum die Diskussion "Ist Lorakis tatsächlich "zu lieb und zu hell"?" auf, um nur ein Beispiel zu nennen. Und auch ansonsten hab ich das Gefühl, dass hier im Forum viel öfters über dunkle Settings gesprochen bzw. danach gefragt wird.

Warum kommen positive / freundliche Settings gefühlt weniger gut in der Rollenspielszene weg? Ich meine, ich sehe ein, dass es ohne ein gewisses Konfliktpotenial wirklich herausfordern ist, spannende Abenteuer zu bauen, aber muss es wirklich immer der große Holzhammer "alles ist kaputt (gegangen)" sein? - Also, im Sinne von, will die Spielerschaft das wirklich so? Das man auch funktionierende Settings mit einer positiven Grundausrichtung bauen kann, ist mir klar. Das macht bspw. DSA seit fast 40 Jahren so, auch wenn selbst das nicht ohne seine finsteren Ecken und Episoden auskommt. Nur dominieren die halt nicht das komplette Spielgefühl des Settings.

Ich finde es einfach schade, wenn ich auf ein potentiell interessantes neues Setting stoße und dann nach wenigen Sätzen feststellen muss, dass es mal wieder auf einer Dystopie oder dem Zusammenbruch einer alten Hochkultur basiert, um den Bogen zurück zum anfang zu schlagen.  :-\
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Noir

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #1 am: 23.07.2022 | 22:34 »
Ich bin jemand, der jedes düstere Setting einem hübschen, märchenhaften Setting vorzieht. Das aber auch nicht nur im Rollenspiel, sondern auch in jedem anderen Unterhaltungsmedium. Egal ob Buch, Film oder Videospiel. Wenn die Welt im Eimer ist und der Held am besten noch selbst SEHR fragwürdig (und am Ende ein Happy End vielleicht sogar sehr fraglich ist) ... dann bin ich sofort dabei und rufe, dass ichs haben will. DC ist geiler als Marvel. Die Alte Welt ist geiler als Aventurien. Das 40k Universum ist geiler als Star Wars.

Ich kann nicht einmal genau sagen, woran es liegt. Vielleicht hat es was damit zu tun, dass es insgesamt eventuell glaubwürdiger ist, wenn die Spieler sich durch Unmengen von NPCs schlachtend (und wenn es "nur" die bösen sind) von A nach B kämpfen. Ich kenne kaum eine Spielgruppe, die vollkommen ohne Kämpfe auskommt ... und die, die zwar kämpfen, ihre Gegner dann aber der Gerichtsbarkeit überstellen, dürften noch sehr viel seltener sein. Es mag sie geben ... aber ich glaube, diese Gruppen kann man an einer Hand abzählen. Und wenn die Welt drumherum ohnehin schon im Sack ist ... alles auseinanderfällt ... dann kann ich vielleicht besser damit umgehen, wenn sich die SCs trotzdem nach getaner Arbeit feiern lassen. Aber ... das ist auch nur eine Vermutung und vermutlich auch nur ein winziger Aspekt ...

Offline tartex

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #2 am: 23.07.2022 | 22:46 »
Positive Settings haben meist Ordnungsauthoriäten, die den Spielercharakteren die Freiheit nehmen und das Spotlight stehlen können.

Der Wilde Westen ist gut für Abenteuer, weil er eben wild ist und nicht die Polizei alles unter Kontrolle hat.

Wer will schon Befehlsempfänger spielen, die sich besser an gut definitere Regeln zu halten haben?
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Offline Weltengeist

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #3 am: 23.07.2022 | 22:53 »
@Doc-Byte:

Kann ich eigentlich alles nur so unterschreiben. Ich staune auch immer wieder, wie beliebt "düster, dreckig, fies" als Setting zu sein scheint. Dabei stelle ich in meinen Spielrunden immer wieder fest, dass sobald ich auch nur ein paar Szenen ein wenig härter gestalte, die Spieler bleibend einschüchtert sind und sich nichts mehr zutrauen. Von daher kann ich mir auch nicht erklären, wo die Begeisterung für Weltuntergänge, den Quasi-Sieg des Bösen, den Kampf gegen wirklich übermächtige Götter/Dämonen etc. herkommt.

Dabei sind gerade in der Fantasy und Science Fiction die wirklich großen Settings in Deutschland ja gar nicht so. Aventurien, Midgard, Lorakis, Forgotten Realms, Golarion, Traveller, Starfinder - alles keine Dystopien, sondern bonbonbunte Kitchen Sinks, in denen zwar mal eine düstere Ecke oder eine düstere Story vorkommt, die aber in der Mehrheit gar nicht so darque daherkommen.

Einen seltsamen Kontrast bildet die Faszination für negative Settings übrigens auch zum Siegeszug der Gummipunkte, die neuerdings überall rein müssen, damit es bloß nicht zu gefährlich wird und man sich am Spieltisch Erfolge kaufen kann. Die wirklich harten Regeln, die zu "düster und dreckig" passen würden, laufen unter Old School Revival und werden mehrheitlich von einigen alten Säcken jenseits der 45 gespielt, sind der Mehrheit aber schon lange nicht mehr zuzumuten, weil man sich doch eigentlich lieber garantierte Erfolgserlebnisse verabreichen lassen möchte.

Also nein - ich versteh's auch nicht. Und ich teile deinen Frust.

