Autor Thema: Der Hang zu "negativen" Settings  (Gelesen 13503 mal)

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Offline nobody@home

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #125 am: 25.07.2022 | 16:44 »
Gewaltdarstellung ist in der Tat noch mal ein etwas separates Thema, und persönlich denke ich ebenfalls, daß die meisten Rollenspielsysteme spätestens mit der Verwendung abstrakter "Trefferpunkte" anstelle konkreter Verletzungen und anderer Traumata Gewalt schon mal ein gutes Stück weit verharmlosen -- "du triffst für zwölf Schadenspunkte und...okay, der ist erledigt" ist schon in sich eine etwas andere Sache als "Okay, du schlitzt ihm den Bauch auf, und während er zu Boden sackt und seine Gedärme bereits herausrutschen, versucht er noch, auf Orkisch nach seiner Schwester zu rufen, die dein Zaubererkumpel übrigens gerade in eine kreischende und taumelnde lebende Fackel verwandelt hat...".

Andererseits gehört Kämpfen (nicht zwingend immer mit tödlichem Ausgang, aber eben doch der Einsatz körperlicher Gewalt gegen andere in der einen oder anderen Form) meist irgendwie schon einfach mit zum Abenteuergenre, und die Beschreibungen sind da auch in anderen Medien traditionell nicht automatisch gleich immer auf "so brutal und schockierend wie möglich" getrimmt. Ob das also jetzt auch übers spezielle Thema Rollenspiel hinaus grundsätzlich falsch ist oder wohl doch irgendwie okay sein muß, ist letzten Endes vermutlich eine Frage, die allmählich etwas den Rahmen dieses Forums sprengt -- persönlich, denke ich, kann ich auch bei "verharmlosender" Darstellung zwischen Gut und Böse meist noch dadurch unterscheiden, gegen wen sie welche Arten von Gewalt anwenden, da muß das Kunstblut nicht erst in High Definition über den Spieltisch schwappen.

Offline felixs

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #126 am: 25.07.2022 | 16:55 »
@
Felix

Wie stellst du denn dann z.B. Kämpfe und Gewalt im Rollenspiel dar?

Entweder wird stark verharmlost und mit Action-Film-Klischees gespielt.
Oder Gewalt ist realistisch und wird dann vermieden.
Ich bevorzuge zweiteres.

Ich mag Spielweisen, in denen Kämpfe nicht vermeidbar sind nicht besonders.
Fantasy macht es einem teilweise leicht, Kämpfe ohne große Dilemmata  einzubinden - eine Vielzahl von Gegnern ist halt einfach per Definition böse und es ist OK und auch gut, die zu töten. (Und nein, es gibt keine alternative Sichtweise darauf, die sind genau so. Geschaffen, um böse zu sein und böses zu tun).

Ansonsten finde ich nobody@homes Ausführungen treffend.
« Letzte Änderung: 25.07.2022 | 16:57 von felixs »
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Offline Issi

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #127 am: 25.07.2022 | 17:13 »
Gewaltdarstellung ist in der Tat noch mal ein etwas separates Thema, und persönlich denke ich ebenfalls, daß die meisten Rollenspielsysteme spätestens mit der Verwendung abstrakter "Trefferpunkte" anstelle konkreter Verletzungen und anderer Traumata Gewalt schon mal ein gutes Stück weit verharmlosen -- "du triffst für zwölf Schadenspunkte und...okay, der ist erledigt" ist schon in sich eine etwas andere Sache als "Okay, du schlitzt ihm den Bauch auf, und während er zu Boden sackt und seine Gedärme bereits herausrutschen, versucht er noch, auf Orkisch nach seiner Schwester zu rufen, die dein Zaubererkumpel übrigens gerade in eine kreischende und taumelnde lebende Fackel verwandelt hat...".
:'(
Mach, dass der Ork wieder lebt...!
Rettet die Orks!
Die haben doch nur Hunger, und wollen was essen!
 
Ne im Ernst, wir sozialisieren die alle!
Wenn die lernen Tierfleisch oder Gemüse statt Menschen zu essen, sind sie doch harmlos!  :D

@
felix
Hab mit Wesen, die per Setting durch und durch bösen sein sollen, irgendwie trotzdem ein Problem.
(Ist natürlich irrational - da Fiktion)
Außer bei Stechmücken, vielleicht.

