Ganz ehrlich: Wer es schafft, den Reißverschluss seiner Federmappe auf- und zuzuziehen und vollständig bekleidet das Haus zu verlassen, der kann auch Boni und Mali im Zahlenraum bis 8 auf eine Würfelwurf draufschlagen oder abziehen. Wer das nicht hinbekommt, der ist bei P&P an zig anderen Stellen überfordert. Alles andere ist in meinen Augen Anstellerei.
Die Vorteils-/Nachteilsmechanik hat in meinen Augen zwei Nachteile:
1.) Bei ihr wird die Gewichtung verschiedener Vor- und Nachteile entweder zu einer wirklich komplizierten Text-Abwägungsaufgabe oder, wenn man das ignoriert und nur Vor- oder Nachteile wertet, komplett unlogisch und unituitiv. Und Textaufgaben bergen immer noch eine zusätzliche Schwierigkeit zu einer reinen Rechenaufgabe.
2.) Wenn ich mit verschiedenen Fertigkeitswerten auf einen bestimmten Zielwert hinwürfle und zum Beispiel eine 20 erreichen muss, dann wirken sich Vor- und Nachteile statistisch unterschiedlich aus, was komplett unübersichtlich ist. Ich möchte als Spieler vor allem vor einer Aktion meine Chancen überschlagen können und dafür ist das Vorteil-/Nachteilssystem komplett schlecht. Im Prinzip wissen weder Spieler noch Spielleiter, was sie genau verändern, wenn sie einen Vorteil oder Nachteil auffrufen. Das ist für mich ein absolutes Ausschlusskriterium.
Das einzige echte Problem, das ich bei Boni und Mali sehe, ist ein übertriebener Simulationismus, indem einzelne Faktoren quasi "Naturgesetze" simulieren sollen. Ich nenne mal ein Beispiel aus alten Midgardregeln zum Klettern: Da wurde unterschieden, ob eine Wand glatt oder mit vielen Griffmöglichkeiten, trocken oder rutschig, abgeflacht oder gar überhängend. Und alles konnte man schön miteinander verrechnen. Das will oder braucht kein Mensch.
Wenn ich ein Abenteuer designe und einen Kletterwurf verlange, dann entscheide ich frei, welchen Schwierigkeitsgrad eine Wand insgesamt haben soll. Also ob sie um x leichter oder um y schwieriger zu erklettern ist. Und jedes + oder - 1 auf einem W20 verschiebt die Erfolgswahrscheinlichkeit um 5%. Der Rest, die Beschreibung ist ohnehin nur Fluff und Atmosphäre.
Deswegen wurde in Midgard 5 regeltechnisch nur noch festgelegt, ob eine Wand normal, schwer, leicht, sehr schwer oder extrem leicht zu erklettern ist. Diesen "Vokabeln" wurde jeweils ein Wert von -8 bis +8 zugeordnet, obwohl für den Wurf ja nicht der Begriff "extrem leicht", sondern nur der Zahlenwert +8 von Bedeutung ist. Sinnvoll ist also, den Zahlenwert zu nennen und dann die Wand atmosphärisch gut zu beschreiben. Keiner muss im Flufftext noch nach verborgenem Crunch suchen und kann einfach die Bebilderung genießen. Und die Spielleiterin kann sich in Details austoben, die kein Regelwerk zu erfassen weiß, von grünen Ameisen bis zu bröseligem Gestein oder klebrigem Harz.
Ich glaube ja, dass die Präferenz für Vorteil/Nachteil gegenüber Boni/Mali nichts mit der Schwierigkeit das zu verrechnen zu tun hat, sondern mit der Gewöhnung an den DnD-Mechanismus. Der Rest ist Psychologie.
Wenn man nicht genau wissen will, wie sehr man seine Erfolgsaussichten genau verschiebt und es auch gerne etwas ungenau hat, der ist mit Vor- und Nachteilen gut bedient. Wenn man diese Regel aber irgendwie erweitert, der macht den einzigen Vorteil dieser Regel (die babyleichte Durchführung) zunichte und sollte in jedem Fall auf die Boni/Mali umsteigen.