Autor Thema: Ich bin immersionsimpotent  (Gelesen 7542 mal)

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eldaen

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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #25 am: 30.12.2014 | 11:10 »
Eigentlich würde ich Dir gern danken, wenn ich jetzt nicht so desillusioniert wäre ...

Willkommen in meinem Leben. Ich und Rollenspiel? Eine Hassliebe wie sie schöner nicht sein könnte...

Offline Slayn

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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #26 am: 30.12.2014 | 11:15 »
@Der Narr:

Ich denke, darauf kann man aufbauen, geht aber für meinen Geschmack etwas in die "falsche Richtung".
Ich sehe als eine potentielle Quelle für Immersion ein tiefgreifgendes Settingwissen und eine daraus resultierende Erwartungshaltung, parallel dazu ein Verständnis für Genres und Genreregeln.
Wenn "etwas" kommt und sich genau so verhält wie man es sich von diesem "etwas" in einem oder beiden Kontexten erwartet, dann steckt man auch in der Sache drin und kann "mitdenken".
(Aus genau diesem Grund sollten Spieler das jeweilige Setting oder die Quellen genau so gut kennen wie ein SL es tun sollte)

@Luxferre:
Ein bisserl Theorie schadet nie. Ok, ernsthafter: Man sollte schon darüber nachdenken was einen ausbremst und was einem konkret am Spieltisch hilft und sich dessen auch bewusst sein. Nichts ist übler als z.B. vom genutzten System ausgebremst zu werden oder ständig "Übersetzungsarbeit" zwischen gewünschter Aktion und dem Regelwerk leisten zu müssen. Ich denke, wir kennen das z.B. alle aus dem Umgang mit Stufen- und Klassen-basierten Systemen dass man erst mal abklopfen muss was überhaupt sinnvoll darstellbar ist um dann die Situation bewusst zu vermeiden das eine gewünschte Handlung eben nicht geht.

Um das zu verdeutlichen: Ich rede gerne und ich bin ein halbwegs begabter Taktiker. Ich würde nie einen Charakter spielen der dies für mich nicht mit Regeln untermauert und mir den sofortigen Sprung Ich <> Charakter somit verweigert oder zumindest erschwert.

@HEXer:

Ich kann dir da leider(?) nicht ganz zustimmen. Was du da beschreibst ist das vollkommene Ausblenden der Realität, was ich im Kontext zur Immersion für gar nicht so wichtig halte. Iona hat da was treffendes geschrieben: Es ist einfach nur verdammt wichtig das einem eine Story oder das aktuelle Geschehen in einer Szene emotional berührt, das geht viel tiefer als es ein reines "Ausblenden" macht, das geht nämlich wirklich "unter die Haut".

[Nachtrag] Meine Immersivsten und somit auch besten Momente im Rollenspiel hatte ich bisher immer, wenn ich an einer Szene wirklich emotional beteiligt war. Wir hatten mal einen wunderbaren Spielabend, an dem sich unsere Charaktere um ein Waisenhaus gekümmert haben und als eins der Kiddies verschwunden ist, waren wir allesamt wirklich in Sorge (um ein fiktives Kind), als wir das Kiddie dann gerettet haben war echte Freunde und Erleichterung am Spieltisch spürbar.

@Tavernenspiel:

Ich breche mal, recht untypisch für mich, eine Lanze für den Gedanken hinter dem Tavernenspiel, zumindest wenn man das nicht als reinen Selbstzweck nutzt. Das kann nämlich auch eine gute "Warmlaufphase" sein um sich in seinen Charakter hinein zu bewegen, den gedanklichen Übergang zu einem "anderen Alltag" zu machen.
« Letzte Änderung: 30.12.2014 | 11:25 von Slayn »
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eldaen

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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #27 am: 30.12.2014 | 11:23 »
@HEXer:

Ich kann dir da leider(?) nicht ganz zustimmen. Was du da beschreibst ist das vollkommene Ausblenden der Realität, was ich im Kontext zur Immersion für gar nicht so wichtig halte. Iona hat da was treffendes geschrieben: Es ist einfach nur verdammt wichtig das einem eine Story oder das aktuelle Geschehen in einer Szene emotional berührt, das geht viel tiefer als es ein reines "Ausblenden" macht, das geht nämlich wirklich "unter die Haut".