« Letzte Änderung: 25.07.2022 | 17:16 von Issi »

Offline tartex

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #128 am: 25.07.2022 | 17:21 »
Entweder wird stark verharmlost und mit Action-Film-Klischees gespielt.
Fantasy macht es einem teilweise leicht, Kämpfe ohne große Dilemmata  einzubinden - eine Vielzahl von Gegnern ist halt einfach per Definition böse und es ist OK und auch gut, die zu töten. (Und nein, es gibt keine alternative Sichtweise darauf, die sind genau so. Geschaffen, um böse zu sein und böses zu tun).

Wobei wir wieder beim Thema "Ist es gerechtfertigt Ork-Kinder zu töten?" wären. Für die einen ist es scheinbar dann ein helles Setting, wenn das schon okay ist, und für andere (wie mich), ist das extremst dyster.
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Offline Issi

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #129 am: 25.07.2022 | 17:29 »
Wobei wir wieder beim Thema "Ist es gerechtfertigt Ork-Kinder zu töten?" wären. Für die einen ist es scheinbar dann ein helles Setting, wenn das schon okay ist, und für andere (wie mich), ist das extremst dyster.
Ich habe das Experiment gewagt, und meiner Gruppe tatsächlich mal eins (Orkbaby)verpasst.

Resultat:
Sie haben sich dann mehr oder weniger rührend darum gekümmert, und ne Ersatzmama gesucht.
« Letzte Änderung: 25.07.2022 | 17:34 von Issi »

Offline nobody@home

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #130 am: 25.07.2022 | 17:49 »
Persönlich würde ich sagen, Settings mit "objektiver" und fest verdrahteter Moral ("Wir sind gut, die sind böse, und nie wird sich daran etwas ändern, denn SO STEHT ES IN DEN REGELN!!!") rutschen allein dadurch ohnehin schon ein gutes Stück weit in Richtung "düster" -- so ein Anspruch wäre mir nämlich schlicht und ergreifend zu totalitär mit allen negativen Assoziationen, die dazugehören. Unsere moralischen Standpunkte beziehen ich und meine Charaktere immer noch selbst, danke (wie sollte es auch anders gehen?), und wer uns mit welcher Ausrede auch immer das Recht dazu absprechen will, ist bei allen gleichzeitig zugestandenen kleinen Schwächen unsererseits wahrscheinlich nicht unser Freund.

Offline Isegrim

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #131 am: 25.07.2022 | 17:54 »
Sind wir jetzt also doch bei den Li-La-Laune-Settings, in denen nur die jemals zum Schwert greifen, die absolut verkommen und böse sind?  ;D

Naja, lieber My little Pony als eine Welt, in der Hoffnungslosigkeit herrscht... ;)
"Klug hat der Mann gehandelt, der die Menschen lehrte, den Worten auch der Anderen Gehör zu schenken."  Euripides

Offline tartex

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #132 am: 25.07.2022 | 18:04 »
Ich habe in den 90igern bei MERP/Rolemaster selbst einen Uruk-Hai, der von Nicht-Orks aufgezogen wurde und ganz nett war, gespielt.

War natürlich X-treme 90ies. ;D Aber es waren halt auch tatsächlich die 90iger und ich war jung.

Der Typ von der schlagenden Burschenschaft in der Runde fand das aber nicht so toll... 8]

Jedenfalls habe ich aus meiner Perspektive einen Beitrag geleistet Mittelerde lebenswerter und heller zu gestalten. Hat mir Spass gemacht!
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Offline Issi

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #133 am: 25.07.2022 | 18:09 »
Sind wir jetzt also doch bei den Li-La-Laune-Settings, in denen nur die jemals zum Schwert greifen, die absolut verkommen und böse sind?  ;D
Natürlich nicht!
Das mit dem "Orkbaby - Dilemma" gibt's halt trotzdem.

Mit Skeletten und Zombies hat wahrscheinlich keiner ein Problem.
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) ~;D

Offline Ma tetz

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #134 am: 25.07.2022 | 18:10 »
Da wird doch ausgerechnet die Konsequenz explizit genannt :think:

Ich kann es nicht so recht nachvollziehen, das Unterlassen einer ausufernden und detailreichen Beschreibung (schon) als Verharmlosung zu sehen.


