Autor Thema: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?  (Gelesen 4194 mal)

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Offline Blechpirat

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Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« am: 22.07.2016 | 14:13 »
Ich denke gerade über Folgendes nach: Angenommen ich möchte eine RL-Misstand im Rollenspiel (im Roman ginge wohl auch) thematisieren und packe ihn dazu in ein Fantasygewand - was ändert sich? Wird der Kontrast größer und das Problem erkennbarer, oder "verstecke" ich das Problem, weil ich es zu einem settinggegebenen Zustand mache?

Als Beispiel (vorsicht, bitte treibt das Thema nicht in die SC) nehme ich mal Rassismus. Wenn ich also meine unterdrückte Minderheit durch Orks ersetze (oder die dominierende Minderheit durch Elfen) - wird das Problem klarer, weil die Grenzen jetzt eindeutig sind, oder unklarer, weil Orks ja keine Menschen sind und daher auch nicht so behandelt werden müssen?

Offline Boba Fett

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #1 am: 22.07.2016 | 14:21 »
Ich glaube, das ist stark abhängig von der Präsentation und der Wahrnehmung des Sachverhaltes.
Insofern: was ändert sich? Nichts.

Wenn Du dieses Thema in den Vordergrund legst und so thematisierst, dass die Spieler darauf aufmerksam werden und sich damit beschäftigen müssen (und zum Beispiel in moralische Zwicklmühlen gesteckt werden), dann werden sie darauf aufmerksam und es auch behandeln.
Legst Du es in den Hintergrund, in dem Du es am Rande wahrnehmbar machst (ja, ausserhalb der Stadt gibt es Ghetto aber dort leben nur Orks) während der Focus auf andere Spielgeschehen gelegt werden, dann wird es versteckt bleiben.

Das gilt sowohl für Spielleiter / Spieler wie auch für Autor / Lesende.

Was es etwas verwischt, ist der Verlust, der zwischen Informationssender und -empfänger bei der Übertragung entsteht - denn gerade bei gesprochenen und geschriebenen Informationen fehlt ja jede Menge Metainformation.  Daurch entsteht im Kopf des Recipienten entwas anderes als beim Präsenten.
« Letzte Änderung: 22.07.2016 | 14:27 von Boba Fett »
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Offline Oberkampf

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #2 am: 22.07.2016 | 14:24 »
Ich würde tendenziell sagen, es verwischt die Probleme und macht sie eher unklar. Beispiel Rassismus und Orcs: Rassismus hat immer auch zeitgeschichtlich-situative Hintergründe wie Ökonomie oder aktuelle Welt- und Menschenbilder, in die er sich einfügt bzw. aus denen er sich speist. Was wir heute an aktueller Exklusion von Menschengruppen haben ist etwas ganz anderes als vor 25, 50, 100 oder 150 Jahren. In einer Fantasywelt gelten noch weitere Faktoren, die es bei uns nicht in der Wirklichkeit gibt, die eine Übertragung erschweren.
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Offline Isegrim

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sinke
« Antwort #3 am: 22.07.2016 | 14:45 »
Ich würde sagen, welchen Aspekt des Problems "Rassismus" du thematisieren willst, und inwieweit die pieler bereit sind, sich von gängigen Fantasy-Klischees zu lösen.

Orks sind (in vielen Fantasy-Welten und im Hirn vieler Spieler, inkl meinem eigenen) brutale Gesellen, die aus gutem Grund eine Gefahr darstellen, und bei denen nicht lange gefackelt wird, sondern die Fackeln anderweitig zum Einsatz kommen. Ist vielleicht etwas destruktiv, wenn man daran eine Rassismus-kritische Story aufhängen will.

Auch taugen Orks natürlich gar nicht dafür, Rassismen zu thematisieren, die nicht auf "die primitiven Wilden!" hinauslaufen. Gegen Juden oder Sinti & Roma bestanden einfach andere Vorurteile, als sie gegen Orks in der Standard-Fantasy-Welt üblich sind.

