Uaah,ich muss es nochmal betonen:
Was ihr in Apocalypto zu sehen bekommt, widerspricht insgesamt dem, was über die Mayakultur zu der Zeit bekannt ist.
Es ist ein Zerrbild mit jeder Menge aztekischer Einsprengsel, und massenhaft freitobender Drehbuchfantasie. Und es IST ignorant. Jeder Mesoamerikahistoriker hat sich die Haare gerauft, als er den Film sah. Den Maya wird da eine Maske übergerstülpt, die nichts mit ihnen zu tun hat.
Sowas wäre noch halbwegs tolerierbar, wenn es ein Indioregisseur gemacht hätte, aber wenn das Europ#er (im weitesten Sinne) machen, ist das schon arg dreist.
Man kann den Film natürlich als Parabel auf universelle Ungerechtigkeiten sehen (die aber so extrem wie im Film so gut wie nie historisch auftreten), aber wozu wird das dann in Pseudo-Maya-Kostüm vorgeführt? Das hätte man auch im Dreißigjährigen Krieg vorführen können, und sich da einfach mal an die Gegebenheiten halten können.
Als reiner Action-Fantasy-Reißer funkltioniert der Film einwandfrei, und entwickelt ein atemberaubendes Tempo. Aber die entwürdigende Karikatur der Mayakultur finde ich extrem gefährlich, weil eben viele Leute dann glauben, so wären die tatsächlich gewesen.
Wie gesagt, nicht mal ansatzweise. Teile der Tracht und der Ausrüstung waren korrekt, und die Sprache. Das wars. Gesellschaftssystem, Infrastruktur, Ausbeutung, Sklaverei - all das war völliger Blödsinn.
Ich selber hab ihn deswegen auf der Ebene "historische Darstellung" völlig abgehakt, und seh ihn lediglich als Thriller. Ich kann nur jedem empfehlen, es auch so zu machen, und bitte nicht im Geringsten als irgendwie korrekt, was die Darstellung mesoamerikanischer Kulturen angeht, zu betrachten.
Hast du da vielleicht Eindrücke von Historikern / Archäologen / Anthropologen / Kulturwissenschaftlern im Allgemeinen mit mesoamerikanischem Forschungsschwerpunkt? Ich habe einige Kritikpunkte seinerzeit mitbekommen, weil wir im archäologischen Institut einen jungen Forscher hatten, der als Forschungstaucher in Mexiko Höhlen- und Cenotenforschung betrieben hat und in dem Rahmen auch Seminare zur Mayakultur gegeben hat; auch in Hinblick auf Kulturtransfer zwischen Azteken und Mayas. Da war das Ganze auch recht umstritten, soweit ich das erinnere, allerdings "musste" ein paar Punkten aus damaliger Forschungssicht (2008-2011) recht gegeben werden.
Obzwar ich deine Kritikpunkte verstehen kann, bräuchte ich ggf. - als relativ Unwissender, was Mayakultur angeht - etwas mehr thematisches und inhaltliches Futter, um mir eine Meinung zu machen.
Historische Plausibilität vs. cineastische Dramaturgie ist an sich als diffuses Streitthema bekannt und zudem ist gerade die historische Plausibilität immer ein schwieriges Thema. Ich habe aber das Gefühl, dass trotz aller Kritik an Apocalypto, die Plausibilitätsfrage nicht so leicht ist, wie sie erscheint. Wenn ich recht informiert bin, hat mit Richard Hansen, ein namhafter Mayaforscher, die historische Betreuung des Projektes Apocalypto übernommen gehabt. Auch er hat die Problematik herausgearbeitet, dass die Maya einseitig und im Untergang befindlich dargestellt werden, ohne auf ihre Leistungen (im Sinne von Entdeckungen und Kulturleistungen) hinzuweisen, hat sicher auch die cineastische Überzeichnung herausgearbeitet, aber eben grundsätzlich diese Versatzstücke bestätigt; so hat es wohl gerade in der Spätphase der von den Azteken bedrängten Mayas wohl auch Mayaopferungen im aztekischen Stil gegeben.
Dies soll hier nichts rechtfertigen oder ich will nicht behaupten, dass die eine oder andere Darstellung richtig ist. Aber deine Reaktion hat mich animiert, genauer dahinter schauen zu wollen.