Du tötest ihn ist halt etwas anderes als Du schlitzt ihm den Bauch auf und....

Durch die detailarme Beschreibung wird die schreckliche Tat erträglicher und ein wesentlicher Teil des Schreckens ausgeblendet. Wie schon gesagt ich finde das nicht verwerflich. Aber ich würde auch nicht sagen, dass das nichts mit den Spielern macht (z.B. Murder Hobbos). Ich finde es aber legitim, so damit umzugehen und mache das tendenziell ja auch selbst so.


Aber wenn wir das weiter vertiefen wollen sollten wir das abtrennen. Das führt recht weit vom Fadenthema weg  :)
« Letzte Änderung: 25.07.2022 | 18:20 von Ma tetz »
Ihr interessiert Euch für den Schatten des Dämonefürsten? Dann kommt zur Höllenpforte (Discordserver).

Offline felixs

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #135 am: 25.07.2022 | 20:27 »
Wobei wir wieder beim Thema "Ist es gerechtfertigt Ork-Kinder zu töten?" wären. Für die einen ist es scheinbar dann ein helles Setting, wenn das schon okay ist, und für andere (wie mich), ist das extremst dyster.

Meine Lösung ist: in hellen Spielwelten kommt die Situation nicht vor.
Ist dann vielleicht eher helle Spielweise.
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Offline Tudor the Traveller

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #136 am: 25.07.2022 | 20:32 »
Das mit dem "Orkbaby - Dilemma" gibt's halt trotzdem.

Nur hat es eigentlich weder mit Orks noch mit Babies etwas zu tun. Es ist einfach ein konstruiertes moralisches Dilemma, die Elemente (Ork / Bedrohung und Baby / Unschuld) sind beliebig austauschbar.

Aber Moralische Zwickmühlen mögen ein wesentlicher Baustein von düsteren Settings sein.
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Offline Doc-Byte

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #137 am: 25.07.2022 | 20:42 »
Hm, ich überleg gerade, ob ich schon im Eingangspost einen Fehler gemacht habe, indem ich die Begriffe "negativ" und "düster" vermischt habe oder ob sich erst durch die Diskussion hier das Gefühl bei mir eingestellt hat, dass ich damit evtl. zwei verschiedene Dinge bezeichne? :think:

  • "Negative" Settings haben für mich primär eine - hm - halt negative Ausgangslage: Alles ist den Bach runter gegangen, die Zivilsation von einst, ist nicht mehr, etc.
  • "Positive" Settings im Gegenzug haben eine funktionierende Gesellschaft, in der es grundsätzlich "posiitv" läuft.
  • "Düstere" Settings werden von Chaos, Willkür, Ungerechtigkeit und Gewalt als unreflektiertes Mittel zum Ziel geprägt.
  • "Helle" Settings sind etwas schwerer zu greifen, da es ja viele Schattierungen gibt. Ich würde sagen, in einem "hellen" Settings gibt es irgendeine Macht oder Gruppierung, die bestrebt ist, entweder den postiven Zustand zu erhalten oder einen negativen Zustand zu verbessern.

Diese Aufteilung auf 4 statt 2 Aspekte macht es vielleicht etwas leichter, zumal sich durch Kombiationen noch mehr Zustände ergeben. Beispiele:

  • Earth Dawn ist ein negatives Setting, aufgrund des Fokus auf Wiederaufbau und -entdeckung aber auch ein eher "helles" Setting. (Auch wenn man es natürlich alternativ sehr düster darstellen könnte.)
  • Star Trek ist (wenn man mal Discovery außen vor lässt) ein positives Setting und mit der Föderation sehr hell ausgerichtet.
  • Star Wars ist eine wunderbare Mischform. Die Republik ist zwar untergegangen, wurde aber unmittelbar vom Imperium abgelöst, es brach also nicht alles im Chaos zusammen. Und auch wenn das Imperium düster ist, gibt es mit den Rebellen auch Licht im Setting.
  • Gewisse Zeitabschnitte in Aventurien könnte man als positiv-düster bezeichnen. Die Schwarzen Lande sind gefallen, aber das Mittelreich hat überlebt und ist bemüht, die Dämonenherrscher wieder zu vertreiben.