Was du beschreibst verbinde ich eher mit Empathie, als mit Immersion. Die beiden Bereiche können Schnittmengen haben, sind aber nicht deckungsgleich. Um bei dem Beispiel mit meinem Sohn zu bleiben: Er hat noch gar kein Verständnis dafür, was Empathie, bzw. ("große") Emotionen sind. Aber Immersion? Dat kanner! ;)

Was du zu "Der Narr" schriebst klingt für mich bildlich gesprochen nach dem Unterschied zwischen WARP und dem Hyperraum: Bei dem einen biegst du die Welt um dich herum, um einen Effekt zu erzielen, bei dem anderen änderst du deinen eigenen Zustand. Versteht ihr, was ich mit dieser sehr nerdigen Umschreibung ausdrücken will?
« Letzte Änderung: 30.12.2014 | 11:36 von HEXer »

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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #28 am: 30.12.2014 | 11:53 »
Ich habe gerade einen sehr interessanten Absatz von einem Gunter Lösel gelesen. Der passt hier sehr gut hin:
Zitat
In der Theorie und der Praxis des Improvisationstheaters haben sich grundlegende allgemeine Regeln der Produktion etabliert. So besitzt jeder Mensch bereits alle wichtigen Eigenschaften wie Erzählen oder Spontanität. Der Großteil der Regeln beschäftigt sich mit der Beseitigung von Abwehrmechanismen und Blockaden. Eine Geschichte entsteht aus der Spontaneität und gegenseitigen Inspiration der Impro-Spieler. Der verneinende Intellekt weicht der Phantasie. Ohne Widerstände entwickelt kann sich eine Improvisation selbstorganisierend entwickeln. Schöpferische Quellen sind dabei das Unbewusste, die Emergenz und der Zufall.
Dem Problem einer schwankenden Qualität wird auf verschiedenen Weisen begegnet. Die Commedia dell´arte überbrückte schwache Momente mit ihren "lazzi", "tirate" und "bravure" und das Ensemble half, wenn einem Schauspieler nicht weiter wusste und unterstützte ihn. Moreno sah das Problem einer schwankenden Qualität als unüberwindbar, erst die Chicago-Schule und Johnstone finden Antworten auf das Problem. Im Improvisationstheater wird eine Ästhetik des Imperfekten gepflegt. Das Scheitern wird positiv gerahmt, der Rahmen Theatersport fängt z.B. schlechte Szenen auf, im Sport ist das Verlieren ein wichtiger Teil des Ereignisses.
(Quelle: Gunter Lösel: Das Spiel mit dem Chaos. Zur Performativität des Improvisationstheaters.)

Da steht nichts von Immersion. Ich denke ähnlich wie der Narr, dass der Begriff Immersion viel zu überbewertet ist. Spiel einfach. Dann kommt der Flow (in welcher Form auch immer. Bei Manchen als Immersion. Bei Anderen halt anders.) automatisch. :)
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Offline Chiarina

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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #29 am: 30.12.2014 | 12:56 »
So. Nach meinem etwas überspitzten Ausgangsbeitrag sichte ich eure Beiträge. Wichtig und korrekt finde ich den mehrfach zu lesenden Hinweis, dass es unterschiedliche Grade von Immersion gibt: Von der Mathematik des Charakterbogens bis zur völligen Orientierungslosigkeit im Hier und Jetzt. Es lässt sich kein objektiv optimaler Grad von Immersion bestimmen.

Ein zweiter für mich spannender Beitrag war dieser:

Zitat von: Slayn
Immersion schließt Aktion und Kreativität aus, dafür muss man sich auf die Meta-Ebenen begeben und genau die brechen Immersion automatisch.

Wie ist das mit der Wechselbeziehung zwischen Immersion und Kreativität? Etwa so?:

Filmische Immersion (siehe Wikipedia-Artikel): passiver Konsum
Intensive interaktive Immersion: reaktives Spiel (ich fühle mich intensiv als Bestandteil der Spielwelt und reagiere auf meine Umwelt)
Niedrigschwellige interaktive Immersion: proaktives Spiel (ich weiß zwar, wie die Spielwelt funktioniert, aber dadurch, dass ich mich nur teilweise ihr zugehörig fühle, bewahre ich die Möglichkeit, sie aktiv mitzugestalten)

Habe ich Slayn richtig verstanden? Sehen das die anderen ähnlich?