Auf der anderen Seite: In einer Fantasy-Welt hat man nur die Klischees und (falschen) Vorstellungen, die man auch haben will. "Vorurteile gegen primitive Barbaren" bspw, ohne religiös-theologische Vorstellungen, Bilder von "edlen Wilden" oder anderes, die in der Realität vielleicht eine Rolle spielen, aber gar nicht das sind, was man thematisieren möchte. Arbeite ich das Thema Rassismus an Orks ab, dürfte bspw die "Gefahr" sinken, dass einer der Chars den Winnetou im Ork-Häuptling erkennt.
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Offline Skyrock

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #4 am: 22.07.2016 | 14:45 »
Der Nutzen ist, das Problem zu abstrahieren und von der Tagespolitik zu trennen. Bei einem Rollenspiel mit Elfen und Orks hängt einfach weniger emotionaler Ballast und Voreingenommenheit hinter dem Grundthema (Rassismus), als ob ich einen der aktuellen Konflikte wie Schwarze vs Polizei bespielen würde.

Wie es angenommen wird, hängt rein vom Empfänger ab. Ein solches Spiel braucht Empfänger, die sich darauf einlassen und das Problem in seiner abstrahierten Form und seine Auswirkungen auf die fiktive Welt ernst nehmen.
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Online nobody@home

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #5 am: 22.07.2016 | 14:55 »
Ich würde sagen: kommt auf den konkreten Einzelfall an, verwischt aber normalerweise eher. Gerade beim Beispiel Rassismus haben wir ja, daß Standard-Fantasy sich auch einfach so schon schnell mal bei rassistischem Gedankengut als Vorbild bedient -- woher kommen denn sonst die ganzen praktischerweise "bösen" und im Normalfall zur besseren Kenntlichkeit auch gleich noch konventionell "häßlichen" intelligenten Lebensformen, mit deren Abschlachten der typische "Held" so seinen Lebensunterhalt und seine Erfahrungspunkte verdient? Wenn ich vor so einem Hintergrund Rassismus tatsächlich noch als eigenes Thema ansprechen will, bleibt mir eigentlich nur, ihn entweder so weit ins Extrem zu treiben, daß er selbst da noch auffällt...oder gleich anzusprechen, daß der Kaiser eigentlich nackt ist, und dann damit weiterzuarbeiten. Wobei letzteres dann ein bißchen dazu führen kann, daß ich das Genre, in dessen Kontext ich mich eigentlich mit dem Thema befassen wollte, gleich wieder ein Stück weit hinter mir lasse, denn "Ab heute sagen wir dem allgegenwärtigen Rassismus unserer Spielwelt den Kampf an!" ist eigentlich kein so ganz typischer Standard-Fantasyplot mehr...

Offline Chruschtschow

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #6 am: 22.07.2016 | 14:59 »
Es hängt halt sehr von der Verpackung ab. Zwei ganz gelungene Versionen von dargestelltem Rassismus in der Fantasy gibt's in Computerspielen:
- Arkanum: die primitiven Orks haben moderneren Menschen und Gnomen nichts entgegen zu setzen und werden als billige Arbeitskräfte für die einsetzende Industrialisierung in Slums zusammengepfercht
- Elfenghettos in Dragon Age

Beide Beispiele ziehen ihre Wirkung aus dem Bruch mit Klischees. Die Orks sind keine barbarischen Unterdrücker. Ihre Rückständigkeit und physische Stärke zwingen sie in die Rolle des Unterdrückten. Genauso bei den Elfen von Dragon Age. Naturverbundener Konservativismus verliert gegen die anpassungsfähigeren Menschen und die klassischen Fantasyherrscher werden aufgrund der Besonderheiten ihrer Ethnie unterdrückt.

Orksklatschen mit dem klassischen bösen Ork? Das sind wir gewohnt und ohne massives Aufzeigen fällt es kaum mal als Rassismus auf.
« Letzte Änderung: 22.07.2016 | 15:06 von Chruschtschow »
Tolles Setting, würde ich aber mit Fate spielen. Und jeder Thread ist ein potentieller Fate-Thread. :d

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Luxferre

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #7 am: 22.07.2016 | 15:13 »
Das Portieren in ein phantastisches Medium hat vor Allem einen Nachteil: mangelnde Identifizierung, bzw. mangelnde Befangenheit. Ausführung spare ich mir mal. Ich denke Du weißt, worauf das hinausläuft.