... Und daran, dass mir jetzt spontan kein negativ-düsteres Setting einfällt, kann man schon sehen, dass es wichtig war, die obige Trennung vorzunehmen, denn "nur" negative Settings könnte ich schon noch ergänzen.
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Offline felixs

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #138 am: 26.07.2022 | 00:09 »
Aber Moralische Zwickmühlen mögen ein wesentlicher Baustein von düsteren Settings sein.

Scheint mir auch eine Bestätigung der (ziemlich fragmentarischen) These zu sein, dass der Unterschied vielleicht eher die Spielweise ist als die Spielwelt.

Ob es moralische Dilemmata gibt, hängt davon ab, ob a) Spieler und/oder Figuren geeignete moralische Maßstäbe haben und anwenden. Und ob b) eine Situation vorkommt, in der das eine Rolle spielt. Das entscheidet in den meisten Fällen vermutlich der Spielleiter, der ein Dilemma entweder forcieren oder vermeiden kann.

Ich mag (meistens) keine moralischen Dilemmata im Rollenspiel.* Das ist dann wieder eine Frage des Geschmacks und ggfs. der individuellen Belastbarkeit.

*Begründung
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Offline Lichtschwerttänzer

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #139 am: 26.07.2022 | 00:43 »
ch wollte eigentlich tatsächlich die Frage stellen, warum man denn in einem eher positiven Setting spielen möchte. Denn das erschließt sich mir wirklich nicht so richtig.
Warum?
Muß das positive nicht geschützt und verteidigt werden
 
Ich sehe eher Probleme beide in einem düsteren Setting zusammenzubringen als in einem anderen.
Im düsteren Setting müssen ggf von den Guten 80 Jungfrauen geopfert werden um die finstere Magie abzuwehren.
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Offline nobody@home

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #140 am: 26.07.2022 | 00:48 »
"Moralische Zwickmühlen" verbinde ich, ehrlich gesagt, im Reflex in erster Linie mit (A)D&D-Paladinen alter Schule, die ja als fast einzige Klasse explizit ihre Kräfte verlieren konnten, wenn sie sich nicht hinreichend sklavisch an ihren Verhaltenskodex gehalten haben. Ansonsten fallen mir so viele Beispiele eigentlich schon gar nicht mehr ein...

...zumal ein echtes moralisches Dilemma ja schon eins sein müßte, bei dem sich die moralisch zweifelhaftere Wahl auch tatsächlich zumindest für eine Weile mehr auszahlt als die "eigentlich richtige". Wenn ich weiß, daß ich mit der "guten" Entscheidung letztendlich eh immer besser fahre (z.B., weil die "schlechte" Seite ja eh nur lügt und betrügt), dann ist das ja schon keine wirkliche Zwickmühle mehr, und bei einer Wahl zwischen von vornherein nur gleich schlechten Ausgängen ("Rette A oder B, der jeweils andere stirbt!") hält sich zumindest die große moralische Dimension auch eher in Grenzen.

Offline Issi

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #141 am: 26.07.2022 | 08:23 »
Nur hat es eigentlich weder mit Orks noch mit Babies etwas zu tun. Es ist einfach ein konstruiertes moralisches Dilemma, die Elemente (Ork / Bedrohung und Baby / Unschuld) sind beliebig austauschbar.

Aber Moralische Zwickmühlen mögen ein wesentlicher Baustein von düsteren Settings sein.
Naja - es passiert ja erstmal nichts Schlimmes, wenn sie das Orkbaby am Leben lassen.
Es lebt eben weiter.
Es besteht sogar die Chance, dass dieses Baby nie großen Schaden anrichtet.
Die Rettung mehr oder weniger ohne negative Folgen bleibt.

Bei einer harten moralischen Zwickmühle, müsste man wählen ob man z.B. lieber einen Freund sterben lässt oder ein ganzes Dorf.
Aber klar ist: Die Wahl entscheidet unmittelbar über Leben und Tod.

Eine weitere Zwickmühle wäre auch ob man  gegen seine Vorgesetzten, seine Prinzipien, seinen Glauben handelt, um seinem Gefühl zu folgen oder nicht.

Am Ende geht es um innere Konflikte, bei denen Emotionen und Verstand nicht einer Meinung sein müssen. Um die Wahl mit der die Figur besser leben kann.

