Autor Thema: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland  (Gelesen 22307 mal)

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Offline scrandy

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Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
« Antwort #125 am: 27.11.2016 | 23:19 »
Du hast Recht, dass in Deutschland Fantasy ein "trivialliteratur" Image hat. Deswegen gibt es ja die Versuche alles was gut ist in andere Genre zu drängen. Aber das wird irgendwann einfach nicht mehr gehen. Ich glaube auch nicht das es zielführend ist. Es ist eher ein Makel, dass deutsche Hochliteratur tatsächlich einen Bogen um gewisse Genres machen und man nicht akzeptieren kann wenn ein Werk in einem gemiedenen Genre gut ist. Aber das wird sich ändern.

Ich erinnere mich noch an eine Zeit in der man nicht zu laut in der Schule sagen durfte, dass man gerne Filme guckte, weil die ja "offensichtlich verblöden". Jetzt da die Feuilletons auch hin und wieder über Qualitätsserien und co schreiben wird auf einmal Film zum Thema in Schule und man schaut dinge die zu ihrer Zeit verurteilt wurden. Das wird auch was die Genre betrifft irgendwann passieren.

PS: Zum Thema Dracula: Natürlich können wir da jetzt drüber diskutieren ob es Hochliteratur ist. Wenn ich in meine englische Literaturgeschichte schaue ist er jedenfalls aufgeführt. Und wenn man ehrlich ist, ist er einer der besseren Gothic Fiction Bücher. Ob das jetzt unseren persönlichen Ansprüche genügt, ist ein anderes Thema. Ich finde Stolz und Vorurteil auch nicht literarisch wertvoll - allerdings durchaus unterhaltsam  :P "Mr Darcy"  :o - vor allem mit Zombies. 
« Letzte Änderung: 27.11.2016 | 23:25 von scrandy »
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Offline Crimson King

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Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
« Antwort #126 am: 27.11.2016 | 23:19 »
Landserheft ist keine Literaturgattung, sondern ein Format zum Verlag von Soldatengeschichten.

Schränkt man Arztroman auf die Schundheftchen vom Zeitschriftenstand ein, kommt man da ggf. hin. Ob die Einschränkung zulässig ist, steht auf einem anderen Blatt. Natürlich kriegt man das auch bei Fantasy so hin. Wenn man das Genre einfach so definiert, dass alles, was einem wie auch immer gearteten Anspruch genügt, keine Fantasy ist, klappt das. Mir wäre aber neu, dass Fantasy so definiert ist.
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.

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Pyromancer

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Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
« Antwort #127 am: 27.11.2016 | 23:26 »
Wenn man das Genre einfach so definiert, dass alles, was einem wie auch immer gearteten Anspruch genügt, keine Fantasy ist, klappt das. Mir wäre aber neu, dass Fantasy so definiert ist.

Dir ist echt noch nicht aufgefallen, dass Fantasyromane mit Anspruch in Deutschland (oft) nicht Fantasyromane genannt werden?

Offline scrandy

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Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
« Antwort #128 am: 27.11.2016 | 23:28 »
Dir ist echt noch nicht aufgefallen, dass Fantasyromane mit Anspruch in Deutschland (oft) nicht Fantasyromane genannt werden?
Doch, aber das ist dauerhaft kein haltbarer zustand, wenn alleine die hochnäsigen deutschen ein Extragenre definieren während die restliche Welt anspruchsvolle Fantasy akzeptieren kann.
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El God

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Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
« Antwort #129 am: 27.11.2016 | 23:59 »
Wir sind allerdings nicht in der Position, das zu beeinflussen. Insofern wäre ein Ausweichen auf "Phantastik" vermutlich zumindest mittelfristig der bessere Weg.