Offline Skele-Surtur

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #8 am: 22.07.2016 | 15:36 »
Ich denke gerade über Folgendes nach: Angenommen ich möchte eine RL-Misstand im Rollenspiel (im Roman ginge wohl auch) thematisieren und packe ihn dazu in ein Fantasygewand - was ändert sich? Wird der Kontrast größer und das Problem erkennbarer, oder "verstecke" ich das Problem, weil ich es zu einem settinggegebenen Zustand mache?

Letzteres.
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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #9 am: 22.07.2016 | 16:26 »
Die grundsätzliche Idee ist wohl, durch die Verfremdung Anstoß zu vermeiden oder größere Nähe herzustellen. X-Men handelt von auf Rassismus bzw. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Xavier und Magneto sind ziemlich genau Allegorien auf King und Malcolm X. Die X-Men sind nun aber alle weiß, nur durch ihre Superkräfte, erfahren sie Diskriminierung. Das macht die Geschichte für Weiße anschlussfähig, also für die Diskriminatoren in der realen Problematik.

Online Runenstahl

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #10 am: 22.07.2016 | 17:03 »
Hmm ich selbst habe bisweilen RL Situationen im RP versteckt um mal zu gucken wie es denn die Charaktere handeln wenn sie mitten in der Situation stecken. Wenn man dann hinterher sagt worauf das Abenteuer eigentlich abzielte, so sind die Spieler dann doch bisweilen nachdenklich / überrascht. Rassismus ist da insofern ein schlechtes Beispiel, als das sowas tatsächlich eher als "Settingbezogen Normal" empfunden wird. Bei politischen Reibereien sieht das jedoch anders aus.
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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #11 am: 22.07.2016 | 17:08 »
Die X-Men sind nun aber alle weiß [...]
:o

...oh, richtig, stimmt für die Originalgruppe. Klingt für jemanden, der eher an die deutlich internationaler geprägte zweite "klassische" Inkarnation mit Storm, Nightcrawler, und dem Teilzeit-Metallmann Colossus gewöhnt ist, trotzdem erst mal etwas merkwürdig. ;)

Offline Teylen

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #12 am: 22.07.2016 | 17:12 »
Wird der Kontrast größer und das Problem erkennbarer, oder "verstecke" ich das Problem, weil ich es zu einem settinggegebenen Zustand mache?
In den meisten Fällen letzteres.
Das heißt bei Fantasy kommen sehr häufig entsprechende Genre Tropen zum Zuge die eine Projektion auf das realweltliche Geschehen verhindern.
Das kann in der Form geschehen das der Autor sehr konkret geäußert hat das die Orks keine Allegorie darstellen, wie bei Tolkien der Fall.
Das kann in der Form geschehen das entweder die Orks defacto böse sind und das Genre keine dramaturgische Auseinandersetzung in Form einer Allegorie auf die Realität vorsieht.
Das kann in der Form problematisch sein das sich Genre-Fans mitunter der Idee verwehren z.B. eine Bevölkerungsgruppe die das gängige Klischee und Vorurteile gegenüber Zigeuner abbildet als problematischer Bezug zur Realität zu akzeptieren weil sonst zuviel vom Flair des "karpatischen Bluttrinker" Setting hops geht.
Das kann in der Form problematisch sein als das die Orks tatsächlich eine andere Rasse sind respektive die Figuren tatsächlich innerhalb des Setting Modifikatoren haben die sie faktisch gewalttätig oder kriminell macht oder unterschiedliche Attribute als Fakt definiert.
Das kann in der Form problematisch sein als das man simplifizierte Methoden im Fantasy Setting für erfolgreich beziehungsweise valide verklärt und sich damit gar eventuell auch noch selbst entschuldigt.

Das heißt die Behandlung des Problems funktioniert über, gerade klassische, Fantasy nicht gut bis nicht.
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Chiungalla

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #13 am: 22.07.2016 | 17:21 »
Terry Pratchett gelingt es aber durchaus auf humorige Art und Weise viele Missstände der realen Welt in einer Fantasy-Welt zu thematisieren, und damit mal zum nachdenken, oft zum lachen und häufig zu beidem anzuregen. Allerdings war Terry Pratchett natürlich auch ziemlich genial und sehr besonders.