P.S.: Und weil ich jetzt oben schon wieder das Argument lese, man bräuchte negative Settings, weil positive Settings ja langweilig wären: die Alternative zu negativen Settings ist für mich nicht "blühende Wiesen mit fröhlich singenden Elfen", sondern zunächst mal ein "neutrales Setting", das sowohl gut als auch böse enthält.
« Letzte Änderung: 23.07.2022 | 22:56 von Weltengeist »
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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #4 am: 23.07.2022 | 22:54 »
Zusammenbruch einer alten Hochkultur sorgt halt für genug "rechtsfreie Räume", in denen sich marodierende Spielercharaktere verdient machen können. Und verfallene Hochkulturen sorgen halt für genug Ruinen, in denen man herumturnen kann - das hat schon einen gewissen Reiz.

Nach persönlichem Empfinden ist es so: Postapokalypse brauche ich nicht unbedingt (die klassische Variante mag ich sogar eher weniger - mit der Fantasyausgabe kann ich dagegen gut leben), aber für das klassische Abenteuerrollenspiel muss schon eine gewisse Wildheit und Grenzlanderfahrung da sein, damit die naheliegendste Möglichkeit nicht die Benachrichtigung der Stadtwache ist. Es kann dann gern urbanere Zonen geben, in denen die Welt anders tickt, aber es hilft schon, wenn dann jenseits der Stadtmauern das Abenteuer lockt und nicht die gepflasterte Straße in die nächste Metropole. Und auch in SciFi-Welten sind die unteren Etagen der Makropolwelt halt spannender als die hübschen Gärten der Oberschicht (es sei denn, man deckt dort gerade die Verschwörung eines Chaoskults auf).

Gerade für Space Western find ich's aber durchaus nett, wenn nicht ALLES den Bach runter gegangen ist, sondern Du einfach nur irgendwo weit draußen bist, wo die Probleme auch mal zur Mittagsstunde mit dem Blaster geregelt werden.
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Offline Alexandro

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #5 am: 23.07.2022 | 22:54 »
Positive Settings haben meist Ordnungsauthoriäten, die den Spielercharakteren die Freiheit nehmen und das Spotlight stehlen können.

Die meißten negativen Settings haben wesentlich repressivere Ordnungsautoritäten, welche den Spielercharakteren die Entscheidungsfreiheit nehmen, auch mal für das Gute einzustehen.

Warhammer 40k ist in dieser Hinsicht stinklangweilig, weil die Spielercharaktere zu "verhaltet euch wie Arschgeigen" gerailroadet werden, und jedes Abweichen von diesem Bild von der Institution des Imperiums knallhart (und oft final) bestraft wird.

Den Wilden Westen würde ich nicht als düster bezeichnen - eher "moral-agnostisch" und die Spielenden suchen sich selber aus, ob sie lieber als White oder Black Hats unterwegs sein wollen.
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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #6 am: 23.07.2022 | 23:02 »
Für mich sind "düster" oder "grim & gritty" als Attribute eher abschreckend. Wenn ein Spiel (oder Film, Buch ...) damit wirbt, bin ich meist schon raus.

Am schlimmsten finde ich Varianten, wo man nicht einmal wirklich Erfolge gegen das Böse/Dunkle erzielen kann, sondern am Ende doch alles den Bach runtergeht. Das würde ich vermutlich nicht mal mehr spielen, wenn man mich dafür bezahlt.
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Offline Doc-Byte

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #7 am: 23.07.2022 | 23:33 »
Ich kenne kaum eine Spielgruppe, die vollkommen ohne Kämpfe auskommt ... und die, die zwar kämpfen, ihre Gegner dann aber der Gerichtsbarkeit überstellen, dürften noch sehr viel seltener sein. Es mag sie geben ... aber ich glaube, diese Gruppen kann man an einer Hand abzählen.

Positive Settings haben meist Ordnungsauthoriäten, die den Spielercharakteren die Freiheit nehmen und das Spotlight stehlen können.

Bezogen auf beide Aussagen: Wär es für euch denn unattraktiv, in diesem Kontext einfach selbst die Ordnungshüter darzustellen?

Wer will schon Befehlsempfänger spielen, die sich besser an gut definitere Regeln zu halten haben?

Naja, Starfleet hat bestimmt auch "gut definierte" Regeln und dann kommt da so ein James T. Kirk daher und sagt: "F*** it, ich regel das auf meine Art und Weise." ;D

Einen seltsamen Kontrast bildet die Faszination für negative Settings übrigens auch zum Siegeszug der Gummipunkte, die neuerdings überall rein müssen, damit es bloß nicht zu gefährlich wird und man sich am Spieltisch Erfolge kaufen kann.

So "neu" sind die für mich als alten Shadowrun Spieler gar nicht. Und ein gewisses Sicherheitsnetz finde ich persönlich auch okay, aber das würde hier vermutlich noch auf der ersten Seite des Threads ein neues Themenfeld eröffnen, wenn ich da etwas ausführlicher drauf einginge... ;)

P.S.: Und weil ich jetzt oben schon wieder das Argument lese, man bräuchte negative Settings, weil positive Settings ja langweilig wären: die Alternative zu negativen Settings ist für mich nicht "blühende Wiesen mit fröhlich singenden Elfen", sondern zunächst mal ein "neutrales Setting", das sowohl gut als auch böse enthält.