Bei Figuren die keine Moral, keine Empathie mehr haben, kann man sich solche Zwickmühlen allerdings sparen. Die werden sich dann für die Lösung entscheiden, die ihnen weniger Probleme macht oder die ihnen mehr Ruhm, Geld etc. einbringt.
Insofern eigenen die sich für düstere Settings mit dreckigen Helden eher weniger.
Höchstens als "Rest- Empathie - Test."
« Letzte Änderung: 26.07.2022 | 08:49 von Issi »

Offline nobody@home

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #142 am: 26.07.2022 | 08:55 »
Das "Orkbaby-Problem" ist aus meiner Sicht eigentlich eh kein Dilemma. Wenn Orks nämlich tatsächlich von Grund auf böse sind, dann sind sie das natürlich auch schon in ihrer Erscheinungsform als Babies -- die sind dann schon aus von vornherein urbösen Samen- und Eizellen hervorgegangen und haben womöglich schon als Ungeborene ihre Geschwister in der Gebärmutter abgemetzelt, und dann greift die gängige "Aber Kinder sind doch noch unschuldig!"-Hypothese bei ihnen einfach nicht. Da spielt dann die Spielleitung also eigentlich nur hinterhältig und mit Vorsatz die Alltagsmoral der Spieler (in deren realem Leben "grundsätzlich böse" Lebensformen eher nicht so vorkommen) gegen das pragmatische Wissen der Charaktere (die sich mit so etwas eben doch herumschlagen müssen) aus und nennt es dann eine große Gewissensfrage...die es aber in Wirklichkeit gar nicht ist.

Und wenn Orkbabies nun doch nicht von Grund auf schlecht und unrettbar verdorben sind...dann stellt das natürlich auch das beiläufige Umbringen von erwachsenen Orks einfach bloß, weil sie halt "nur" Orks sind, gleich wieder in ein etwas anderes Licht. Das, was da gerade achtkantig aus dem Fenster geflogen ist? Das war unsere Ausrede dafür, daß diese Praxis okay sein soll. >;D

Offline Issi

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #143 am: 26.07.2022 | 09:18 »
Das "Orkbaby-Problem" ist aus meiner Sicht eigentlich eh kein Dilemma. Wenn Orks nämlich tatsächlich von Grund auf böse sind, dann sind sie das natürlich auch schon in ihrer Erscheinungsform als Babies -- die sind dann schon aus von vornherein urbösen Samen- und Eizellen hervorgegangen und haben womöglich schon als Ungeborene ihre Geschwister in der Gebärmutter abgemetzelt, und dann greift die gängige "Aber Kinder sind doch noch unschuldig!"-Hypothese bei ihnen einfach nicht.
Doch - unzwar in der Form, dass man annimmt: In dieser hilflosen, kleinen Form, können sie noch nichts ausrichten.
Höchstens jmd. beißen. Aber da sie auch nen Überlebenstrieb haben, werden sie die einzige Hand die sie füttert, wohl eher nicht angreifen.

Ein gewisses Ehrgefühl könnte auch dazu führen, dass man sagt: "Wir sehen uns dann wieder wenn du groß bist."
(Ich erledige dich erst, wenn du wirklich jmd. schadest.)
Oder auch "Ich töte niemanden, der noch keine ernste Gefahr ist, und sich nicht Mal dagegen wehren kann."

Die andere Seite wäre die: " Ich töte den Ork jetzt, wenn er sich noch nicht wehren kann, denn er wird irgendwann, wenn er groß ist, mal zur Gefahr."  ( Das ist dann allerdings mit "Wenns" und "Abers" und "Eventualitäten " versehen, da er in seinem aktuellen Zustand, und zum jetzigen Zeitpunkt, noch keinerlei Schuld auf sich geladen haben kann. Also perse noch unschuldig ist.)

Ohne böse Tat, keine Schuld.

Wenn sich jetzt ein "böses" Wesen dazu entscheidet, nicht "böse" zu handeln.
(Gibt es ja in zahlreichen Filmen- Vampire, Dämonen, Teufel  whatever)
Dann sind auch sie unschuldig.
« Letzte Änderung: 26.07.2022 | 09:43 von Issi »

Offline Lichtschwerttänzer

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #144 am: 26.07.2022 | 09:59 »


Ich mag Spielweisen, in denen Kämpfe nicht vermeidbar sind nicht besonders.
Kämpfe sind immer vermeidbar, aber um welchen Preis sind sie das
Ich habe in den 90igern bei MERP/Rolemaster selbst einen Uruk-Hai, der von Nicht-Orks aufgezogen wurde und ganz nett war, gespielt.

