Ich werfe mal 2 Cent in den Ring

Ich würde widersprechen
Ich kopple das morgen gerne aus und dann machen wir nen Thread draus - bin gerade unterwegs
Ich würde HEXer zustimmen ^^
Das unmittelbare Erleben der Geschichte in der eigenen Phantasie ist etwas anderes als das Erleben des Spiels
in termini eines Regelsystems.
Und genau diese Regeln schaffen auch Fiktion, denn sie modellieren die Spielwelt.
Ich behaupte zunächst einmal das genaue Gegenteil:
Regeln
zerstören die Fiktion, denn das Erleben des Spiels in termini eines Regelsystems
ersetzt die Phantasie der Spielwelt und macht sie überflüssig.
ich begründe das durch einen Blick in meine Empirie:
In meiner aktiven DSA1-Zeit (1987 bis ca. 1991) wurden z. B. Gegner und Kämpfe ausschließlich in termini des Regelsystems bespielt. „Ein Goblin“ bedeutete nicht [Beschreibung der Kreatur], sondern war ein reines Zahlen-, sprich: Wertebündel. Das reichte aus, um mit dem Goblin im Spiel zu interagieren.
1998 – also bummelige 10 Jahre später – erschien das DAS-Einsteigerabenteuer „Über den Greifenpass“ von Tom Finn. Für angehende Spielleiter findet sich dort folgender Hinweis:
„In bestimmten Ausnahmesituationen (!) mag es nützlich sein, auf bestimmte Regelaspekte ganz zu verzichten. Ein Beispiel: Die aus vier Helden bestehende Gruppe (davon einer schwer verletzt) wird von 20 Orks verfolgt, und der Elf der Gruppe beschließt, sich in einen Hinterhalt zu legen, um so den Rückzug seiner Kameraden heldenhaft mit einem Bogen zu decken. Wenn eine solche Situation nicht wirklich wichtig für die Handlung ist, dann drücken Sie einfach ein Auge zu… Denn ansonsten könnte folgendes passieren: „Gut, dann würfel einmal. Aha, einer der Orks nimmt also drei Trefferpunkte Schaden. Naja, das ist nicht viel. Die 20 Orks stürmen in eure Richtung…“. Spannender wäre in solch einer Situation natürlich ein filmhaftes Vorgehen, bei dem Sie dem Helden actionreich schildern, wie der erste Gegner getroffen umkippt, plötzlich Verwirrung entsteht und die Orks sich erst nach und nach neu formieren. Schließlich haben auch Orks Angst um ihr Leben.“Aus der Tatsache, dass der Autor diesen Hinweis so gibt, schließe ich, dass meine oben geschilderte Erfahrung – Wahrnehmung der und Interaktion mit der Spielwelt in termini des Regelsystems – kein Einzelfall, sondern vielleicht sogar der Regelfall war und vielleicht auch immer noch ist.
Selbst wenn du nur die Rule of Cool anlegst und dich mit Kids an den Tisch setzt und ihr ne coole Geschichte erzählt, werdet ihr - ad hoc - Regeln für eure Geschichte erfinden. Muss ich einen Bergabhang hinunterklettern oder kann ich in einer Three-Point-Superhero-Pose unten cool aufschlagen? Da wird sich am Tisch recht schnell eine Regel finden, was in der Fiktion möglich ist und was nicht und es wird sich angleichen. Fritz möchte das Tor öffnen? Bist du stark? Ja. Dann Würfel mal einen w6. Oder einen w20, damit es cool und ungewohnt ist und die Aura des "anderen" hat.
So wie auf dem Bolzplatz sehr schnell Regeln gefunden werden (5 Spieler da? Klar, 2 vs 2, einer Torwart, alle paar Minuten wird gewechselt. Hey, Sabrina ist noch dazugekommen, dann machen wir jetzt 3 vs. 3 aber man muss zur Linie laufen, bis man auf's "gegnerische" Tor holzen darf). Diese Regeln müssen nicht verschriftlicht sein, sie ändern sich ad hoc, aber es sind Regeln.
