So, jetzt komme ich zum Schreiben.
Ich stimme dir bei der Aussage zu, dass man für Rollenspiel theoretisch gar nicht viel Regeln braucht oder sie einfach ad hoc definieren kann. Das klappt mit Kids mit der Rule of Cool und das klappt auch noch mit Erwachsenen. Da gibt es ja noch die ganze Spannbreite von Erzählspielen, dann noch Spiele wie Fate u.ä.
Es ist wohl eine Spannbreite zwischen "play", also freiem Spiel und "Game", also regelgeleiteten Spiel. Pen and Paper Rollenspiel (Tabletop Role Playing Game) hat immer was von beiden, für mich ist das eins der besonderen und definierenden Aspekte dieses Hobbys.
Woran ich mich reibe ist die Aussage
"Das brauchen wir Erwachsenen als Krücke, weil uns die Fantasie abhanden gekommen ist", denn ich sehe Regeln anscheinend anders als du.
Warum brauchen wir eigentlich Regeln, wenn wir doch auch so Konsens finden? Zur Erschaffung einer gemeinsamen Fiktion jedenfalls nicht.
Doch, ich würde sagen, schon.
Selbst wenn du nur die
Rule of Cool anlegst und dich mit Kids an den Tisch setzt und ihr ne coole Geschichte erzählt, werdet ihr - ad hoc - Regeln für eure Geschichte erfinden. Muss ich einen Bergabhang hinunterklettern oder kann ich in einer Three-Point-Superhero-Pose unten cool aufschlagen? Da wird sich am Tisch recht schnell eine Regel finden, was in der Fiktion möglich ist und was nicht und es wird sich angleichen. Fritz möchte das Tor öffnen? Bist du stark? Ja. Dann Würfel mal einen w6. Oder einen w20, damit es cool und ungewohnt ist und die Aura des "anderen" hat.
So wie auf dem Bolzplatz sehr schnell Regeln gefunden werden (5 Spieler da? Klar, 2 vs 2, einer Torwart, alle paar Minuten wird gewechselt. Hey, Sabrina ist noch dazugekommen, dann machen wir jetzt 3 vs. 3 aber man muss zur Linie laufen, bis man auf's "gegnerische" Tor holzen darf). Diese Regeln müssen nicht verschriftlicht sein, sie ändern sich ad hoc, aber es sind Regeln.
Und genau diese Regeln schaffen auch Fiktion, denn sie modellieren die Spielwelt. Sie sorgen dafür, dass wir nicht alles tun können, denn die Welt, in der wir spielen (unsere Fiktion) hat Regeln, die uns einschränken, weil es eben auch die Grenzen der dargestellten Welt sind. Sobald es aber auch "intradiegetisch" nicht geht, geht es auch extradiegetisch nicht. Soll heißen: Wenn ich nicht einfach Klippen runterspringen kann, weil die Charaktere in der Geschichte sowas (noch) nicht können, dann werde ich Regeln/Rulings finden, um das erzäherlisch darzustellen. Du hast ein Seil dabei? Dann klappt es automatisch! Du hast es nicht? Dann Würfel mal alles außer ne 1 - auch das ist eine Regel.
Kann jeder Zaubern? Kann jeder in Berserkerwut verfallen oder nur bestimmte Charaktere?
Wie ist es mit Magie? In Symbaroum bekommt du Korrpution wenn du zauberst (was ein zentrales Motiv der Fiktion ist), in D&D müssen sich Magier die vollkommen unweltllich komplexen Formeln in ihr Hirn reinpressen, das dafür kaum geschaffen ist und können so einen Spruch anfangs nur einmal am Tag sprechen, später öfter. Zwei vollkommen verschiedene Zugänge zur Magie, die auch in der Fiktion begründet sind, und die Regeln modellieren diese Fiktion.
Wie "stabil" sind so Helden eigentlich? Halten sie einen Schlag mit einer Waffe aus, zwei oder drei oder haben sie 35 LP und da werden dann w6+5 HP weggenascht hier und da?
etc. pp
Der Unterschied bei einem Spiel mit und ohne Regeln liegt in meinen Augen dann eigentlich v.a. darin, dass das Spiel mit Regeln mir die ad hoc-Aushandlungsprozesse davor schon zum Teil abnimmt und wir uns implizit darauf einigen, diesem Rahmen erst einmal zu folgen bzw. es eben durch Hausregeln anders zu handhaben. Bei einem Spiel mit wenig Regeln werden diese Aushandlungsprozesse einfach im Laufe der Geschichte definiert. Wenn ich öfter spiele, greife ich wahrscheinlich aber dennoch zu denselben Setzungen, die ich in den Runden davor festgelegt habe.
Müssen Regeln jetzt immer so komplex sein wie PF2e oder DSA 4 oder whatever? Nein. Wenn die Gruppe das will, warum nicht? Es schiebt das Spielgeschehen auf der Achse "Play" und "Game" wohl mehr in die Game-Richtung, wenn ich alle Regeln immer voll nutze. Aber dennoch unterstützen auch sie die Fiktion.