Das finde ich sehr gut auf den Punkt gebracht! Ich musste selber tatsächlich lernen, dieses Geleichgewicht zu finden, aber ich bin wirklich der Ansicht, dass man die Spielercharaktere auch in ein positives Umfeld stecken kann, so lange man genug Bedrohungen für ebenjenes einbaut. (Und dem positiven Umfeld vielleicht noch ein paar kleine Schattenseiten verpasst, über welche man ungerne öffentlich spricht. 8])

Zusammenbruch einer alten Hochkultur sorgt halt für genug "rechtsfreie Räume", in denen sich marodierende Spielercharaktere verdient machen können. Und verfallene Hochkulturen sorgen halt für genug Ruinen, in denen man herumturnen kann - das hat schon einen gewissen Reiz.

Okay, jetzt kommen wir vielleicht schon ein wenig in den Bereich des Genres. Fantasy hat natürlich oft den "Nachteil", auf eine Welt beschränkt zu sein, wärend SF häufig viele Planeten anbiete. Aber auch ein einziger Planet kann mehrere Kontinente haben. Es besteht doch grundsätzlich auch die Option, dass die Protagonisten zwar auch aus einer "Hochkultur" kommen, aber in fremde Regionen vorstoßen, wo sie auf die Überreste einer anderen, vergangenen Kultur stoßen. Auch dieser Raum kann "rechtsfrei" und "voller Ruinen" sein, ohne dass dafür gleich der komplette Planet den Bach runter gegangen sein muss. - Kann er natürlich, aber muss in meinen Augen halt nicht "immer" sein.

[...] aber für das klassische Abenteuerrollenspiel muss schon eine gewisse Wildheit und Grenzlanderfahrung da sein, damit die naheliegendste Möglichkeit nicht die Benachrichtigung der Stadtwache ist. Es kann dann gern urbanere Zonen geben, in denen die Welt anders tickt, aber es hilft schon, wenn dann jenseits der Stadtmauern das Abenteuer lockt und nicht die gepflasterte Straße in die nächste Metropole. Und auch in SciFi-Welten sind die unteren Etagen der Makropolwelt halt spannender als die hübschen Gärten der Oberschicht (es sei denn, man deckt dort gerade die Verschwörung eines Chaoskults auf).

Den Standpunkt kann ich nachvollziehen und zu einem gewissen Grad auch teilen. :d

Gerade für Space Western find ich's aber durchaus nett, wenn nicht ALLES den Bach runter gegangen ist, sondern Du einfach nur irgendwo weit draußen bist, wo die Probleme auch mal zur Mittagsstunde mit dem Blaster geregelt werden.

Absolut und dann kommt halt das eingangs verlinkte Space Western RPG wieder mit "In a once-united galaxy, war and hatred have taken everything away, leaving only blackened ruins behind." ums Eck. :-\ (Aber hey, dann is et im Gegenzug auch keine Konkurrenz für mich persönlich, was auch was für sich hat. >;D)


Den Wilden Westen würde ich nicht als düster bezeichnen - eher "moral-agnostisch" und die Spielenden suchen sich selber aus, ob sie lieber als White oder Black Hats unterwegs sein wollen.

Ja, im "historischen" Wilden Westen. Nicht aber in einem dran angelehnten Setting, dessen Grundprämisse erstmal "alles was mal war, ist an Punkt x kaputt gegangen" ist.
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Offline Alexandro

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #8 am: 23.07.2022 | 23:40 »
Mit "Wild West" meinte ich durchaus auch klassische "Grenzlande-Fantasy" oder Postapokalypse (sofern sich die Bewohner dort realistisch verhalten und nicht am Endzeit-Gehirnkrebs (morbus madmaxis) erkrankt sind, der sie zwingt sich alle einen Iro zu schneiden und in der Wüste im Kreis zu fahren).
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Offline nobody@home

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #9 am: 23.07.2022 | 23:42 »
Ein gutes Stück weit mag schlichte (wenn auch nicht zwingend bewußte) Faulheit dahinterstecken. Es ist eben wesentlich leichter, einzureißen als aufzubauen, und in "dreckigen" Welten läßt sich, um's mal etwas drastisch auszudrücken, auch gleich viel besser der wurzel- und verantwortungslose Mörderhobo raushängen, ohne daß man sich deswegen gleich schlecht fühlen muß -- "die anderen sind ja auch nicht besser!", nicht wahr...?

Auf der anderen Seite ist es allerdings auch wieder nicht so, als ob tatsächlich nur noch dÿsterdharke Settings erscheinen würden. (Ich geb' ja zu, daß ich den Markt in den letzten Jahren in erster Linie durch die Fate-Linse betrachte, aber ich denke, die immer noch recht bunte Mischung, die's dafür gibt, kann wohl nicht komplett unrepräsentativ sein.) Ich denke, wenigstens zum Teil fallen die einem einfach nur schneller negativ auf, wenn man sie ohnehin schon nicht mag, und das färbt dann die Wahrnehmung seinerseits entsprechend ein.