Nein, es sind keine
Regeln, es sind
Definitionen, also Festlegungen. Die Regeln, nach denen gespielt wird, ergeben sich dann erst aus den Definitionen. Die Regeln sagen,
wie gespielt werden muss.
Wenn es etwas nicht so funktioniert hat, wie es sollte, sagen Menschen häufig: „…aber ich dachte, dass…“: „Ich dachte, dass der Bus um 10:23 Uhr abfährt“ (und nicht um 10:13 Uhr); „Ich dachte, dass ich noch Mehl im Haus habe“ (um den Kuchen zu backen – jetzt muss ich nochmal einkaufen); „Ich dachte, der Bösewicht kann nicht zaubern!“ (sonst hätte ich mich anders auf den Endkampf vorbereitet“); um meinen Punkt von oben wieder aufzugreifen, könnte ich auch sagen: „Ich dachte damals, Rollenspiel geht so!“
Menschen sagen „ich dachte“, wenn eigentlich klar ist, dass sie nicht gedacht haben. Was sie eigentlich meinen, ist, dass sie eine Annahme als „wahr“ erlebt haben. Eine Annahme ist etwas anderes als die Handlung, die auf ihrer Richtigkeit basiert.
Wenn Kinder erst 2:2 mit einem Torwart spielen, dann ein neuer Spieler hinzukommen und ein „echtes“ 3:3 mit zwei Toren daraus wird, aber Kevin das nicht mitkriegt, weil er pullern war und ohnehin nicht die hellste Kerze auf der Torte ist und auf’s falsche Tor schießt, was wir er wohl sagen, wenn er schnallt, dass er gerade verkackt hat? Genau, „Sorry Leute, aber ich dachte, dass…“
Das, was sich funktional als „Bildung von Annahmen“ verstehen lässt, ist ein kognitiver Prozess unterhalb der Wahrnehmungsschwelle, sprich, davon kriegen wir nichts mit. Im Alltag werden wir uns über Fehlannahmen erst dann bewusst, wenn darauf aufbauende Handlungen scheitern. Erst dann setzt etwas ein, was ansatzweise als „Denken“ bezeichnet werden kann. Beides wird allerdings häufig miteinander konfundiert; das drückt eben die Formulierung „Ich dachte, dass…“ aus.
Annahmen, um den Bogen zurück zu schlagen, sind Definitionen oder Festlegungen, und als solche klar von den Handlungen, die auf ihnen basieren zu unterscheiden. Ich halte daher nichts davon, beide unscharf im Begriff "Regelung" zu vermengen.
Wenn ich differenzieren würde zwischen den Begriffen, würde ich rulings für ad hoc Entscheidungen verwenden, die ich in der Situation regeln muss, damit das Spiel weitergeht. Ich lese dann danach die Regeln nach oder aber beschließe, dass wir es vorerst immer auf diese Art und Weise machen.
„Rulings“ sind in der Tat Entscheidungen, durch die etwas definiert wird. „Rulings“ kommen im Gegensatz zu „rules“ ohne einen eigenen abstrakten Begriffsapparat aus, weil es hier nicht um
abstrakte Fallklassen geht, sondern um
konkrete Einzelfälle. Aber die Entscheidung
regelt nichts. Wenn ich festlege, dass der Drache Feuer speien kann, dann ist hierdurch nichts „geregelt“; der Begriff "geregelt" ist hier ohne konkrete Bedeutung. Die Definition hat gleichwohl Konsequenzen für Handlungen der Spieler, die sich einem feuerspeienden Drachen anders annähern werden als einem Drachen, der kein Feuer speit; denn wenn die Entscheidung für das Spiel ohne Auswirkungen wäre, dann wäre sie überflüssig. D. h. aus dieser Definition werden Kriterien abgeleitet, die bestimmten Handlungen mehr Wert geben, als anderen; das ist hier die Analogie zu den Rechenregeln, die aus der mathematischen Definition folgen.
Explizite Regeln verändern das Spiel, denn sie geben vor, was opportun ist und was nicht. Im Fußball ist die Abseitsregel nicht "spielneutral", sondern sie hat Einfluss darauf, wie gespielt wird. "Rulings" oder "ad-hoc Entscheidungen" tun das nicht.