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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #30 am: 30.12.2014 | 13:02 »
Mir drängen sich beim Lesen einiger Abschnitte in diesem Thread Parallelen zu Artikeln über die Wichtigkeit von regelmäßigen Orgasmen in diversen Hochglanz-Magazinen auf.
Die Parallele hat etwas. - Wobei es soll ja auch eine Art von Rollenspiel geben, bei denen man wirklich Orgasmen bekommt.  ~;D

Aber auch ernsthafter finde ich diese Parallele extrem gut: Es gibt Leute, denen sind Orgasmen beim Sex wichtiger und anderen, denen sind Orgasmen unwichtiger. Einige haben regelmäßig welche, andere eher selten. - Aber keinen, den ich kenne, empfindet sie als negativ.

Trifft imho alles auch auf Immersion beim Rollenspiel zu.

Ich habe immer das Gefühl, Immersion ist ein Begriff der gerne in den raum geworfen wird damit die DSA-Atmo-Bauergamer sich besonders toll vorkommen können wenn jemand sie wieder drauf hinweist das sie eigentlich für eine normale Rollenspielrunde völlig untaugliche charaktere spielen...
Liegt vielleicht daran, dass du zu viele DSA-Atmo-Bauerngamer kennst.
Ansonsten würdest du feststellen, dass Immersion auch außerhalb von DSA verwendet und geschätzt wird.

Offline 1of3

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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #31 am: 30.12.2014 | 13:25 »
So. Nach meinem etwas überspitzten Ausgangsbeitrag sichte ich eure Beiträge. Wichtig und korrekt finde ich den mehrfach zu lesenden Hinweis, dass es unterschiedliche Grade von Immersion gibt: Von der Mathematik des Charakterbogens bis zur völligen Orientierungslosigkeit im Hier und Jetzt. Es lässt sich kein objektiv optimaler Grad von Immersion bestimmen.

Ein zweiter für mich spannender Beitrag war dieser:

Wie ist das mit der Wechselbeziehung zwischen Immersion und Kreativität? Etwa so?:

Filmische Immersion (siehe Wikipedia-Artikel): passiver Konsum
Intensive interaktive Immersion: reaktives Spiel (ich fühle mich intensiv als Bestandteil der Spielwelt und reagiere auf meine Umwelt)
Niedrigschwellige interaktive Immersion: proaktives Spiel (ich weiß zwar, wie die Spielwelt funktioniert, aber dadurch, dass ich mich nur teilweise ihr zugehörig fühle, bewahre ich die Möglichkeit, sie aktiv mitzugestalten)

Habe ich Slayn richtig verstanden? Sehen das die anderen ähnlich?

Ich weiß nicht. Wie wir feststellen, ist ziemlich schwammig, was Immersion ausmacht. Dazu ist es subjektiv. D.h. selbst wenn äußere Kriterien anscheinend gegeben sind, muss sich bei einzelnen Teilnehmenden trotzdem diese Immersion nicht einstellen. Die Frage ist dann doch, warum sollte man über Immersion überhaupt reden?

Wenn ich meine Rundenmitglieder zu mehr Handlung bringen will, fallen mir einige Dinge ein. Zentral ist die Vorstellungen der Anderen zu kennen und so einen gemeinsamen Erwartungshorizont aufzubauen. Spezifisch kann man hier Kenntnis der Regeln, des Genres, der Hintergrundwelt und der persönlichen Dispositionen beim Spielen nennnen. Das Spiel wird also aktiver, wenn das "Herantasten" wegfällt.

An welcher Stelle brauche ich also das Konstrukt der Immersion, um diese Überlegungen anzustellen?

Online Maarzan

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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #32 am: 30.12.2014 | 13:42 »
Ich bin einer von denen, für die Immersion ein Kernreiz am Rollenspiel ist - einsteigen, fallen lassen und erleben.

Das ist natürlcih ein Idealzustand, der nicht völlig erreicht werden kann und immer wieder kleinere oder größere Störunmgen erlebt.
Wobei ich da Momentanstörungen, Korrekturstörungen, Aufwandsstörungen und systematische Störungen unterscheiden würde:

Momentanstörungen entstehen primär durch Brüche im der Vorstellungswelt, wenn ich gerade nicht weis, wie die Speilrealität aussieht.