Offline Isegrim

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #10 am: 23.07.2022 | 23:51 »
Ich versteh die Attraktivität von "anarchischen Situationen" im Rollenspiel; ist halt praktisch für's Spiel, wenn es massig Probleme zu lösen gibt, ohne dass die SCs sich allzu sehr mit der Obrigkeit rumschlagen müssen. Grundsätzlich düstere Settings sind allerdings nicht meins:

Ich mag keine allzu düsteren Welten, in denen jeder wasauchimmer tut; denn es sind offensichtlich recht eindimensionale Welten, immerhin tut jeder das gleiche...

Oder anders: Ein Setting, in dem Idealismus sinnlos ist, ist langweilig.
"Klug hat der Mann gehandelt, der die Menschen lehrte, den Worten auch der Anderen Gehör zu schenken."  Euripides

Noir

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #11 am: 24.07.2022 | 00:19 »
Bezogen auf beide Aussagen: Wär es für euch denn unattraktiv, in diesem Kontext einfach selbst die Ordnungshüter darzustellen?

Jain. Hin und wieder tu ich das. In einem Gotham City Setting spiel ich harte Vigilantes, die mitunter ihre Gegner der Gerichtsbarkeit überstellen. Manche tun das aber nicht und beenden die Bedrohung halt endgültig. Bei Warhammer spiel ich durchaus auch schonmal so Sachen wie Hexenjäger oder Priester und gehöre damit auch zu einer gewissen Ebene der Gerichtsbarkeit.

Ob ich aber in solchen Settings einen rechtschaffen guten, strahlenden Held spielen wollen würde? Eher nicht ... passt für mich nur wenig hinein. Ob das jetzt am Ende "leichter" oder "fauler" ist ... sei mal hingestellt ... kann ich nicht sagen. Aber mir macht es mehr Freude.

Bonbonbunt und märchenhaft geht mir halt meistens (!) auf die Nüsse ... bietet mir persönlich viel zu wenig Handlungsspielraum. Und dabei sind irgendwelche Obrigkeiten sogar relativ egal. 40k ist deutlich spannender zu spielen, gerade auch dann, wenn man eben NICHT das tut, was das Gesetz sagt.

Offline tartex

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #12 am: 24.07.2022 | 00:26 »
Naja, Starfleet hat bestimmt auch "gut definierte" Regeln und dann kommt da so ein James T. Kirk daher und sagt: "F*** it, ich regel das auf meine Art und Weise." ;D

Ja, das käme bei vielen oder zumindest einigen Spielleitern wirklich gut an, wenn man sich mit den Setting-Authoritäten anlegt.

Dann besser gleich ein rechtsfreieres Setting als darauf hoffen müssen, dass der Spielleiter die Regelbrüche in jeder Session ohne Konsequenzen durchgehen lässt. Das macht das Setting ja auch weniger glaubwürdig.
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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #13 am: 24.07.2022 | 00:29 »
Bezogen auf beide Aussagen: Wär es für euch denn unattraktiv, in diesem Kontext einfach selbst die Ordnungshüter darzustellen?

Ich antworte einfach mal:
Mir persönlich gefällt das ziemlich gut, gerade weil man dann auch kleinere Mengen an im Setting verfügbarem Konfliktpotential gezielt bei den Spielercharakteren abladen kann.

Als sonderlich beliebt nehme ich diesen Ansatz aber nicht wahr, wobei ich öfter das Gefühl habe, dass man sich dabei auch selbst im Weg steht - Stichwort gefühlte Handlungsfreiheit.


Fantasy hat natürlich oft den "Nachteil", auf eine Welt beschränkt zu sein, wärend SF häufig viele Planeten anbiete. Aber auch ein einziger Planet kann mehrere Kontinente haben. Es besteht doch grundsätzlich auch die Option, dass die Protagonisten zwar auch aus einer "Hochkultur" kommen, aber in fremde Regionen vorstoßen, wo sie auf die Überreste einer anderen, vergangenen Kultur stoßen. Auch dieser Raum kann "rechtsfrei" und "voller Ruinen" sein, ohne dass dafür gleich der komplette Planet den Bach runter gegangen sein muss.

Gut, für plünderbare und zugleich noch nicht tatsächlich geplünderte (!) Ruinen brauchts schon ein bisschen Platz.
Da kann man dann aber auch zumindest hergehen und von "alles kaputt" auf "wir sind wieder im Aufbruch" schwenken, wie es z.B. Earthdawn oder Ruin Masters machen. Das sind zwar sog. "points of light"-Settings, aber immerhin mit der Grundaussage, dass es grad aufwärts geht.
Und alte Hochtechnologie oder -magie plündern und damit wieder was ordentliches anstoßen ist wohl für die meisten ansprechender als in ausgebombten Wohnblöcken nach übriggebliebenen Raviolidosen zu suchen.


Ein bisschen vom klassischen Dungeoncrawl weg brauchts aber längst keine Kontinente an Platz, um rechtsfreie oder zumindest Räume mit großer Rechtsunsicherheit zu schaffen.
Da gehts auch mal um wenige Kilometer und ganz schnell eher um soziale "Geographie".
"Kannst du dann bitte mal kurz beschreiben, wie man deiner Meinung bzw. der offiziellen Auslegung nach laut GE korrekt verdurstet?"
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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #14 am: 24.07.2022 | 01:08 »
Naja, Starfleet hat bestimmt auch "gut definierte" Regeln und dann kommt da so ein James T. Kirk daher und sagt: "F*** it, ich regel das auf meine Art und Weise." ;D

Witzigerweise ist Star Trek schon recht nah am SciFi Western. Die Distanzen sind groß und so hat man, wie im Grenzland, einen sehr großen rechtsfreien Raum. Das Raumschiff mit seiner Crew verkörpert den Gesetzeshüter, den man losschickt, um in den vielen kleinen Gemeinden des Grenzlandes für Ordnung zu sorgen.

