So, ich habe mir gedacht, ich mach jetzt doch mal hier einen generellen und aktuellen Vorstellungsthread für mein SF Setting.
Vorwort:
Der eine oder andere wird vielleicht eine vage Erinnerung haben, wie lange Redshift bei mir schon köchelt. Sage und schreibe 2008 habe ich angefangen, ein Science Fiction Setting zu schreiben. Über die Zeit hat es so viele und tiefgreifende Änderungen erfahren, dass es jeweils kaum wiederzuerkennen war. Zuletzt hatte ich glaub ich vor ungefähr 9 oder 10 Jahren nennenswert daran gearbeitet, dann rutschte es irgendwie in die Versenkung. Hatte vielleicht mit "The Expanse" zu tun, das viele meiner Boxen abgehakt und somit meinen Hard-SF-Durst erstmal gestillt hatte.
Vor ein paar Wochen habe ich Redshift wieder hervorgeholt. Ich würde sagen, das ist ein bisschen ein eskapistischer Verzweiflungsakt in Anbetracht der immer trostloseren Weltlage. Ich möchte eine Zukunftsvision beschreiben, die zwar nicht bonbonrosa-utopisch, aber dennoch eher optimistisch ist, wenn auch unwahrscheinlich. Es geht also so grob in Richtung Solarpunk.
Lange Zeit war Redshift als FTL-Universum gedacht, weil ich unbedingt außerirdische Freiluftwelten haben wollte. Aber ich wurde immer unzufriedener mit den Implikationen und Ripple Effects, die FTL mit sich bringt, abgesehen von dem großen Blinden Fleck in Hinblick auf die Physik. Darum hatte ich schon vor etwa 10 Jahren umgeschwenkt und es zum rein solaren Setting umdefiniert. Es ist jetzt also eindeutig "Hard SF", und so ungefähr die größte Dosis Handwavium ist, dass das mit der D-3He-Fusion schon klappen wird.
Redshift ist nun ein Setting, in dem es um "Solare Expansion" geht. (Ein anderer Begriff dafür wäre nicht schlecht, um den Ruch der Expanse-Copycat zu vermeiden.) Die Menschheit ist zwar immer noch in mehrere konkurrierende Machtblöcke fragmentiert, aber bei den Meisten hat ein Umdenken auf langfristige Perspektiven stattgefunden. Man scheut sich jetzt nicht mehr, Projekte anzugehen, die über Jahrzehnte oder sogar über ein Jahrhundert skaliert sind. Ich nenne es das "Long Ball" oder "Long Game Mindset".
In-World Historie:
Irgendwann im 21. Jahrhundert zwischen 2025 und 2075 kam der große sozioökonomische Knall. In weiten Teilen der Welt kam es zu Revolutionen, teils friedlich, teils mit Guillotinen. Natürlich wurden die Auswirkungen der Revolution in den Folgejahren teilweise zurückgerollt, aber einige zentrale Änderungen blieben haften. Vor allem wurde der Möglichkeit von Individuen, absolut unbegrenzte, lächerliche, groteske Vermögenswerte anzuhäufen und damit politische Macht auszuüben, eine harte Grenze gesetzt.
Auch setzte sich endlich die Einsicht durch, dass es in einem endlichen System kein unendliches Wachstum geben kann. Wenn man weiteres Wachstum benötigte, so musste man das System erweitern. In diesem Fall auf: das Sonnensystem.
Auf der Erde war es bis dahin nicht gelungen, der Klimakatastrophe Einhalt zu gebieten. Nicht, dass es vor der Revolution konsequent versucht worden wäre, es galt ja immer die Prämisse "Nur solange es die Reichen nicht stört". Als sich auch hier endlich die Einsicht zur Notwendigkeit echter Maßnahmen durchsetzte, war es längst zu spät, das 2°-Limit deutlich gerissen, mehrere Kippunkte überschritten. Um jetzt noch zu retten was zu retten war, mussten drastischere Maßnahmen ergriffen werden. Es reifte ein Long Game Masterplan heran.
Nota: alle Jahreszahlangaben stark ins Unreine geschrieben, können sich noch ändern.
Stage 1
Im ersten Schritt der Solaren Expansion wurden Orbitalstationen um Erde und Mond errichtet. Diese mussten zunächst noch teuer von der Erde aus versorgt werden.
Dann begann planmäßig die Entwicklung des Mondes. Am Mond-Süpdol wurden auf Peaks of Eternal Light Solarkraftwerke errichtet. In dauerbeschatteten Kratern wurde Wasser gefördert. Strukturen wurden aus Regolith-Beton (Lunarcrete) errichtet. Auch Aluminium und andere Ressourcen wurden erzeugt. Es wurde ein Mass Driver errichtet, der Wassereis und Metall in den Mondorbit schoss. Das Eis diente vor allem der Treibstoffherstellung für den beginnenden Weltraumverkehr.