Offline Kowalski

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Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
« Antwort #130 am: 28.11.2016 | 17:46 »
@Kowalski
Ich antworte jetzt nicht auf jede Zeile. Das ist zu anstrengend und führt zu keiner flüssigen diskussion.
Es ist zwar sicherlich richtig, dass es gewisse Merkmale gibt, die Hochliteratur haben muss. Das heißt aber nicht, dass alles was diese Merkmale besitzt auch als solche einsortiert wird. Das Problem ist erstens, dass die Menschen, die Kritiken schreiben und somit für eine erste Einstufung und später für eine Canonisierung sorgen ersteinmal auf das Werk aufmerksam gemacht werden müssen. Wenn aber ein hochwertiges Fantasywerk erst garnicht veröffentlicht wird weil es nicht ins Bild der Genre passt, dann später von den Kritikern nicht gelesen wird, weil Fantasy ja als Schund eingestuft wird, dann kann dieses Genre auch nie Hochliteratur hervorbringen.

Wenn dem Autor an einer Veröffentlichung liegt, dann verlegt er es eben selbst. Das machen 80-95% der Autoren so.

Man darf bei aller vordergründigkeit von Qualitätskriterien nicht vergessen das Hochkultur letztendlich nur die Kultur der Oberschicht ist, die um die Massenkultur ergänzt wurde als ende des 19. Jahrhunderts sich eine Massengesellschaft gebildet hat in der jeder auf einmal Kultur konsumierte. Heute haben wir aber das seltsame Phänomen, dass es Werke aus diese Massenkultur gibt, die objektiv betrachtet auch gewisse Qualitäten haben und plötzlich gewertschätzt werden. So wird Graffiti plötzlich zu Streetart, im Schundmedium Film findet man plötzlich Autorenfilme und Qualitätsserien und auch bei Fantasybüchern gibt es einzlene Werke, denen gewisse Qualitäten zugeschrieben werden.

Mit der Alphabetisierung geht der Fokus auf die Oberschicht weg. Ein Großteil der Romane die FÜR die Oberschicht geschrieben wurde sind, verdientermaßen, VERGESSEN. Weil sie eben auch nur Trivialliteratur sind, zur Unterhaltung geeignet, mehr nicht. Schau Dir zum Beispiel Georg Büchner an. Seine Themen sind keine Themen der Oberschicht. Das sind die Bücher von Schiller und Goethe auch nicht. Es wird zwar das Bildungsbürgertum angesprochen und aufgeklärte Aristokraten, aber es gibt keine breite Mittelschicht. Das kommt erst mit dem 19-ten Jahrhundert.

Schau Dir Bertold Brecht an, das sind auch nicht vornehmlich an die Oberschicht gerichtete Werke.

Im englischsprachigen Raum gilt schon lange sowas wie Dracula und Frankenstein als Hochliteratur. Auch the Monk und the Castle of Otranto sind Hochliteratur und werden von Kritikern behandelt und in der Uni gelesen obwohl aktuelle Werke viel besser sind und diesen Status noch nicht haben. Im deutschen tun sich die Kritiker aber viel schweren damit diese Genre überhaupt anzufassen.

Eben. Englischsprachig. Das findet dann in der Anglistik statt. Werke von Trageweite sucht man in deutscher Sprache vergeblich. Oder sie sind noch nicht entdeckt.
Der Punkt ist das so ein "Me too" Werk bei der Kritik, verdientermaßen, durchfällt.
Literatur kann man nicht nur im eigenen Saft der eigenen Sprache betrachten.

Wobei. Franz Kafka ist schon ziemlich phantastisch.

Soldatenromane, bzw. Romane die mit dem Thema eng verbandelt sind:
Woytzek
Der Untertan
Der Hauptmann von Köpenick
Im Westen nichts neues
Der Brave Soldat Schwejk
08/15
Blechtrommel, Katz und Maus

Mich wundert aber nicht das z.B. "Starship Troopers" nicht auf der Liste ist.
Oder irgendeines der "Perry Rhodan" Bücher

Ein Nachteil in Genres ist das man oft erst den "Code" knacken muss. Was ist Fluff den man ignorieren kann, was ist "Crunch"?
« Letzte Änderung: 28.11.2016 | 18:15 von Kowalski »
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El God

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Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
« Antwort #131 am: 3.12.2016 | 17:41 »
Ich habe gerade folgende interessante Vorlesung gefunden, in der es genau um die Frage geht, wie man den Wert/ die Qualität von "Hochliteratur" bzw. Literatur als Kunstform bestimmen kann.

