In Napoleon mäandert und kämpft sich Ridley Scott, schlaglichtartig die Highlights
abklappernd, durch das Leben des französischen Feldherrn und späteren Kaisers. Hierbei zeigt
er jedoch kein wirkliches Interesse an der Person Bonapartes, und dieses Desinteresse
überträgt sich auch auf die Figur selber.
Napoleon kommt mit so wenig Esprit und Charme daher, wie man es von einem Karrieristen
nicht erwarten würde. Phoenix legt ihn unbeholfen, rüde, gelangweilt und fast als seltsamen
Vogel an. Das ist so, in Bezug auf Napoleon, zumindest eine ganz neue Sichtweise, von der man
vorher noch nie etwas gehört hatte.
Nun wimmelt das Werk nur so von Fehlern, Ungenauigkeiten und dramaturgischen Beugungen, aber
die braucht man gar nicht anzuprangern, da der Film auch ohne diese einfach nicht besonders gelungen
ist.
Was war gut? Der Anfang oder die erste halbe Stunde war noch ganz gut, dann aber bearbeitet Scott
die Beziehung zwischen Napoleon und Josephine als eine Art on and off Rosenkrieg, und hangelt sich
zwischendurch von einer Schlacht zur nächsten. Grundsätzlich zeigt sich Scott bei den Massenactionszenen
immer noch auf der Höhe, auch wenn diese eher Videoclipartig inszeniert wurden. Es geht eher nicht um die Kämpfe
als ganzes, sondern hauptsächlich um möglichst dramatische und reißerische Momente im Getümmel; dennoch
sind alle Actionsequenzen quasi die Höhepunkte des Films.
Insgesamt will Scott den mehr oder weniger ganzen Napoleon zeigen, und steht am Ende nur mit teurem Stückwerk und Verschnitt
da. Es kann sein, dass der sicherlich folgende Director's Cut den Streifen noch ein wenig unterfüttern und
aufwerten wird, aber vielleicht wäre es weiser gewesen, groß zu denken und den Film in mindestens zwei
Teilen herauszubringen. Bei dem anerkennenswert enormen Aufwand wäre das sicher eine Option gewesen.
So ist Scott's Napoleon leider nichts halbes und nichts ganzes geworden, ist weder Fisch noch Fleisch.
Für Fans von epischen Schlachtenszenen und period pieces (wie mich) lohnt es sich dennoch allemal, aber
als ernstzunehmendes Biopic über Napoleon schlägt sich der Film eher schlecht.
Fazit: Eine fahrige, so eigentlich wenig Spaß machende Inszenierung, die hauptsächlich in den Action-Szenen über-
zeugen kann, und den einen oder anderen Lacher wegen Napoleons Kauzigkeit produziert.
6/10
Edit: Da der kommende Director's Cut vier oder viereinhalb Stunden haben soll, ist es kein Wunder, dass diese
Kinofassung wie Stückwerk daherkommt und eigentlich so gar nicht bewertbar ist. Dennoch bleibt die Darstellung
von Napoleons Charakter zumindest eigenwillig und entspricht eher nicht dem Bericht von Zeitzeugen oder der
Meinung von Historikern.