Entweder man schweigt, hält seine Trigger geheim und erträgt diese, falls sie aufkommen sollten. Dann sind diese Informationen sicher, weil sie keiner kennt. Oder die Vermeidung der Trigger ist einem persönlich so wichtig, dass man diese kommunizieren muss. Für diesen Fall stehen X-Card und Vorgespräch als Verfahren im Raum. Ich habe dargelegt warum ich in der X-Card keinen "Schutz" sehe. Schützen kann nur das Vorgespräch, aber dann müssen die Trigger natürlich kommuniziert werden.
Wie Ludovico schon sagte: die meißten Rollenspielrunden sind eher keine sozialdarwinistischen Höllenszenarien, wo jedes kleinste Eingestehen persönlicher Dinge gleich zur Ächtung oder Ausbeutung führt. Ich denke sogar, dass es im Rollenspiel unmöglich ist, nicht zu einem gewissen Grad persönliche Dinge an den Spieltisch zu tragen. Mit der X-Card gibt man nicht mehr preis, als sonst im Spiel auch (wenn einem das wirklich wichtig ist, dass die Mitspielenden nicht den genauen Trigger erfahren, dann kann man natürlich auch auf eine Erklärung verzichten).
Das bedeutet, dass sich die Mitspielenden alle entgegenkommen müssen, wenn es darum geht was Teil des Spiels sein soll (und was nicht), damit alle das Spiel genießen können. Wenn jemand Phobien oder unangenehme Erfahrungen mitbringt, die ihnen das Spiel vermiesen könnten, dann wollen diese Personen auch nicht, dass das soweit eskaliert, dass ihre Stimmung komplett in den Keller kippt, und sie das Spiel verlassen müssen (oder, noch schlimmer, das Spiel mit einer langwierigen Erklärung, warum diese Sache sie negativ beeinflusst, zu unterbrechen). Sie kennen sich dabei in der Regel gut genug, um z.B. einschätzen zu können, ob eine unangenehme Situation im Spiel für sie noch zu ertragen ist, oder ob sie die "Reißleine" ziehen müssen, und sagen "nimm XY bitte aus dem Spiel raus".
Ich denke jede Person hat in dieser Hinsicht bestimmte Befindlich- und Empfindlichkeiten, die sie ungerne im Spiel verarbeitet sehen möchte, und jede Spielrunde ist ein Konsens der Dinge, welche die Teilnehmenden (nicht) im Spiel sehen wollen. Dass es Demokratisierungsprozesse gibt, damit nicht nur die lautesten und egozentrischsten Spielenden Gehör finden (oder das "in die Köpfe schauen" wieder auf den Schultern der SL abgeladen wird), sondern wirklich ALLE berücksichtigt werden.
Sogar komplette Empathiekrüppel, die mit psychopathischen Extrempositionen wie "Wenn du nicht SOFORT und unmittelbar erklären kannst, was genau das Problem ist, dann brauche ICH keine Rücksicht auf dich nehmen, egal wie unwohl du dich fühlst" [während besagte Personen gleichzeitig jeden Erklärungsversuch mit inhaltsleeren Worthülsen wie "Politikscheiße" oder "Mißbrauch der X-Karte" abblocken] wollen anscheinend ja auch, dass die anderen Spielenden ein Stück weit auf sie zukommen, und auf ihre Befindlichkeiten Rücksicht nehmen. Ohne dabei anzuerkennen, dass es unterschiedliche Bedürfnisse gibt, und dass das was sie als "Entgegenkommen" betrachten anderen absolut Null weiterhilft (weswegen sie es pauschal als "Rücksicht auf andere Befindlichkeiten (auf Kosten meiner eigenen)" abkanzeln, weil sie das Entgegenkommen der anderen offensichtlich als selbstverständlich betrachten.
In einer Runde, wo jeder sagt "Ich spiele nur für mich selber, ohne irgendwie auf meine Mitspielenden zu achten - den persönlichen Kram sollen die mal schön zuhause lassen" würden solche Personen vermutlich auch nicht glücklich werden.
Zwar hast du recht, dass bei der X-Card die Informationen erst durch Nutzung bekannt werden, aber dann hat man ja trotzdem keinen Schutz, weil die Exposition nicht verhindert werden kann.
Es gibt durchaus Grade der Exposition, das ist kein Schalter der nur auf "Aus" oder "An" steht. Wenn z.B. Spinnennetze beschrieben werden, dann ist das vielleicht noch nicht traumatisierende für eine phobische Person, aber es deutet an, dass es zu einer schwereren Exposition (detaillierte Beschreibung von Spinnen) kommen könnte, die dann zu echten Problemen führen könnte. Die betroffene Person kann in diesem Fall auf die Karte tippen, oder direkt sagen "bitte nicht weiter in diese Richtung".
Wie schon gesagt: die X-Karte ist quasi die "vorletzte Verteidigungslinie" (die wirklich letzte wäre die "Open Door Policy"), wenn fast alle anderen Sicherheitstechniken schon versagt haben. Wenn irgendetwas bei der Session 0 vergessen wurde (oder es keine Session 0 gab, z.B. auf einer Con), oder sich eine Person die am Spiel teilnimmt nicht vorstellen konnte, dass eine bestimmte Sache ein Problem sein könnt (jeder hat da "Blinde Flecken"), dann ist das eine Möglichkeit nochmal nachzujustieren, je nach Bedarf.
Das erfordert natürlich sowohl die Mitarbeit der Betroffenen (genau benennen können, wann ein Grenze überschritten wird oder werden könnte, bevor es zu spät ist), als auch des Rests der Gruppe (Bereitschaft zur Akzeptanz), damit das auch optimal funktioniert. Sicherheitstechniken sind kein Automatismus, sondern lediglich eine Erinnerung daran, dass man sich auf ein bestimmtes Verhalten geeinigt hat.
Wie schon angedeutet wurde, gibt es da durchaus mehr Möglichkeiten als die Extreme "Halt die Fresse und belaste uns nicht mit deinen Problemen!" (Darius) und dem Strohmann "Die X-Karte trumpft alles!" (Maarzan). Unabhängig ob man das jetzt X-Karte nennt oder "Sag bitte kurz, wenn du dich unwohl fühlst, dann finden wir sicher eine Lösung."