Online sindar

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #14 am: 22.07.2016 | 17:29 »
Aus den Eingangspost geantwortet: In einem Fantasybuch will ich sowas nicht drinhaben, im Rollenspiel noch weniger. Ich wuerde sowas garantiert uebersehen, und wenn ich mit der Nase draufgestossen werde, reagiere ich wahrscheinlich sehr verschnupft. Mit sowas muss ich mich schon im RL genug 'rumschlagen, da will ich das in meiner Freizeitbeschaeftigung nicht auch noch drinhaben.
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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #15 am: 22.07.2016 | 17:41 »
Naja, die Welt ist ja so kaputt, dass man eigentlich keinen Konflikt anbieten kann, der nicht auch in der realen Welt existiert, oder?

Natürlich kann man Fantasy aber auch so benutzen, dass es z.B. klare moralische Schema von Gut oder Böse gibt - und ich weiß das Sindar das im Spiel so mag.
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Eulenspiegel

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #16 am: 22.07.2016 | 17:53 »
Ich denke, mit Fantasy gelingt es, RL-Probleme zu abstrahieren. Sexismus, Rassismus, Anti-Semitismus etc. legen allen die gleichen Probleme zu Grunde:
1) Vorurteile und Schubladendenken
2) Gruppenbildung ("wir" gegen "sie")
3) Moralische Wertung: anders = schlechter. Das heißt, was anders ist, ist auch automatisch schlechter.

Alle diese Sachen sind den o.g. Problemen inhärent. Egal, ob es nun um Sexismus, Rassismus, Anti-Semitismus oder ähnlichem geht.

Das Problem als Spieler ist nun: Ich habe Schwierigkeiten, mich in einen sexistischen, rassistischen oder anti-semitischen Menschen hineinzuversetzen. Daher gelingt es mir nicht, ihre Beweggründe nachzuvollziehen.

Aber ich kann mich problemlos in einen Menschen hineinversetzen, der Orks hasst, weil sie sein Dorf niedergebrannt haben. Das heißt, durch das Fantasy werden mir die drei Probleme (Vorurteile/Schubladendenken, Gruppenbildung, moralische Wertung) bewusst und ich kann damit auf einer abstrakten Ebene die RL-Probleme aus Täterperspektive nachfühlen.

Wenn man sich nicht nur dafür interessiert, die Täter zu verstehen, sondern auch, zu verstehen, wie sich ein Feindbild entwickelt, ist Fantasy oder SF ebenfalls sehr gut geeignet: Der SL lässt eine unbekannte Spezies auftauchen, die den Spielern feindlich gesinnt ist. Die meisten Spieler übertragen nun die feindliche Aktion vom feindlichen Individuum auf die gesamte Spezies (Schubladendenken). Aus einem feindlichen Individuum wird so ohne größeres Zutun des SLs schnell eine feindliche Spezies (Gruppenbildung: wir gegen sie).

Wenn man dann nach dem Spiel darüber reflektiert, wird einem erst klar, wie anfällig man selber für bestimmte Gedankengänge ist.

Man muss sich halt lösen von dem Wunsch, den konkreten Rassissmus des RL nachspielen zu wollen. Das gelingt in Fantasy nicht. Wenn es jedoch darum geht, die Quintessenz des Rassismus zu destilieren und diese erfahrbar zu machen, dann gelingt es mit Fantasy/SF hervorragend.
Was man sich klarmachen muss: Das was herauskommt, ist nicht der Rassismus des RL. Das was herauskommt, hat aber die gleiche Quintessenz wie der Rassismus des RL.
« Letzte Änderung: 22.07.2016 | 17:57 von Eulenspiegel »

Online Maarzan

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #17 am: 22.07.2016 | 17:54 »
Ich denke man kann bei genügender Abstraktion und glaubwürdioger Darstellung sicher eine allgemeine Grundwahrnehmung für Konflikte und ihre Ursachen und Formen schärfen.

Eine 1:1 Abbildung irdischer Konflikte würde ich aber als seeehr katatrophenträchtig sehen, denn dann werden auch irdische Genauigkeitsmaßstäbe angelegt PLUS die politisch getränkten Sichtweisen davon, denen gleichzeitig KEINER gerecht werden kann.
Was übrigbleibt ist sich diesen Konflikt dann mit der entsprechenden Toxidität auch noch an den Spieltisch geholt zu haben.