Stage 2
Der nächste Schritt führt uns zur Venus. Hier errichtete man Wolkenstädte auf ca 60km Höhe und orbitale Solarkraftwerke. Mit Hilfe von Solarthermie wird CO2 in seine Bestandteile aufgespalten. Der nun reichlich vorhandene Kohlenstoff wird für diverse Projekte eingesetzt, vor allem zur Herstellung von Supercarbon-Werkstoffen wie CNTs, aber auch als Rohmaterial zur Nahrungserzeugung im All.
Stage 3
Jetzt sollte der Befreiungsschlag für die Erde kommen: eine astronomische Streulinse auf dem Sonne-Erde L1, hergestellt aus modernen Supermaterialien. Diese sollte mit Stützstruktur, Lageregelung etc "nur" etwa 1 Million Tonnen Masse haben - sehr sparsam für ein planetares Klimaregelungssystem. Nachdem die L1-Linse aufgebaut war, sollte Mutter Erde endlich durchschnaufen können. Jedoch wird es über 100 Jahre dauern, bis die Ökosphäre sich einigermaßen erholt hat, irreversible Zerstörungen ausgenommen.
Stage 4
Endlich ist man soweit, dass man die Kernfusion von Deuterium und Helium-3 im Griff hat. Doch bisher ist dies quasi nur in experimentellem Maßstab möglich, da 3He so selten und knapp ist. Um die Menschheit energetisch zu befreien, würde man große Mengen benötigen. Darum wendet man sich jetzt dem Saturn zu.
Auf fliegenden Plattformen über dem Saturn wird seine Atmosphäre gefiltert. Für jedes kg 3He muss man Millionen Tonnen Gas einsammeln und trennen, doch es lohnt sich. Die aus dem 3He extrahierbare Energie übersteigt den zu seiner Förderung notwendigen Aufwand um ein Vielfaches. Die Saturn-Infrastruktur wächst. Nicht nur 3He aus der Atmosphäre, auch Wassereis aus den Ringen wird abgebaut und ins Innere System geschickt.
Stage 5
Jetzt, wo Helium-3 in industriellen Mengen verfügbar ist, ist man von der Sonnenenergie unabhängig. Man kann Energie in nahezu beliebiger Menge überall dort erzeugen, wo man sie braucht. Ab jetzt wächst die Solare Ökonomie exponentiell. Ein Rush im Raumschiffbau setzt ein. Ebenso Asteroidenbergbau von Edelmetallen und Seltenen Erden im Hauptgürtel, versorgt durch Gewächshäuser auf dem Mars.
Weitere Extraktionsoperationen gedeihen im Saturnsystem. Kohlenstoff- und Stickstoffverbindungen vom Titan, Silikate von den Gesteinsmonden. Um den Saturn entsteht ein eigener, nahezu autarker Wirtschaftsraum.
Dies ist nun der Status Quo zur Settinggegenwart, voraussichtlich ca 2250. Der Ausbau ist noch lange nicht abgeschlossen.
Politische Situation auf der Erde
Die Staaten organisierten sich in teils neuen, teils wiederbelebten Bündnissen. Die EU war zersplittert und musste sich in einem Stufenmodell neu aufstellen. Die wichtigste Nachfolgeorganisation ist die Westeuropäische Union (WEU), welche Deutschland, Frankreich, Benelux, Österreich und Norditalien umfasst. Nach der Revolution pendelte sich hier eine Art Staatskapitalismus ein, in dem Sinne dass die größten Unternehmen vom Staat übernommen wurden.
Die USA sind im Lauf des 21. Jahrhunderts an ihren gesellschaftlichen und ökonomischen Scherkräften zerbrochen. Auf ihrem Gebiet bildeten sich mehrere Nachfolgestaaten, unter anderem Pacifica zwischen Westküste und Rockies und Columbia im Nordosten.
Weitere Blöcke sind zB China, Indien, das Commonwealth (eine Art wiedererstandenes British Empire), und die Nordische Union (klein aber fein von Grönland bis Estland).
[Hier bin ich noch nicht ansatzweise fertig mit dem Design. Mir ist auch klar dass ein Neo-British Empire eher satirisch als realistisch ist. Es wären auch andere Modelle denkbar, zB dass das UK komplett desintegriert und die Reste sich dem nächstbesten Nachbarn anschließen.]
Technologische Entwicklung:
D-T Fusion: wenig relevant für Raumfahrt. Energie steckt fast nur in Neutronen, diese müssen also aufgefangen und in thermische Energie umgewandelt werden, und erst diese kann über die üblichen Stufen wie Dampfturbinen in Strom umgewandelt werden. D-T Reaktoren sind groß und massiv und eignen sich nicht für den Einsatz an Bord von Raumschiffen. Auch auf großen Raumstationen sind sie bestenfalls grenzwertig.
In der Frühzeit der Solaren Expansion wird zunächst noch hauptsächlich mit chemischen Antrieben gearbeitet, dann allmählich ergänzt durch Nuklearantriebe nach dem Fissionsprinzip.