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #15 am: 24.07.2022 | 01:42 »
Oder anders: Ein Setting, in dem Idealismus sinnlos ist, ist langweilig.

Spannend, eine ziemlich klare Erwartungshaltung. :)

Jain. [...]

Okay, es ist also für dich im Prinzip mehr eine Frage der Rahmenbedingungen des Settings, aber mit deutlicher Tendenz zu eher zwielichtigeren Figuren, kann man das so sagen?

Ja, das käme bei vielen oder zumindest einigen Spielleitern wirklich gut an, wenn man sich mit den Setting-Authoritäten anlegt.

Also, für mich (als SL) käme das jetzt sehr auf die Umstände und auch Ergebnisse an, aber natürlich spielt da auch das Setting mit rein. Starfleet Command scheint ja tendenziell, sagen wir mal, eher 'pragmatisch' zu denken, während die Imperiale Navy wohl besser die Befehle von Darth Vader exakt ausführen sollte.

Dann besser gleich ein rechtsfreieres Setting als darauf hoffen müssen, dass der Spielleiter die Regelbrüche in jeder Session ohne Konsequenzen durchgehen lässt. Das macht das Setting ja auch weniger glaubwürdig.

Das tendiert aber jetzt etwas ins schwarz-weiß Schema, oder? Wo du "glaubwürdig" sagst, hat nicht jedes System auch seine Grauschattierungen? Ist das nicht eher realitätsnahe, als 'unglaubhaft'? :think:

Als sonderlich beliebt nehme ich diesen Ansatz aber nicht wahr, wobei ich öfter das Gefühl habe, dass man sich dabei auch selbst im Weg steht - Stichwort gefühlte Handlungsfreiheit.

Das ist spannend. Mir war nicht bewusst, dass der Ansatz möglicher Weise tatsächlich unbeliebt sein könnte. - Was die Handlungsfreiheit angeht, kommte es sicher wieder auf das Setting an. Ein Cop in Night City ist da vermutlich beschränkter, als eine Gruppe US Marshals im Old West. Aber man kann ja auch vieles schon im Vorfeld klären, bevor man in die erste Spielsitzung einsteigt, dann kann man sich mehr Raum nehmen.

Gut, für plünderbare und zugleich noch nicht tatsächlich geplünderte (!) Ruinen brauchts schon ein bisschen Platz.
Da kann man dann aber auch zumindest hergehen und von "alles kaputt" auf "wir sind wieder im Aufbruch" schwenken, wie es z.B. Earthdawn oder Ruin Masters machen. Das sind zwar sog. "points of light"-Settings, aber immerhin mit der Grundaussage, dass es grad aufwärts geht.
Und alte Hochtechnologie oder -magie plündern und damit wieder was ordentliches anstoßen ist wohl für die meisten ansprechender als in ausgebombten Wohnblöcken nach übriggebliebenen Raviolidosen zu suchen.

Ja klar. Das scheint gerade im SF Bereich relativ beliebt zu sein: Es gab eine weit ausgedehnte Zivilisation, der Kontakt brach zusammen, x Jahrhunderte später bauen wir alles langsam wieder auf... Aber es bleibt halt der Faktor erhalten "zum Zeitpunkt xy der Historie ist irgendwas mal krass schief gegangen". Warum wird so oft dieser Kusntgriff genommen, statt zu sagen: Es lief bisher zwar alles mehr oder weniger gut, trotz unvermeidlicher Rückschläge, aber es ist eine beständige Herausforderung, diesen Zustand zu halten, denn es gibt da draußen diverse Bedrohungen unserer Zivilisation, gegen die wir uns wehren müssen. - Wäre das denn "zu langweilig"?  (Frage jetzt nicht an dich persönlich gerichtet.)

Ein bisschen vom klassischen Dungeoncrawl weg brauchts aber längst keine Kontinente an Platz, um rechtsfreie oder zumindest Räume mit großer Rechtsunsicherheit zu schaffen.
Da gehts auch mal um wenige Kilometer und ganz schnell eher um soziale "Geographie".

Shadowrun? Cyberpunk? Geht das in modernen Setting eigentlich leichter oder eher schwerer, als in Fantasy Welten? :think:

Witzigerweise ist Star Trek schon recht nah am SciFi Western. Die Distanzen sind groß und so hat man, wie im Grenzland, einen sehr großen rechtsfreien Raum. Das Raumschiff mit seiner Crew verkörpert den Gesetzeshüter, den man losschickt, um in den vielen kleinen Gemeinden des Grenzlandes für Ordnung zu sorgen.