Und wenn eh alle Beteiligten der gleichen Meinung sind und so kein Konflikt zu erwarten ist, was ist dann er erwartete Nutzen so etwas in dieser Form einzubringen?
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Online Runenstahl

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #18 am: 22.07.2016 | 19:07 »
Ich denke man kann bei genügender Abstraktion und glaubwürdioger Darstellung sicher eine allgemeine Grundwahrnehmung für Konflikte und ihre Ursachen und Formen schärfen.

Exakt. Mir geht es bei sowas hauptsächlich darum die Leute dazu anzuregen sich kritischer mit den Nachrichten auseinander zu setzen und auch mal zu versuchen Ereignisse aus anderen Blickwinkeln zu sehen. Das empfinde ich als sehr Sinnvoll.

Aber kein Angst, das ist am Spieltisch bei uns die Ausnahme. Der größte Teil meiner Inspirationsquellen sind und bleiben Romane, Filme und Comics. Das mich Weltereignisse inspirieren kommt recht selten vor.
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Offline ArneBab

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #19 am: 25.07.2016 | 15:38 »
Ich denke, die Konflikte können stärker sichtbar werden, wenn das wirklich das Ziel der Runde ist.

In unserer Welt zerstören wir unsere Lebensgrundlage. In Final Fantasy verbrennen sie direkt den Lebensstrom. Das ist viel direkter erfassbar als ein paar aussterbende Spezies, ein bisschen stärker vergiftete Böden, etwas weniger funktionierende Antibiotika und ein paar Prozente eines Grades an Klimaerwärmung.

Wir können Konflikte überhöhen und transformieren, um sie sichtbarer zu machen.

Kannst du den Konflikt zu einer Grundlage der Magie in deiner Fantasywelt machen? Wenn ja, dann hast du einen einfachen Weg, um sie stärker hervortreten zu lassen. Wie wäre es, wenn Elfen ihre Zauber wirken würden, indem sie Orks in der Umgebung Lebensjahre entreißen? Die Spieler beginnen als Elfen, die wundervolle Magie wirken können, aber nicht wissen, was ihre Zauber in den Orkvierteln anrichten. Wie gehen sie damit um, wenn sie in einer Katastrophe von Orks abhängig sind und die Orks von ihnen verlangen, nie wieder einen Zauber zu wirken? Wie gehen sie damit um, wenn später Orks am sterben sind, und sie ihnen mit Magie helfen könnten, aber dafür ihr Versprechen brechen und  ihnen unbekannte Orks um Jahrzehnte altern lassen müssten?
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Offline Teylen

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #20 am: 25.07.2016 | 16:07 »
Was man sich klarmachen muss: Das was herauskommt, ist nicht der Rassismus des RL. Das was herauskommt, hat aber die gleiche Quintessenz wie der Rassismus des RL.
Meines Erachtens nicht.

Das heißt in der Fantasy Welt sind die Orks, sehr häufig, die bösartige Bedrohung von außen gegen die es gilt sich zu wehren.
Die jenseits der Vernichtung der unterschiedlichen guten Reiche keine wirkliche Motivation haben.
Die hinsichtlich der Kultur dahingehend gestaltet sind das sie aggressive Feinde sind und wo es dementsprechend keinen positiven Aspekt der anderen Kultur gibt.
Die sich gerade in Rollenspielen sehr häufig faktisch von anderen unterscheiden in dem sie einen Bonus auf Stärke, einen Malus auf Intelligenz kriegen und wenn das noch zu unsubtil war eine Stimme im Kopf welche sie böse macht. Die dementsprechend auch die Gesinnung böse haben.

Das heißt in einem Setting wie Vampire: The Masquerade sind die Ravnos, die aus Indien kommen, mit Sinti und Roma leben, nun einmal alle Kriminell. Im besten Fall lassen die Ravnos ihre Kriminalität nicht an den anderen Charakteren aus. Sie bleiben dennoch Kriminelle.

Das heißt imho taugt es nicht, so normal aus der Packung, um Rassismus, Sexismus, Anti-Semitismus, Anti-Ziganismus und andere Vorbehalte mal so aufzuarbeiten. Eher besteht da die Gefahr das es sich eher verhärtet. Weil da z.B. die andere Rassen einerseits tatsächlich andere Rassen sind und andererseits die Vorurteile in Hinblick auf die Werte sowie die Einbindung keine Vorurteile sondern Fakten sind.
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Swafnir

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #21 am: 25.07.2016 | 16:46 »
Meines Erachtens nicht.