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Offline Yerho

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Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
« Antwort #132 am: 23.12.2016 | 22:50 »
Auf die alle Jahre wieder aufkeimenden Unterscheidungsversuche von Hoch- und Schundliteratur lasse ich mich längst nicht mehr ein, nicht nur was einzelne Genres angeht. Es gibt ein gewisses Spektrum auf dem einen Ende, dass so ziemlich alle als Hochliteratur anzuerkennen bereit sind und ein Spektrum, das so ziemlich alle als Schundliteratur ansehen. Der dicke Block dazwischen entzieht sich der Eindeutigkeit und man muss schon ziemlich absolut sein, um eine saubere Trennlinie zu ziehen.

Der Knackpunkt ist: Man müsste womöglich immer bis auf auf den spezifischen Text heruntergehen. Ich greife mal das Beispiel von Perry Rhodan auf, einfach weil man es daran zu gut durchexerzieren kann: Als "Groschenroman" haftet dem Ganzen grundsätzlich erst einmal an, Schund zu sein. Allerdings unterzieht sich wohl kaum jemand der nicht unbeträchtlichen Mühe, das immens umfangreiche Gesamtwerk zu lesen, geschweige denn es zu untersuchen. Stichprobenartig gelesen ist die Chance recht hoch, die reflexartige Zuordnung bestätigt zu finden. Allerdings stößt man mit zunehmender Zahl der Stichproben auch immer wieder auf Passagen, die sich dieser Zuordnung thematisch und/oder stilistisch entziehen. Das wiederum führt unweigerlich zu der Frage, ob man die Einordnung eines Gesamtwerkes beträchtlichen Umfangs mengenmäßig herangehen kann bzw. will oder ob nicht schon anteilig geringe Abweichungen die Zuordnung als Ganzes in Frage stellen. Dem Perry-Rhodan-Leser ist diese Unterscheidung, ebenso wie die grundsätzliche Einordnung, noch herzlich egal, aber wenn man es auf ganze Genres anwendet, wird es kriminell: Ist meinetwegen Fantasy prinzipiell Schundliteratur, weil es überwiegend Schund ist?

Man verzeihe mir den teilweise geschmacklosen Vergleich: Scheiße ist ist Scheiße, aber Scheiße ist auch Dünger, und wie viel Scheiße man jeweils als Dünger nutzen kann, ändert nichts daran, das es Scheiße ist, aber es ändert etwas daran, wie man die Scheiße bewertet. Gold ist Gold, und auch wenn am Gold Scheiße klebt, bleibt es Gold - nur düngen kann man damit im Zweifelsfall trotzdem nicht.
Anders ausgedrückt: Es ist noch nicht einmal eine echte Debatte über den Wert. Es ist nämlich nicht nur *nicht* geklärt, ab welchem Punkt eines beliebigen definierten Stoffkreises die Grenze zwischen Hoch- und Schundliteratur zu ziehen ist, sondern auch auch völlig unklar, was man überhaupt mit der Zuordnung anfängt, wenn sie denn erst einmal getroffen wurde. Wenn ich jetzt einfach mal testweise Perry Rhodan als Hochliteratur einstufen würde und irgendwie die Autorität hätte, dass diese Einordnung auch ernstgenommen wird, wäre es für diejenigen, die es nicht als Hochliteratur sehen können, immer noch keine.

Literatur ist etwas sehr Persönliches, denn jeder liest für sich allein. Und wenn man sich mit Anderen über das Gelesene austauscht, dann doch darüber, was einem auf welche Weise etwas gegeben hat. Das Treffen von Zuordnungen von Hoch- und Schundliteratur könnte nicht weiter vom Lesen, Denken und Empfinden entfernt sein. Es geht nicht mehr um das Werk, sondern um die Deutungshoheit, um das Erringen und Bestätigen von Macht in Form der eigenen Autorität, was das Gelesene zum reinen, austauschbaren Mittel degradiert. Letztlich ist es nämlich gleichgültig, an welcher Zuordnung welchen Stoffs nun die vermeintlich intellektuelle und kulturelle Überlegenheit demonstriert wird.

