Ich möchte einen Schritt zurückgehen.
Ich bin viele Spiel(leitungs)stile, und Du wahrscheinlich auch.Eine enorm wichtige Facette ist in den vielen Diskussionen der letzten zwei Monaten nicht explizit genannt worden (oder ich habe sie übersehen), und diese scheint mir so wichtig zu sein, dass ich sie einmal aussprechen möchte:
Du als Spielleitung stehst ja in den seltensten Fälle wie ein Monolith da, und Deine Spielgruppen können Dich nehmen, wie Du mit Deinen Prinzipien bist.
Stattdessen handelst Du mit jeder Spielgruppe implizit oder explizit individuell aus, wie ihr spielen wollt. Das heißt: Du bist je nach Umständen und Gruppen mehrere, abweichende Spielleitungen.
Drei Beispiele:
1) Habe ich die Spielleitung eines One-Shot-Wettbewerb-Abenteuers, dann werde ich sehr, sehr regeltreu sein. Die Rule-of-Cool wird es sehr schwer haben, denn eine gleichartige Anwendung der Regeln ist sehr wichtig für den fairen Wettbewerb. Auch die Sandbox des Wettbewerb-Abenteuers ist viel enger als die von "normalen" Abenteuern.
2) Mit meiner ersten Rollenspielgruppe habe ich jedes zweite Wochenende gespielt, über zwei Jahre lang, AD&D 1e. Wir haben die Tragkraftregeln selbstverständlich ausgespielt. Die Rule of Cool haben wir, unserem damaligen jungen Alter geschuldet, sehr ausgereizt. Es war neu, es war Fantasy(!)-Rollenspiel, und wären wir wie bei Critical Role auf die Idee gekommen, von hinten in den Verdauungstrakt des Drachen einzudringen, um ihn dann von innen heraus zu töten - wir hätten es gemacht.
3) Mit meiner aktuellen Spielgruppe spielen wir seit fast 30 Jahren, und seit wahrscheinlich 25 Jahren nur vier mal im Jahr, dieselbe Kampagne, dieselben Figuren, jetzt 19. Stufe, DnD 3.5. Damit wir Spielspaß haben, gelten andere Vereinbarungen: Tragkraftregeln lassen wir links liegen, Gold hat meine Truppe "genug". Sie missbraucht ihren Fuzzy-Reichtum nicht, und ich muss mir keine Abschöpfungsmechanismen ausdenken. Die Rule of Cool hat es nun, da wir älter sind, etwas schwerer sich gegen die Rule of "Reality" durchzusetzen. Meine aktuelle Gruppe kann sich darauf verlassen, dass sie sich regelmäßig prügeln, in diplomatische Gefechte/Herausforderungen stürzen, und sie rätselt sich zurecht, was die gegnerischen Parteien wohl gerade vorhaben. Dabei lösen sie Schritt für Schritt die Geheimnisse von Eon.
Ich denke, ich kann die Rolle aller drei sich teils stark unterscheidenen Spielleitenden einnehmen. Und Du tust es wahrscheinlich ebenso.
Obwohl ich meine aktuelle Rolle 3) heiß und innig liebe und - so hoffe ich - auch gut ausfülle und mir viele Freiheiten als Spielleitung nehme, würde ich natürlich ganz andere Maßstäbe ansetzen, wenn ich Spielleiter eines Wettbewerbs-Abenteuers wäre. Ich wäre viel strenger. Vielleicht würde ich sogar ghouls Positionen zum Thema "schummeln" (natürlich nicht in der von ihm formulierten Absolutheit) aus der Perspektive 1) unterschreiben.
Als ich in meiner Gegenstreitschrift von der "Vielfalt von Stilen" geschrieben habe, war mir nicht bewusst, dass ich selbst schon zwei unterschiedliche Stile geleitet habe und drei Stile leiten könnte. Die Vielfalt i n m i r war mir nicht bewusst.
Manche werden vielleicht einige ihrer Leitungsprinzipien als "unumstößlich" bezeichnen (einige solch unumstößlicher Prinzipien habe ich sicherlich auch), aber andere ihrer Prinzipien werden sich von Spielrunde zu Spielrunde, in der sie leiten, unterscheiden.
Liege ich falsch, und gibt es doch mehr monolithische Spielleitungen, denen die Gruppen sich anpassen müssen - oder sie kommen halt nicht zusammen?
Wenn ich Recht habe, müssen wir bei allen Gesprächen über das "richtige Spiel(leiten)"™ immer deutlich machen, aus der Sicht welcher Spielleitung für welche Gruppe wir gerade sprechen (wie zuletzt auch im Schummelthread schon ab und zu angedeutet wurde).