Weiß ich nicht. Die Leute glauben alles mögliche. Es gibt zum Beispiel dutzende Filme und andere Medien zu Julius Caesar. Darunter auch entlarvende Versuche ihn als den demagogischen Despoten und Völkermörder darzustellen der er war und trotzdem glauben die Leute noch immer an den aufopfernden Volkshelden, zu dem er sich selbst in Mein Kampf De bello Gallico stilisiert hat (erstaunlicherweise auch viele selbst ernannte Historiker).[...]
Nicht nur selbsternannte Historiker. Auch prämierte, mit diversen Preisen ausgezeichnete und für ihre Forschungsmeriten gerühmte Historiker durch die Zeiten. Caesar ist seit jeher eine Person, an der sich die Geister spalten, die aber allzu häufig eben auf ihre Person reduziert wird, ohne sie im historischen Kontext der Spätrepublik zu lesen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wenn Werke diesen Kontext setzen, sowohl die Pro-Caesar- als auch die Anti-Caesar-Darstellungen einen außerordentlichen Reiz entwickeln.
Gerade in diesem Zusammenhang ist im Übrigen die in die Jahre gekommene Lektüre Theodor Mommsens über die Geschichte Roms sehr spannend. Sie ist sowieso gut zu lesen, aber Mommsen persönlich hatte quasi schon eine solche Verehrung für Caesar über, sodass er den Tod Caesars nicht beschreiben mochte. Hingegen wenig hatte er für Cicero übrig.
„Als Staatsmann ohne Einsicht, Ansicht und Absicht, hat er nach einander als Demokrat, als Aristokrat und als Werkzeug der Monarchen figurirt und ist nie mehr gewesen als ein kurzsichtiger Egoist.“ – Theodor Mommsen: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus; S. 572
Gerade nach dem, wie wir heute gerne Caesar sehen (SIC SEMPTER TYRANNIS! - Also eher mit "feixender Freude" über Brutus Tat) und wie wir heute Cicero sehen (Last Jedi of the Republic
), ist das schon eine spannende Lektüre über Zuschreibungen. Mommsen haben wir wahrscheinlich im deutschen Sprachraum maßgeblich den sehr guten Ruf Caesars zu verdanken, der ja erst in den letzten 3-5 Jahrzehnten wieder zunehmend und ernsthaft gebröckelt ist, aber grundsätzlich noch in der allgemeinen Wahrnehmung intakt ist.
Diese Darstellungen basieren aber afs alten Werken, Zuschreibungen und Interpretationen. Und wer sich mit der römischen Geschichtsschreibung beschäftigt hat, kennt vielleicht dieses kleine Caveat, das man allen römischen Geschichtswerken (ob zeitgenössisch oder in späterer Überlieferung) anhängen sollte. Sie sind häufig subjektiv wertend, urteilend und moralisierend. Viel unserer Sicht ist auch dadurch geprägt oder viel unser Erkenntnisfähigkeit dadurch vernebelt.
@Threadthema
Habe letzten Freitag
Dunkirk gesehen und war alleine aufgrund der cineastischen Erfahrung des Films sehr angetan. Der Film lebt allein von seiner Atmosphäre und davon, dass er eben nicht eine große Rahmengeschichte erzählen will. Eigentlich will er nicht so wirklich eine Geschichte im klassischen Sinne erzählen. Er will wirken und ein wenig vom unabwägbaren Überleben im Kriege erzählen. Und wenn man das Glück hat, dass der Film auf einen wirken kann oder man dies sogar aktiv zulassen kann, dann hat der Film definitiv seine Stärken. Vor allem auch eine solide Leistung der Schauspieler, die in den wenigsten Szenen auf Pathos geht, sondern sich in einem ausnehmenden Minimalismus zeigt. Insofern ist Tom Hardy nicht nur in Sachen "coole Sau" spielen eine geeignete Besetzung, sondern auch in seiner per se häufig minimalistischen Darstellungsart.
Wer also einfach mal knapp 100 Minuten Kino sehen oder in seiner Bild- und Tonvielfalt einfach genießen möchte, kann den Film bedenkenlos schauen. Er ist - auch wenn das Thema Überleben ist - im Übrigen fernab der modernen Gliedmaßenzerfetzkriegsfilme, wie wir es bei Hacksaw Ridge bspw. zuletzt sehen konnten.