Korrekturstörungen sind solche, wo eine falsche Annahme bestand und diese dann korrigiert werden muss und ggf mehr oder weniger lang auf der Metaebene geklärt werden muss oder kleinere, rein reaktive Metaeingriffe erfolgen.

Aufwandsstörungen entstehen durch Abstraktionen oder Verwaltung und sind so lange Störungen, bis die Übertragung von Formalismus in Spielweltbild genügend automatisiert ist. Irgendwann sind "26E-slash" genug Information um zusammenzuzucken, die Zähne zusammen zu pressen und im Kopf eine Axt mit Wucht herankommen zu sehen. 

Systematische Störungen - und die schwerwiegendsten - sind solche, wo das Bild des Regelvorgangs und die Spielwelt nicht übereinstimmen oder nur mit auf Dauer unglaubwürdigen Verdrehungen konform gehalten werden können oderschlimmer noch gar Planungen auf Basis solcher Effekte ständig parallel laufen müssen.

Der für mich relevante Teil der  Erzählkunst des Speilleiters ist tatsächlich weniger der künstlerische Aspekt als seine Fähigkeit detailierte, handlungsrelevante und widerspruchsfreie Bilder der Spielwelt liefern zu können.

Regeln können für mehr oder weniger Stolpersteine sorgen bzw Trittsteine auf denen der Weg ins andere Ich aufsetzen kann  oder über Metakonstrukte die Immersion von vorne herein (für meine Empfindlichkeiten) torpedieren.

Bezgl. Kreativität:
Immersion muss nicht reaktiv sein: Der Charakter hat Wünsche und gewisse Fähigkeiten. In diesem Maße ist es völlig legitim und immersionsungefährdend diese auch anzustreben.
Des weiteren gibt es außerhalb des immersiven Spiels selbst auch die Phasen zwischen den Sitzungen in denen mit dem Spielleiter und ggf anderen Mitspielern Ziele und Wünsche kommuniziert werden können und Situationen vorbereitet werden können. Was problematisch sein kann ist wenn bereits Lösungen und Schlüsselwissen, welches der Charakter nicht hat, auf dem Tisch liegt und dann im Spiel bewußt ignoriert werden muss.

« Letzte Änderung: 30.12.2014 | 13:48 von Maarzan »
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Wulfhelm

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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #33 am: 30.12.2014 | 14:18 »
Will ich das überhaupt, diese Immersion?
Hmmm...

Zitat
Immersion, Immersion, Immersion... ständig ist hier die Rede von Immersion. Bevor ich Anfälle bekomme, wenn ich das Wort wieder lese [...]
Ich würde anfangen zu lachen und die Sache für einen netten Witz halten. Immersion erzeugt so etwas bei mir nicht (das gilt auch für neue Texte).[...]
Dialoge: Funktionieren vielleicht ein paar Stationen lang. Dann kommt die Idee auf, einen Wurf auf Menschenkenntnis zu machen. Immersion unmöglich.
Dramatische Handlungen: Sind besonders anfällig, durch Anwendung bestimmter Regelmechanismen entschieden zu werden. Immersion unmöglich.
[...]Hintergrundmusik: Das finde ich meistens völlig bescheuert. Immer wenn so etwas erklingt, fragt mein Anti-Immersions-Trieb: Äh, bitte, wer erzeugt jetzt noch diese Klänge?
Wie klingt: "Offensichtlich nicht!" für Dich?

Generell stellt sich bei etwas, das man ganz offensichtlich nicht will, und das man (unterstelle ich einfach) fast ebenso offensichtlich nur erwähnt hat, um sich darüber zu echauffieren, die Frage des Könnens gar nicht erst.
« Letzte Änderung: 30.12.2014 | 14:21 von Wulfhelm »

Offline Slayn

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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #34 am: 30.12.2014 | 14:41 »
@HEXer:

Ich halte deine Unterscheidung hier für recht verständlich.
Wir können das Ganze aber auch an der Stelle etwas vertiefen: Ich spiele z.B. gerne Systeme, die von allen Beteiligten verlangen sich vor dem Spiel ein gewisses Grundwissen anzueignen und zumindest zu versuchen zu verstehen worum es genau geht, genau damit sie sich später auf die Konflikte und das Drama einlassen können. Ich hatte erst vor kurzem das negative Erlebnis eine Spontanrunde geleitet zu haben bei dem diese Vorbereitung nicht stattfand und bei der die Spieler folglich Probleme mit den Inhalten hatten, was so weit ging das wir die Runde abbrechen mussten.