War natürlich X-treme 90ies. ;D Aber es waren halt auch tatsächlich die 90iger und ich war jung.

Der Typ von der schlagenden Burschenschaft in der Runde fand das aber nicht so toll... 8]

Jedenfalls habe ich aus meiner Perspektive einen Beitrag geleistet Mittelerde lebenswerter und heller zu gestalten. Hat mir Spass gemacht!
Problem ist, das Orks in Mittelerde nicht wählen können.
Das ist der Grund warum ihre Korruption als Morgoth s verwerflichste Tat gilt
“Uh, hey Bob?”
“What Steve?”
“Do you feel like we’ve forgotten anything?”
Sigh. “No Steve. I have my sword and my bow, and my arrows and my cloak and this hobbit here. What could I have forgotten?”
“I don’t know, like, all of our stuff? Like the tent, the bedroll, my shovel, your pot, our cups, the food, our water, your dice, my basket, that net, our spare nails and arrowheads, Jim’s pick, my shovel, the tent-pegs…”
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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #145 am: 26.07.2022 | 10:48 »
Problem ist, das Orks in Mittelerde nicht wählen können.
Das ist der Grund warum ihre Korruption als Morgoth s verwerflichste Tat gilt

Ja, aber ich habe ein negatives Setting durch Kraft meines Spielerwillens in ein positives Setting verwandelt, wo das Gute über die Fesseln der Abstammung siegen kann.

Darauf wollte ich hinweisen.
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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #146 am: 26.07.2022 | 11:43 »
Was dann natürlich nicht mehr kanonisch ist und den Kanon zu brechen sehe ich als problematisch an.
Genauso wenn man Cthulhu spielt und Magie problemlos gewirkt werden kann
“Uh, hey Bob?”
“What Steve?”
“Do you feel like we’ve forgotten anything?”
Sigh. “No Steve. I have my sword and my bow, and my arrows and my cloak and this hobbit here. What could I have forgotten?”
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Offline felixs

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #147 am: 26.07.2022 | 11:47 »
...zumal ein echtes moralisches Dilemma ja schon eins sein müßte, bei dem sich die moralisch zweifelhaftere Wahl auch tatsächlich zumindest für eine Weile mehr auszahlt als die "eigentlich richtige". Wenn ich weiß, daß ich mit der "guten" Entscheidung letztendlich eh immer besser fahre (z.B., weil die "schlechte" Seite ja eh nur lügt und betrügt), dann ist das ja schon keine wirkliche Zwickmühle mehr, und bei einer Wahl zwischen von vornherein nur gleich schlechten Ausgängen ("Rette A oder B, der jeweils andere stirbt!") hält sich zumindest die große moralische Dimension auch eher in Grenzen.

Worauf beziehst Du Dich?
Ich dachte, das was ich geschrieben hätte, wäre ziemlich klar gewesen. Aber vielleicht beziehst Du Dich auf was anderes.
Was ich meinte: Ich mag es nicht, im Spiel Entscheidungen treffen zu sollen, die ich irgendwie ethisch problematisch oder moralisch belastend finde.

Haarspaltereien mal beiseite: Es ist natürlich ein Dilemma, wenn man entscheiden muss, ob Person A oder B (beide unschuldig) stirbt. Menschen zerbrechen im realen Leben an solchen Entscheidungen.
Ob das im Rollenspiel dann auch so sein muss, hängt vom Spielstil ab. Ohnehin hängt sehr vieles davon ab - wenn alle damit einverstanden sind, kann man ziemlich viele Sachen "einfach so" runterspielen, ohne dass es in belastende Bereiche und verstörende Details gehen muss. Es scheint aber auch einen Spielstil zu geben, der genau diese Dinge sucht. Da wäre für mich der entscheidende Unterschied, der den Grad der "Fynsternis" ausmacht.