Absolut! Star Trek ist immer mit eins der ersten Beispiele, die ich für das Genre "Space Western" aufführe. Darüber hinaus stehen auf meiner Liste u.a. Saber Rider and the Star Sherrifs, Galaxie Rangers, Serenity / Firefly, Cowboy Bebop, Earth 2, Outland (1981) und in Teilen Moon 44, auch wenn da mMn etwas Cyberpunk mit reinspielt.
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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #16 am: 24.07.2022 | 02:54 »
Das ist spannend. Mir war nicht bewusst, dass der Ansatz möglicher Weise tatsächlich unbeliebt sein könnte. - Was die Handlungsfreiheit angeht, kommte es sicher wieder auf das Setting an. Ein Cop in Night City ist da vermutlich beschränkter, als eine Gruppe US Marshals im Old West. Aber man kann ja auch vieles schon im Vorfeld klären, bevor man in die erste Spielsitzung einsteigt, dann kann man sich mehr Raum nehmen.

Ja, wie gesagt: man steht sich da gerne mal ein bisschen selbst im Weg und schaut ungünstigerweise auf die Sektoren, wo Hierarchie und Befehlskette am stärksten zum Tragen kommen.

Klar hat der normale Streifencop in Night City keine große Handlungsfreiheit, aber die hat der Gardist am Stadttor auch nicht.
Da sollte man sich dann schon etwas günstigere Bereiche/Aufgabengebiete und Rahmenbedingungen aussuchen wie z.B. bei Rollen im Militärkontext auch.

Und man darf das Ganze natürlich auch etwas verklären - ist ja bei den U.S. Marshals nicht anders, nur dass da die verklärte Version die öffentliche Wahrnehmung zumindest der historischen Marshals bestimmt und bei anderen Behördenvertretern nicht.

Es lief bisher zwar alles mehr oder weniger gut, trotz unvermeidlicher Rückschläge, aber es ist eine beständige Herausforderung, diesen Zustand zu halten, denn es gibt da draußen diverse Bedrohungen unserer Zivilisation, gegen die wir uns wehren müssen. - Wäre das denn "zu langweilig"?  (Frage jetzt nicht an dich persönlich gerichtet.)

Mir wäre das nicht zu langweilig.
Ich sehe den Fall einer Hochzivilisation o.Ä. als bequemen Weg zu der Situation, hinreichend interessante Dungeons u.Ä. zu haben, die man sinnvoll plündern kann und will.

Notwendig ist das allerdings nicht; es reicht ja, wenn dort irgendwas ist, das grundsätzlich auch in der aktuellen Gesellschaft vorhanden sein könnte, aber nicht vorhanden ist - oder tatsächlich vorhanden ist, aber eben nicht herrenlos wie das, was im Dungeon liegt.

Ist auch immer so ein bisschen die Frage, wie sehr Dungeoneering ein einigermaßen stringent hergeleiteter Berufs- und Wirtschaftszweig sein soll.
Wo man bei der Begründung ein Auge zudrückt oder es nicht mehr so knalleng definiert um Dungeons geht, wird das dann auch sofort einfacher.



Shadowrun? Cyberpunk? Geht das in modernen Setting eigentlich leichter oder eher schwerer, als in Fantasy Welten? :think:

(Unter der Annahme, dass wir mit "Fantasy" meinen: es gelten zumindest grob ähnliche Rahmenbedingungen wie in vergleichbaren irdischen Zeiten.
Wenn das Ganze nur die Moderne im Fantasygewand ist, ist die Unterscheidung natürlich hinfällig.)

Ich sage, es geht in modernen Settings spürbar leichter, weil die soziale "Landschaft" größer und viel weiter aufgefächert ist, während sie zugleich räumlich stärker komprimiert ist.

Verkürzt also: stärkere Urbanisierung (mit allem, was dazu gehört) packt das, was in Fantasy ein ganzer Landstrich, ein Königreich oder gar ein Kontinent an sozialer und rechtlicher Spanne ist, auf ein paar Hundert oder wenige Tausend Quadratkilometer zusammen, wenn nicht noch enger. 

Andersrum gehört die räumliche Trennung/Verdrängung zentral zur vormodernen, wenig urbanisierten (Fäntelalter-)Gesellschaft. Das sind im Kleinen die unreinen Berufe u.Ä., aber interessant wird es bei starken anderen Religionen oder sonstigen Machtgruppen, die mindestens ins Exil gedrängt werden - was wiederum voraussetzt, dass es weiße Flecken auf der Landkarte gibt, wo man überhaupt hin verdrängt werden kann.

Da bekommt man nur über die dortigen Spitzenreiter der Urbanisierung und der zugehörigen relativen Freiheit von zuvor etablierten Machtstrukturen (inklusive einer stark zersplitterten Exekutive) eine Ahnung davon, wie es in deutlich stärker urbanisierten Settings aussieht.
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Camo

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #17 am: 24.07.2022 | 04:16 »
Nun ja, kommt drauf an, wen man fragt... ich liebe Western (neben anderen Genres), ABER... der historische "Wilde Westen" ist in Großteilen eine extrem gesetzlose Zeit, in welcher nur das Faustrecht galt, nebenbei aber Kolonialisten die Ureinwohner unterdrückten, vertrieben oder auch oft genug danach trachteten, sie zu vernichten. Sei das mit Alkohol, Krankheiten oder durch das Verhungern lassen, weil die "Indianeragenten" das Geld für sich abgezweigt haben. Der Rassismus blühte gegenüber Menschen mit anderen Hautfarben und wer stark oder reich war, schuf sich sein eigenes Recht. "Moral-agnostisch" ist eine Verklärung, denn Moral war durchaus bekannt, aber wo es den Mächtigen lästig war, wurde sie ignoriert.