Ich sehe es so das erfolgreiche "Immersion" einen ganzen Batzen Eigenleistung benötigt um zu funktionieren und herzlich wenig mit dem "Ausblenden" der Realität zu tun hat (wie du es im Beispiel mit deinem Sohn nimmst). Empathie mag ein Teil davon sein, das ist aber passiv, es benötigt ein breite Rezeption der Dinge auf die man dann reagieren kann und eine erfolgreiche Reaktion benötigt Wissen.

@Chiarina:

Ich versuche mal das etwas klarer zu formulieren: Je proaktiver man als Spieler ist/sein kann, umso mehr wechselt man zum "Author Stance" und denkt über die Story und ihren Impact nach, als sich im Charakter und in der Situation zu befinden. Das pure "Erleben" der Situation hört auf und man greift mehr zu Techniken, die funktionieren, also gezielte Handlungen.

Wenn wir z.B. über Drama reden, können wir als Beispiel auch mal den Begriff Agon auspacken, den ewigen Kampf oder Wettstreit. Als passiver Rezipient ist das eine wunderbare Sache in die man sich "emotional hineinknien kann", als Initiator dagegen ist es eine reine Sache des Intellekts und des Verstehens wie Leute funktionieren und darauf reagieren werden.

Je öfter dieser Wechsel der Stances als stattfindet, umso weniger Zeit verbringt man auf dem emotionalen Niveau das die eigentliche Verbindung zur Szene ausmacht.

Aber ja, du willst diese Immersion, du willst dich einfach mal in eine Szene fallen lassen und die emotional spüren, du willst mal "dort" sein und mitbekommen was "dort" so ausmacht.
Auch auf die Gefahr hin dabei etwas schräg oder esoterisch zu wirken, aber wir reden hier über die gleiche Situation wie Zen.

@1of3:

Ich denke, wir können das relativ einfach feststellen. Persönlich finde ich den Vergleich zu einem Orgasmus nicht gut, da es einen Höhepunkt impliziert, wohingegen Immersion eher ein Zustand zu sein scheint. Die eigentliche Frage ist daher: Wie lange schafft man es sich in diesem Zustand zu halten? Was bedingt den Zustand, was wirft einen einen raus?
Ich finde deinen Beitrag in der Hinsicht kurios, da es durch das von dir beschrieben Herantasten keinen neutralen Nullpunkt zu geben scheint.
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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #35 am: 30.12.2014 | 14:49 »

Ich versuche mal das etwas klarer zu formulieren: Je proaktiver man als Spieler ist/sein kann, umso mehr wechselt man zum "Author Stance" und denkt über die Story und ihren Impact nach, als sich im Charakter und in der Situation zu befinden. Das pure "Erleben" der Situation hört auf und man greift mehr zu Techniken, die funktionieren, also gezielte Handlungen.


Diese Aussage halte ich für falsch. Nichts hindert meines Erachtens einen generell, in der Position des Charakters proaktiv zu werden. Gewisse Spielauffassungen hindern einen generell proaktiv zu werden, aber das hat nichts mit der immersiven Betrachtung zu tun.
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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #36 am: 30.12.2014 | 14:58 »
Diese Aussage halte ich für falsch. Nichts hindert meines Erachtens einen generell, in der Position des Charakters proaktiv zu werden. Gewisse Spielauffassungen hindern einen generell proaktiv zu werden, aber das hat nichts mit der immersiven Betrachtung zu tun.

Konkret geht es aber um einen Aktiv <> Passiv Wechsel _ohne_ zu betrachten ob einen das System davon abhält oder nicht.
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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #37 am: 30.12.2014 | 15:01 »
Konkret geht es aber um einen Aktiv <> Passiv Wechsel _ohne_ zu betrachten ob einen das System davon abhält oder nicht.

Und was soll das heißen? Was hält einen davon ab immersiv proaktiv zu werden?
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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #38 am: 30.12.2014 | 15:16 »
(...) immersiv proaktiv (...)