Der große Gamechanger ist die Etablierung der D-3He Fusion, die zunächst die primäre Energiequelle der Raumfahrt wird und mittelfristig den Energiebedarf der Erde decken soll.
Weitere Schlüsseltechnologien sind die großmaßstabige Erzeugung von Supercarbonen wie CNTs sowie von Hochtemperatur-Supraleitern.
Insbesondere die Entwicklung der Raumschifftechnologie habe ich in Generationen eingeteilt:
1st Gen: der Quatsch mit dem wir heutzutage rummachen
2nd Gen: "Atomic Rockets", Fissionsantriebe, zB NTR Gas/Closed
3rd Gen: frühe D-3He Triebwerke, mäßig leistungsfähiger als 2nd Gen, aber deutlich weniger Strahlung
4th Gen: die modernsten D-3He Triebwerke, viel mächtiger als 3rd Gen (ca Faktor 6)
Raumstationen hingegen gibt es in verschiedenen Grundkonzepten. Die wichtigsten sind:
- Orbitale Stadt: Ringhabitat von ca 1,8km Durchmesser, Platz für ca 40.000 Menschen, gute Lebensqualität
- Agri-Ring: Ringhabitat speziell zum Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln, konservativ gerechnet ca 22-25t/ha Jahresertrag
- Asteroidenbasis: in einem ausreichend großen Asteroiden wird ein Zylinder (zB Metall, Carbon) fest verankert; in diesem wiederum magnetisch gelagert ein zweiter Zylinder, welcher rotiert und dadurch im Inneren Schwerkraft erzeugt.
Neue Ökonomische Politik
Nach der Revolution gab es zuerst einiges an Umwälzungen und auch radikaleren, aber gescheiterten Ansätzen. Doch letztendlich setzte sich in den meisten Blöcken ein reformiertes Wirtschaftsmodell durch, das die ungebremste Vermögenskonzentration auf wenige Prozent, ja auf wenige Individuen unterbinden sollte. Milliardäre sollte es nicht mehr geben. Dazu wurde einerseits ein stark progressives Steuersystem (Spitzensteuersatz 90%) und ein Vermögensdeckel (Personal Wealth Cap) eingeführt. Das PWC beträgt nach heutiger Kaufkraft etwa 100 Millionen Euro, was immer noch mehr als genug für ein Leben in unglaublichem Luxus ist, aber nicht ausreicht um ganze Nationen durch politische Einflussnahme zu destabilisieren.
Auch ist die Automatisierung sehr hoch, jedoch wird letzten Endes die Produktivität der Maschinen in Form eines Grundeinkommens wieder ausgeschüttet, quasi eine Maschinendividende.
Mit dem Muster "Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren" wurde ebenfalls Schluss gemacht. Entsprechenden Konzernen wurden die Flügel gestutzt, teilweise wurden diese zerschlagen oder verstaatlicht bzw in öffentlich-rechtliche Gesellschaften überführt.
Die meisten Blöcke haben ihre Steuermodelle entsprechend homologisiert. Staaten und Machtblöcke, die sich über diese Regeln hinwegsetzen, werden mit internationalen Sanktionen belegt. Umgekehrt erfuhren genossenschaftliche Modelle enormen Aufschwung, bei denen alle bei einem Unternehmen Beschäftigten direkt proportional zu ihrer Produktivität am Ergebnis beteiligt werden. Es gibt Regelungen zur maximalen Vergütungsspreizung (Pay Gap) in einem Unternehmen.
Diese Regelungen gelten wohlgemerkt erstmal nur auf der Erde. Im Weltraum sieht das alles etwas anders aus. Jedes Habitat ist hier erstmal ein ökonomischer Mikrokosmos, und es gelten strenge Verteilungsregeln für lebenswichtige Rohstoffe wie Sauerstoff, Energie und Nahrung. So muss der Grundbedarf auf einer Station immer gedeckt sein, auch mit noch so viel Geld kann nicht einer hingehen und zB alles Wasser aufkaufen. Umgekehrt können sich diese Stationen in der Regel nicht leisten, ihren Bewohnern Bedingungslose Grundeinkommen zu garantieren. Es gibt zwar meistens ein Solidarsystem, aber bedarfsabhängig. (Man lässt niemanden ersticken weil er seine Luftrechnung nicht bezahlen kann usw.)
Ein Sonderfall ist die Union der Saturn-Kooperativen, kurz "der Ring" genannt. Der Ring koordiniert die Exporte des Saturns und schüttet deren Erträge aus, kümmert sich um Infrastruktur und Versicherungen, und hat seine eigene Währung (den ₢ Rin). Nutznießer sind alle Bewohner des Ringsystems, aber natürlich erhält der Ingenieur, der direkt auf einer Förderplattform in der Saturnatmosphäre einen riskanten Job macht, einen größeren Anteil als ein Friseur auf der Titan-Raumstation. Im Endeffekt fungiert der Ring als eine richtige kleine Proto-Nation und ist ein heißer Kandidat für die erste formell unabhängige Weltraumnation.