Der historische "Wilde Westen" war also keineswegs ein "positiv aufgeladenes Setting"... und nach dem Bürgerkrieg tobte in den alten Südstaaten der Kapitalismus und die Gier der Nordstaaten, die ohne Skrupel Farmer von ihrem Land vertrieben, weil sie die komplett irrsinnigen Steuern nicht zahlen konnten.

Kann man sich alles natürlich schönbasteln, hat Hollywood ja sehr lange gemacht... ist dann aber halt im Endeffekt "Fantasy", weil das halt nur ein Teil einer Seite der Medaille ist.

Offline takti der blonde?

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #18 am: 24.07.2022 | 04:48 »
Die menschliche Geschichte ist gespickt mit untergegangen Reichen und Zivilisationen. Es scheint mir nahe zu liegen, dass das auch in Rollenspielwelten resoniert, vor allem wenn diese eine fiktive Historie erzählen.

Dass Rollourvater D&D deutliche sword&sorcery DNA in sich trägt, wird sicherlich auch diese Beobachtung miterklären können.

Zudem sind reine Utopien meist nicht spannend. Selbst My Little Pony hat bestimmte Konflikte und Spannungen einprogrammiert.

Wer Probleme hat, sich Ordnungshüter mit ausreichend Freiheitsgraden vorzustellen, dem sei das Werk von David Simon empfohlen: The Wire, Homicide, We own this city etc.

Offline Issi

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #19 am: 24.07.2022 | 06:47 »
Mein Tipp: Man kann dort "dreckigere" Helden spielen.

Nicht wenige SPL sind im Reallife vielleicht nette und sozial angepasste Menschen, und suchen deshalb eine Möglichkeit diese gesellschaftliche Rolle im Spiel Mal vorübergehend  abzulegen.

Keiner erwartet in einem düsteren Setting  strahlende Helden.
Sie dürfen (ja sollen dort) düster sein, oder sogar "Antihelden".
Sie müssen auf die Gesellschaft keine Rücksicht nehmen, (denn die ist ja kaputt).
Sie dürfen sich ganz auf sich selbst und ihr eigenes Überleben konzentrieren.
Sich ohne Reue irgendwo durchschnetzeln (Frustabbau).


Spiele auch eher in "Pussy" - Welten.
Düster darf schon auch Mal sein. ( :ctlu:)
Muss aber nicht.


Edit.
Zur Erklärung: In einem "hellen" Setting, erwartet man auch von den Helden, dass sie die  "Guten" sind. Dass sie die Armen und Schwachen schützen, dass sie auf der Seite von Recht/Gerechtigkeit stehen etc.
Viele Abenteuer sind genauso aufgebaut.

Bsp. Ein Dorf wird überfallen. Und die Helden riskieren ihr Leben für die Dorfbewohner (die sie nicht Mal wirklich kennen) - oder andere Dinge, die ausdrücken: "Große Macht, bedeutet Verantwortung" oder "Es gibt den Leichten und es gibt den richtigen Weg" etc.

Wenn jetzt ein SPL entscheiden würde: Was interessiert meine Figur dieses Dorf (NSC X, ) ?

Dann wären viele Abenteuer schon vorbei, bevor sie überhaupt angefangen haben.
« Letzte Änderung: 24.07.2022 | 07:27 von Issi »

Offline ArneBab

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #20 am: 24.07.2022 | 07:35 »
Der historische "Wilde Westen" war also keineswegs ein "positiv aufgeladenes Setting"...
:d

Dazu passt gut, dass Geschichten im Wilden Westen oft fiktional-überhöhte ehrenhafte Cowboys zeigen. Im Kontrast zu einer kaputten Welt wird deren Ehrenhaftigkeit umso stärker sichtbar, und sie sind einer der wenigen gangbaren Wege, sich eine unschöne Vergangenheit schönzureden, ohne komplett in Illusionen zu versinken.
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Offline Crimson King

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #21 am: 24.07.2022 | 08:11 »
Mal davon abgesehen, dass untergegangene Zivilisationen reichlich erforschbare Ruinen und Loot zurücklassen, finde ich den Aspekt, dass es früher mal eine andere Hochkultur gegeben hat, eigentlich nicht besonders negativ. Bezüglich Negativität stellt sich mir eher die Frage, wie der aktuelle Zustand ist. Befinden wir uns in einer neuen Hochphase, in einer Postapokalypse oder vielmehr direkt in der Apokalypse drin? Wie gehen Menschen und andere damit um?

Settings mit höherem zivilisatorischen Niveau produzieren dagegen ein anderes Spiel, in dem soziale Interaktion insgesamt deutlich stärker betont wird, weil Gewalt als Standardvorgehen zur Konfliktlösung des Öfteren zu Problemen führt.

Mit Blick auf die Geschichte sind Abenteurer im Übrigen tendenziell eher keine Menschen, die höheren moralischen Standards gerecht werden. Die meisten trieb Gier als zentrale Motivation an, Raub, Mord, Plünderung und Versklavung waren an der Tagesordnung, das Leben in den Grenzländern hart und das Maß an Anomie hoch. Ich verstehe sehr gut, dass man sowas nicht spielen will, ich will es auch nicht. Man kann das Problem aber auch von der anderen Seite aus betrachten. Kaputte Settings oder solche, die in großem Maße dunklen Bedrohungen ausgesetzt sind, haben edle Helden viel nötiger als eine Welt, die von Hochzivilisationen in der Blüte ihrer Zeit übersät ist. Eine heile Welt muss nicht geheilt werden.
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.