Klingt irgendwie nach einem neuen Arzneimittel.  :D
"Du wirst direkt in diesem Moment von einer Zilliarde grünkarierter Kakerlakeneinhörner in Tweedanzügen umzingelt, die mit Fallschirmen aus gebeiztem Vanillepudding aus der nächstgelegenen Dattelpalme springen und dich zu ihrer Avonberaterin krönen - und die Krone ist aus Dr. Frankensteins bösartig mutiertem Killernougat! Streich dir 78000 Hirnschadenspunkte ab und mach sofort eine Jodelimprovisation!"

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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #39 am: 30.12.2014 | 15:23 »
Immersion, die ich im Rollenspiel-Kontext verstehe als Einfühlen in den Charakter, so dass Wahrnehmungen und Entscheidungen auf einer unbewussten Ebene nicht mehr aus Sicht des Spielers, sondern aus der des Charakters getroffen werden (im Gegensatz zur bewussten Steuerung des Charakters durch den Spieler), ist sicherlich etwas, das man, wenn man es mal erlebt hat, als überdurchschnittlich intensives Spielerlebnis beschreiben wird. Es ist also erst mal nix verkehrt an Immersion.

Die Kehrseite der Medaille ist, dass sich intensive Spielerlebnisse auch auf andere Weise erreichen lassen. Meine intensivsten Runden waren mehrstenteils recht unimmersive kooperativen Storygaming-Runden, bei denen sich die Spieler in der Tat in größerem Umfang im Author Stance befanden.

Als zusätzliches Problem kommt obendrauf, dass es kaum Techniken gibt, die Immersion fördern, und der Versuch, immersiv zu spielen, häufiger als nicht in verkrampfte wir-wollen-jetzt-Stimmung-Sessions ausartet, in denen meist viel zu viel ausgespielt wird, weil auch die Alltäglichkeiten angeblich helfen, sich in den Charakter einzufühlen (tun sich nach meiner Erfahrung im Allgemeinen nicht. Helfen tun die Momente, die für den Charakter intensiv sind, weil die Rückkopplung zum Spieler dann entsprechend hoch ist).

Insofern bleibt als Fazit: Immersion ist potenziell erstrebenswert, aber nicht auf Knopfdruck zu erzeugen, und auch kein Indikator auf besseres oder gar einzig wahres Rollenspiel. Wenn man beim Rollenspiel keine Immersion erfährt, ist das kein Beinbruch, sondern Normalität, und Spaß kann man problemlos auch ohne haben.
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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #40 am: 30.12.2014 | 18:11 »
Zitat von: Maarzan
Zitat von: Slayn
Konkret geht es aber um einen Aktiv <> Passiv Wechsel _ohne_ zu betrachten ob einen das System davon abhält oder nicht.
Und was soll das heißen? Was hält einen davon ab immersiv proaktiv zu werden?

Eigentlich hat es Slayn einen Beitrag vorher bereits ganz gut getroffen: Es ist der "author stance" (Autorenhaltung), wodurch ein Spieler davon abgehalten werden kann immersiv proaktiv zu werden. Ich kann mit dem Ausdruck ziemlich viel anfangen, denn ich glaube, er beschreibt eine Haltung, die einzunehmen mir den meisten Spaß bereitet. Und daran anschließend fällt mir noch die Frage ein: Gibt es einen Begriff, der die Art des Vergnügens beschreibt, die man bei der Einnahme des "author stance" erleben kann - vergleichbar etwa mit dem Begriff Immersion bei der Identifikation mit dem alter ego in der virtuellen Welt? Ich hätte einfach auch ganz gern so ein griffiges Wort wie "Immersion", wenn ich jemandem verdeutlichen möchte, auf was es mir ankommt.

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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #41 am: 30.12.2014 | 18:40 »
Und was soll das heißen? Was hält einen davon ab immersiv proaktiv zu werden?

Eigentlich hat es Slayn einen Beitrag vorher bereits ganz gut getroffen: Es ist der "author stance" (Autorenhaltung), wodurch ein Spieler davon abgehalten werden kann immersiv proaktiv zu werden. Ich kann mit dem Ausdruck ziemlich viel anfangen, denn ich glaube, er beschreibt eine Haltung, die einzunehmen mir den meisten Spaß bereitet. Und daran anschließend fällt mir noch die Frage ein: Gibt es einen Begriff, der die Art des Vergnügens beschreibt, die man bei der Einnahme des "author stance" erleben kann - vergleichbar etwa mit dem Begriff Immersion bei der Identifikation mit dem alter ego in der virtuellen Welt? Ich hätte einfach auch ganz gern so ein griffiges Wort wie "Immersion", wenn ich jemandem verdeutlichen möchte, auf was es mir ankommt.