Das heißt in der Fantasy Welt sind die Orks, sehr häufig, die bösartige Bedrohung von außen gegen die es gilt sich zu wehren.
Die jenseits der Vernichtung der unterschiedlichen guten Reiche keine wirkliche Motivation haben.
Die hinsichtlich der Kultur dahingehend gestaltet sind das sie aggressive Feinde sind und wo es dementsprechend keinen positiven Aspekt der anderen Kultur gibt.
Die sich gerade in Rollenspielen sehr häufig faktisch von anderen unterscheiden in dem sie einen Bonus auf Stärke, einen Malus auf Intelligenz kriegen und wenn das noch zu unsubtil war eine Stimme im Kopf welche sie böse macht. Die dementsprechend auch die Gesinnung böse haben.

Das heißt in einem Setting wie Vampire: The Masquerade sind die Ravnos, die aus Indien kommen, mit Sinti und Roma leben, nun einmal alle Kriminell. Im besten Fall lassen die Ravnos ihre Kriminalität nicht an den anderen Charakteren aus. Sie bleiben dennoch Kriminelle.

Das heißt imho taugt es nicht, so normal aus der Packung, um Rassismus, Sexismus, Anti-Semitismus, Anti-Ziganismus und andere Vorbehalte mal so aufzuarbeiten. Eher besteht da die Gefahr das es sich eher verhärtet. Weil da z.B. die andere Rassen einerseits tatsächlich andere Rassen sind und andererseits die Vorurteile in Hinblick auf die Werte sowie die Einbindung keine Vorurteile sondern Fakten sind.

Er redet von Fantasy in einem entsprechenden setting. Du von Vampire, das in "unserer Welt" angesiedelt ist. Der Unterschied dazu nennt sich "Referenzillusion". Das macht es leichter sich einzufinden, aber eben auch ungeeigneter für das was Eulenspiegel beschreibt.

Offline Teylen

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #22 am: 25.07.2016 | 17:02 »
Er redet von Fantasy in einem entsprechenden setting. Du von Vampire, das in "unserer Welt" angesiedelt ist. Der Unterschied dazu nennt sich "Referenzillusion". Das macht es leichter sich einzufinden, aber eben auch ungeeigneter für das was Eulenspiegel beschreibt.
Der größte Abschnitt von meinem Fullquote spricht von Orks und bezieht sich damit auf Fantasy in entsprechenden Setting.
Vampire bekam da nur zwei Sätze ab. Wobei man die Ravnos wohl auch halbwegs durch die Zarovich aus Ravenloft / Curse of Strahd ersetzen kann (Das ich die nicht als Beispiel nahm lag daran das ich CoS nicht habe und die Zarovich Problematik nur aus einem  :t: Thread kenne).
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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #23 am: 25.07.2016 | 17:38 »
Ich denke, die Konflikte können stärker sichtbar werden, wenn das wirklich das Ziel der Runde ist.

In unserer Welt zerstören wir unsere Lebensgrundlage. In Final Fantasy verbrennen sie direkt den Lebensstrom. Das ist viel direkter erfassbar als ein paar aussterbende Spezies, ein bisschen stärker vergiftete Böden, etwas weniger funktionierende Antibiotika und ein paar Prozente eines Grades an Klimaerwärmung.

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Re: Fantasy als Verkleidung oder Lupe?
« Antwort #24 am: 25.07.2016 | 17:42 »
Das heißt imho taugt es nicht, so normal aus der Packung, um Rassismus, Sexismus, Anti-Semitismus, Anti-Ziganismus und andere Vorbehalte mal so aufzuarbeiten. Eher besteht da die Gefahr das es sich eher verhärtet. Weil da z.B. die andere Rassen einerseits tatsächlich andere Rassen sind und andererseits die Vorurteile in Hinblick auf die Werte sowie die Einbindung keine Vorurteile sondern Fakten sind.
Ich würde das etwas umformulieren: Eine Fantasy-Welt, die nicht (zumindest in der bespielten Region) gestaltet ist, um das entsprechende Thema aufzugreifen, ist für die entsprechenden Probleme recht wahrscheinlich nicht gut geeignet. Zum Teil, weil sie viele Themen ausblendet. Was auch notwendig ist, um den Fokus auf ein bestimmtes Thema zu legen.
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