J.W. von Goethe

Online Raven Nash

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #22 am: 24.07.2022 | 08:17 »
"Zerstört" muss nicht "negativ" sein - denn wenn alles kaputt ist, ist eigentlich die Zeit des Wideraufbaus gekommen. Der aber kann sich verschieden "düster" gestalten, denn entweder man ergeht sich im "alles ist sinnlos" oder man blickt nach vorne. Normalerweise gibt es beides unter den Überlebenden.

Die meisten grim-dark Settings sind, bei genauerer Betrachtung in Wahrheit auch oft recht lächerlich. Die Alte Welt von Warhammer ist z.B. so eine, bei der ich nie wusste, ob das nun Satire sein sollte, oder ungewollt lächerlich war. 40k sowieso.

Wo liegt nun die Faszination? Für mich ist es eben die Möglichkeit, in jede Richtung zu gehen. Man kann der "Held" sein, aber genauso passt der opportunistische Söldner rein. Sogar in die gleiche Gruppe. Und es ist relativ einfach, die Spieler zu motivieren, weil sie meistens Ressourcen brauchen, egal welche genau.

Dazu kommt noch, dass ich Utopien grundsätzlich für unglaubwürdig erachte. Aber ich glaube halt nicht, dass der Mensch grundlegend "gut" ist, weil ich an das Konzept von Gut und Böse nicht glaube. Und an die Menschen gleich gar nicht. Aber das ist meiner düsteren Seele geschuldet.  >;D
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Offline Radulf St. Germain

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #23 am: 24.07.2022 | 08:22 »
Spannende Diskussion. Ich habe schon viel düstere Settings gespielt und mag das irgendwie auch. Irgendwann ist dann aber bei mir Schluss, wenn es zu sehr "edgelordisch" wird und Tabubruch an allen Ecken stattfindet.

Aber ich will jetzt auch mal gern mehr positive Settings haben und die müssen nicht langweilig sein. Ich stelle dazu mal ein paar Thesen auf, die ihr gerne zerpflücken dürft.  ;D

Postapokalyse (vor allem im weiteren Sinne) muss nicht düster sein (gleichzeitig auch von aven Nash gepostet): Ich denke an "Low Life" oder an "Crystal Hearts". Gerade bei letzterem ging viel verloren aber das Leben ist trotzdem nicht schlecht und es gibt viele verlorene Wunder zu finden. Ich denke die Stärke von Grenzalnden und untergegangenen Zivilisationen ist der "Sense of Wonder" und nicht das Elend der Nachgeborenen.

Viele Fantayssettings sind in Teilen auch wieder sehr positiv. (Warhammer ist das Gegenbeispiel.) Gerechte Könige, Helden die den Tag retten, Halblinge werden nicht gemobbt usw. (Halblinge wären Top-Notch Opfer in unserer realen Welt.)

Nicht alle großen düsteren Settings wie Warhammer und W40K sind in meinen Augen deprimierend - sie sind eher satirisch überzeichnet.  Vor allem, weil man nicht die alleinerziehende Mutter mit Strahlenkrankheit spielt, die im Fab arbeitet sondern die coolen Space Marines und Inquisitoren. (Über Vampire et al weiß ich nicht so viel, das scheint mir dann eher wirklich düster.)

Und ist Chuthuluh wirklich düsterer als das, was kurz nach den 20ern in unserer Welt passiert ist? (Point in Case: Fast niemand will ein wirklich realistisches Rollenspiel über das dritte Reich spielen*. Okkulte Magie macht das Setting in meinen Augen erträglicher als düsterer.)



* Ja, gibt es bestimmt. Postet den Link und wir schütteln kollektiv den Kopf bevor wir weiterdiskutieren.  ::)

Offline Loduanor

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #24 am: 24.07.2022 | 08:29 »
Wenn man weiss wer der Böse ist, hat der Tag Struktur.  :D
In den von dir angesprochenen negativen Settings ist es leicht, Konflikte zwischen den Charakteren und der Welt zu definieren, und aus Konflikten lässt sich eine gute Triebfeder basteln um Abenteuer zu erleben. Da stellt sich dann selten die Frage, wie man die eigenen Taten rechtfertigt - wir sind ja die Guten in einer bösen Welt.

Wenn die Aufteilung zwischen den Sith/Imperium und Jedi/Republik nicht so schwarz/weiss gewesen wäre in den Filmen, wäre die Story eine völlig andere gewesen und Luke hätte gar keine klassische Heldenreise gemacht. Dann wäre es vielleicht um zwei religiöse Splittergruppen gegangen, die mit allen Mitteln versuchen, das Universum nach ihren Vorstellungen zu formen. Vielleicht auch eine interessante Story, aber nicht so leicht Hollywood verdaulich.

Ich persönlich mag im Rollenspiel moralische Konflikte, oder mindestens nachvollziehbare Motivationen von Antagonisten, also eher graue Settings. Wenn Orkhorden plündernd und brandschatzend durch die Gegend ziehen, sollte das beispielsweise einen nachvollziehbaren Grund haben (Dürre, Vertreibung, Machtverschiebung o.ä.), und nicht weil Orks grundsätzlich böse und blutrünstig sind.