Kämpfe sind immer vermeidbar, aber um welchen Preis sind sie das

Das ist grundsätzlich ein guter Punkt, grenzt hier aber wieder hart an Sophisterei.
Ich würde wieder auf die Macht der Spielweise verweisen: Ich möchte entsprechend eine Spielweise, bei der Kämpfe kreativ und mit gutem Ausgang vermieden werden können.
(Nochmal: Nicht alle sollen so spielen, ich möchte so spielen.)

Was dann natürlich nicht mehr kanonisch ist und den Kanon zu brechen sehe ich als problematisch an.

Das hingegen ist ein guter Punkt ohne Abstriche.
Ich würde vorschlagen: Den Kanon zu verändern ist nur OK, wenn alle einverstanden sind. Dann aber ist es OK. Ist das konsensfähig?

Doch - unzwar in der Form, dass man annimmt: In dieser hilflosen, kleinen Form, können sie noch nichts ausrichten.
Höchstens jmd. beißen. Aber da sie auch nen Überlebenstrieb haben, werden sie die einzige Hand die sie füttert, wohl eher nicht angreifen.

Ein gewisses Ehrgefühl könnte auch dazu führen, dass man sagt: "Wir sehen uns dann wieder wenn du groß bist."
(Ich erledige dich erst, wenn du wirklich jmd. schadest.)
Oder auch "Ich töte niemanden, der noch keine ernste Gefahr ist, und sich nicht Mal dagegen wehren kann."

Die andere Seite wäre die: " Ich töte den Ork jetzt, wenn er sich noch nicht wehren kann, denn er wird irgendwann, wenn er groß ist, mal zur Gefahr."  ( Das ist dann allerdings mit "Wenns" und "Abers" und "Eventualitäten " versehen, da er in seinem aktuellen Zustand, und zum jetzigen Zeitpunkt, noch keinerlei Schuld auf sich geladen haben kann. Also perse noch unschuldig ist.)

Ohne böse Tat, keine Schuld.

Wenn sich jetzt ein "böses" Wesen dazu entscheidet, nicht "böse" zu handeln.
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Dann sind auch sie unschuldig.

Oh weh... Dazu würde mir dermaßen viel einfallen, dass es den Rahmen hier völlig sprengen würde. (Allein Begriffe von "Schuld" und "Ehre" - darüber könnte man sich vermutlich seitenlang streiten).
Vermutlich hatten wir auch schonmal irgendwo eine Diskussion dazu?
Würde jedenfalls vorschlagen, dass hier ruhen zu lassen.
« Letzte Änderung: 26.07.2022 | 11:56 von felixs »
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Offline Isegrim

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #148 am: 26.07.2022 | 12:03 »
Genauso wenn man Cthulhu spielt und Magie problemlos gewirkt werden kann

Einfach nen großen alten spielen und zeigen, dass die auch voll knuffig sind... ;)
"Klug hat der Mann gehandelt, der die Menschen lehrte, den Worten auch der Anderen Gehör zu schenken."  Euripides

Offline nobody@home

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Re: Der Hang zu "negativen" Settings
« Antwort #149 am: 26.07.2022 | 12:09 »
Wenn sich jetzt ein "böses" Wesen dazu entscheidet, nicht "böse" zu handeln.
(Gibt es ja in zahlreichen Filmen- Vampire, Dämonen, Teufel  whatever)
Dann sind auch sie unschuldig.

Tja -- dann ist es eben auch nicht grundsätzlich und unvermeidbar "böse". Du kannst nicht beides haben. ;)

Letzten Endes gibt's aus meiner Sicht eigentlich nur einen plausiblen Grund für einen "totalen Krieg" gegen eine andere Lebensform einfach als solche, und zwar dann, wenn man mit denen tatsächlich schlicht und ergreifend nicht friedlich nebeneinander her existieren kann -- also vielleicht so eine Beziehung wie die zwischen Mensch und Ebolavirus. Und selbst da ist ja das eigentliche Hauptproblem nur, daß wir uns mit dem Virus nicht einfach darauf einigen können, keine Menschen mehr zu befallen, sonst könnten wir auf vernünftige Distanz immer noch Nachbarn sein...man merkt, der Anspruch ist schon einigermaßen hoch gesetzt, was er meiner unbescheidenen Ansicht nach aber auch sein sollte. :)

Alltäglichere und individuellere Freund-Feind-Beziehungen kann ich ja ohne weiteres immer noch haben, dafür brauche ich die große kosmische Moralkeule nicht.