Aber ich schweife ab: Deutsche Fantasy hat hauptsächlich das Problem, dass "Fantasy" eine importierte Schublade ist und kein Aas so genau weiß, welche Teile des heimischen (oder allgemeiner: des vor Besitz der Schublade bekannten) Stoffs man denn nun am besten hineinsteckt. Sprich, wenn Fantasy gleich Schund sei, muss man nur aufpassen, nicht in diese Schublade gesteckt zu werden, sofern man nicht möchte, dass das eigene Werk als Schund betrachtet wird, weil es das entsprechende Label bekommen hat. Das versuchen (nicht nur) deutsche Autoren mehr oder weniger verkrampft oder auch komplett unverkrampft zu vermeiden, manche legen es auch gezielt darauf an und manchen ist es auch herzlich gleichgültig.

Interessant ist ohnehin vielmehr, was und wie hierzulande geschrieben wird, das dann in dieser Schublade landen könnte. Meiner Beobachtung nach schreiben heutige deutsche Autoren gezielt für diese Schublade und bedienen sich der darin enthaltenen Motive. Wer schreibt denn bitteschön noch einfach drauflos und überlässt es den Rezipienten, sich über die Kategorisierung Gedanken zu machen? Michael Ende wollte mit der "Unendlichen Geschichte" sicherlich keine Fantasy und vermutlich noch nicht einmal ein Kinder-/Jugendbuch schreiben, aber das ist auch schon ein paar Jährchen her (Einmal ganz davon abgesehen, das ich das Werk ud nden Autor für überbewertet halte und hier nur der Bekanntheit wegen als Beispiel anführe, aber das ist eine ganz andere Baustelle ...) . Wer heute in die Tasten schlägt, hat in aller Regel eine recht konkrete Vorstellung davon, für welche Schublade er schreibt, weil davon bereits abhängt, bei welchem Verlag man es für welche Klientel anbietet. Und falls nicht, wird der Verlag oder spätestens der Buchhandel schon darum kümmern!
Das hat nicht nur Nachteile. Die Klientel weiß, in welche "Schublade" sie greifen muss, um das zu finden, was sie lesen möchte. Andererseits fällt dadurch viel unter den Tisch, dass sich einer klaren Zuordnung entzieht oder "falsch" zugeordnet wurde.

Ebenso wie Dolge habe ich als Kind der DDR eien etwas andere Prägung mitbekommen. Fantasy gab es in der DDR im Prinzip nicht, sofern man der nachträglichen Einordnung von Mythen und Sagen nicht folgen möchte. Eskapismus gab es offiziell auch nicht, da per Definition alles so gut war, dass man ihm nicht entfliehen musste. Andererseits gab es ihn aber doch, denn angesichts der nationalen und internationalen Entwicklungen war der in der phantastischen Literatur der DDR omnipräsente Traum des bereits etablierten real existierenden Sozialismus auch eine Art Flucht - nur eben weniger nach hinten auf der fiktionalen Zeitskala (im Fäntelalter war alles schöner) sondern nach vorne (im Weltall wird alles schöner).
I never wanted to know / Never wanted to see
I wasted my time / 'till time wasted me
Never wanted to go / Always wanted to stay
'cause the person I am / Are the parts that I play ...
(Savatage: Believe)

Offline Kowalski

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Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
« Antwort #133 am: 30.12.2016 | 11:43 »
Keine Ahnung von der DDR, aber Lem und die Strugatzkis schreiben sehr ambitionierte SF. Was bei Ost-SF auffällt ist das sie sich mit der Entwicklung der Gesellschaft auseinandersetzt und nicht so sehr an Technik-Gadgets aufhängt. "Solaris" "Es ist nicht leicht ein Gott zu sein" etc. zusätzlich sind sie durchaus gesellschaftskritisch wenn man lernt zwischen den Zeilen zu lesen.
Auf jedenfalls oft SF die über trivial hinausreicht


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