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Die Autorenhaltung ist doch gerade der Gegenpol zum Immersionsspiel. Wenn man gerade nicht immersiv ist, ist man natürlich auch nicht immersiv proaktiv.
In der Aussage ging es aber darum warum man in Immersion nicht proaktiv können sein soll?

Bezgl. Definition:
Das Werkzeug Authorstance läßt ja eine Menge Dinge machen und unterscheidet sich ncoh einmal kräftig dadurch, wie die Mitspieler sich daran beteiligen. Ich schätze da müßtest du etwas präziser werden, was du da gerne gestaltest und wie die anderen Beteiligten da mit reinspielen sollen, damit es dir Spaß macht.

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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #42 am: 30.12.2014 | 18:42 »
Gibt es einen Begriff, der die Art des Vergnügens beschreibt, die man bei der Einnahme des "author stance" erleben kann - vergleichbar etwa mit dem Begriff Immersion bei der Identifikation mit dem alter ego in der virtuellen Welt? Ich hätte einfach auch ganz gern so ein griffiges Wort wie "Immersion", wenn ich jemandem verdeutlichen möchte, auf was es mir ankommt.

Chiarina.
Nun, Immersion kommt vom lat. immersio (untertauchen) irc.
Es geht ja auch darum, in die Geschichte "einzutauchen".

In der Authorenhaltung taucht man nicht in die Geschichte ein und erlebt sie, sondern man schreibt, beeinflusst, generiert die Geschichte. Pack dir ein lateinisches Wort mit der Bedeutung, die am ehesten das wiedergibt, was du als so spaßig empfindest und verpasse dem dann ein entsprechendes Suffix  ;). Ein bereits gebräuchlicher Begriff wäre mir nicht bekannt.
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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #43 am: 30.12.2014 | 18:44 »
...Authorenhaltung ...Pack dir ein lateinisches Wort mit der Bedeutung, die am ehesten das wiedergibt, was du als so spaßig empfindest und verpasse dem dann ein entsprechendes Suffix  ;). Ein bereits gebräuchlicher Begriff wäre mir nicht bekannt.

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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #44 am: 30.12.2014 | 18:46 »
Wenn es z.B. um das Erstellen und Ausschmücken einer tollen Spielwelt geht, wäre Schöpferrausch vielleicht ein entsprechendes Wortbild.
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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #45 am: 30.12.2014 | 18:48 »
Das wäre dann als Adjektiv demiurgalcrapulös  ;D
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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #46 am: 30.12.2014 | 19:03 »
Der nächste mir einfallende Archetyp ist der MarySue-Präsentator. Was ist das auf Latein  8)
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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #47 am: 30.12.2014 | 19:15 »
Das wird langsam OT und gehört eigentlich in den Lateinübersetzungsservice  :D

Aber ich versuchs mal: am schwierigsten ist natürlich Mary Sue, da nehme ich jetzt mal den Ausdruck für "Lieblingssklavin"  wtf? - favea.
Das wäre dann ein Propositor faveae, etwas krumm eingedeutscht (wie viele lateinische Ausdrücke) ein Favealpropositor.
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Offline Chiarina

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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #48 am: 30.12.2014 | 19:18 »
Hm? Mit Mary Sue hat das meines Wissens nichts zu tun. Ich bin noch nichtmal unbedingt auf eine einzige Figur aus.

Chiarina.
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Re: Ich bin immersionsimpotent
« Antwort #49 am: 30.12.2014 | 19:23 »
Also für mich war eine Mary Sue immer ein über die Gebühr ins Setting geknallter Dauer-Spotlight-Charakter, der dazu dient, anderen eigentlich ebenbürtigen oder sogar überlegenen Figuren die Show zu stehlen. Bekanntetes Beispiel war für mich da Wesley Crusher.  :)

Aber wir sollten jetzt wirklich die Fragestellung des Threads wieder ins Auge fassen, ich kriege langsam ein schlechtes Gewissen    :-\
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