Vielleicht könnt ihr erst mal definieren, was ein Speer ist, danke.
Was ein
Speer ist, unterscheidet sich je nach Quelle. Einige Leute verwenden Speer als die Hauptgruppenbeschreibung der Familie "Langes Holzding mit Pieks am Ende", andere wollen dafür den Begriff
Spieß etablieren. Diese definieren dann manchmal den Speer als einen Spieß, der auch geworfen werden kann. Die Speer-als-Hauptbegriff-Fraktion hingegen nennt den Speer, der geworfen wird, schlicht einen Wurfspeer und ist sich dessen nicht bewusst, dass historisch sogar Piken, die unter die Spieße fallen, mitunter geworfen wurden und als Wurfwaffen begrenzt tauglich waren. Andere wiederum definieren die verschiedenen Begriffe je nach Gebrauch: Alle Langholzpieksis sind Speere, aber wenn ein Fußsoldat es in der Hand hat, ist es ein Spieß. Wenn ein Reiter es in der Hand hat, ist eine Lanze. Dummerweise gibt es aber auch solche, die den Spieß als Hauptbegriff benutzen, es in der Hand eines Reiters aber Speer nennen…
Es ist also kompliziert.
Ich schließe mich dem Lager an, dass alles zwischen etwa 150cm und 250cm als Speer bezeichnet. Die Bezeichnung Langspeer ist dabei eher nutzlos, wenn man daraus irgendwas bezüglich der Verwendung ableiten will, speziell in der Frage der Händigkeit. Wie lang ein Speer ist, spielt kaum eine Rolle für die Frage, mit wie vielen Händen er geführt wird aufgrund des Umstands WIE ein Speer ein- oder beidhändig geführt wird. Es ist egal wie lang der Speer ist, wenn man ihn einhändig führt, weil man ihn dann nahe der Mitte greift und die vermeintliche Überlänge als Gegengewicht zu einer nun vorteilhaften Vergrößerung der Gefahrenzone führt. Relevant wird das wieder, wenn mehrere Menschen eng zusammengedrängt kämpfen und der Speerkämpfer keinen Raum nach hinten hat.
Ich empfehle daher
Speer als Hauptbezeichnung und wenn man es genauer will
Spieß bei der Infanterie,
Lanze bei der Kavallerie und Javelin wenn er vor allem dazu gedacht ist, geworfen zu werden. Keine dieser Kategorien liefert aber irgendwelche qualifizierenden Merkmale. Das kann in allen fällen exakt die gleiche Waffe sein. Nein, es gibt keine Kriterien, die ein Speer erfüllen muss, um ein Spieß zu sein. Und nein, es gibt auch keine Kriterien, die er erfüllen muss, um eine Lanze zu sein. Manche Faktoren verbessern die Eignung, aber historisch finden sich Belege für nahezu jede Form in nahezu jeder Verwendung und Rolle.
Speere als Waffe sind zusätzlich kompliziert. Da sind wir direkt bei einem der schwierigsten Teile des Speerkampfes, insbesondere in Bezug auf Rollenspiele, denn die meisten Rollenspiele mit simulationistischen Bestrebungen versagen kläglich an der wichtigsten Frage der Simulation von Kampf überhaupt: Was ist eine Waffe, wo fängt sie an und wo hört sie auf? Und während das bei einem Speer wie eine Frage aussieht, die man mit einem Rollmaß beantworten kann: Weit gefehlt! Ein Speer für sich allein ist keine Kriegswaffe, sondern nur ein Werkzeug, dass sich im Kampf nutzen lässt. Zur Waffe wird er durch den Zweck, zu dem er geführt wird, die Art in der er geführt wird und den Kontext, in dem er geführt wird. Das beinhaltet Rüstung, denn Rüstungen, aka. Schutzwaffen, stehen genauso wenig für sich, wie es die Offensivwaffen tun. Der Speer in der Hand, der Helm auf dem Kopf, die Rüstung am Leib und potentiell der Schild in der anderen Hand, sind Teil eines Waffensystems. Ob dieses Waffensystem funktioniert, wie es funktioniert und gegen was, das hängt von seinen Einzelteilen und deren Zusammenwirken ab. Einfach nur ein Speer ist keine Kriegswaffe. Selbst die Kriegsführung von Shaka Zulu war komplexer als das.
Einen Schritt weiter sind wir bei der Frage, ob der Speer eine
gute Waffe war, bzw. ist.
War das römische Kurzschwert beispielsweise ein gutes Schwert? Nein. Absolut nicht. Für sich allein war das ein ziemlich lausiges Schwert, beziehungsweise ein riesiger Dolch. Aber war es eine gute Hauptwaffe in Kombination mit dem kompletten Set an Zusatzausrüstung im Kontext seiner Anwendung und innerhalb der römischen Militärdoktrin zum Aufstreben und Höhepunkt des römischen Reiches? Ja! Es war nahezu die perfekte Waffe. Und gleichzeitig war das gesamte restliche System darauf ausgelegt genau diese Waffe zu kontern. Die Kettenhemden mit den doppelt verstärkten Schultern und kurzen Ärmeln, die riesigen Schilde, die Helme mit der Krempe die Nackenstiche erschweren sollte. Rom war da wie die moderne US Army: Ausgerüstet um gegen ihr Pendant zu kämpfen (US Army vs. Rote Arme) und damit natürlich auch imstande auf weit unterlegene Gegner zu schießen (Apache mit Hellfire Rakete vs. Toyota Pickup mit wütenden Typen und Kalashnikows). Wenn wir römische Legionen gegen etwas anderes als andere römische Legionen kämpfen sehen (haben wir eine Zeitmaschine und) beobachten wir den Kampf einer überlegenen Militärmaschinerie mit einem hochkomplexen Waffensystem, im Kampf gegen einen in diesen Aspekten deutlich unterlegenen Gegner. Mit der Waffe in der Hand der Kämpfenden hat das nichts zu tun. Ich erwähne das, weil gerade das römische Reich Laien und Amateure ungemein irritiert. Die denken sich dann, dass da ja ganz klar das Schwert dem Speer vorgezogen wurde. Damit zeigen sie nur, dass sie von der ganzen Thematik nichts verstehen. Die Römer haben nicht den Speer abgelegt und das Schwert ergriffen. Sie haben das Konzept schlecht organisierter Gelegenheitskämpfer mit minimaler Ausstattung ersetzt durch das einer extrem professionellen Berufsarmee mit einem fein abgestimmten Waffensystem, dem der Speer nur dann fehlte, wenn es gegen eine gleichartige Armee eingesetzt würde. Da dies aber nicht der Zweck der römischen Legionen war, stellte das kein Problem dar. Bis es das schließlich wieder tat, denn mit dem Zusammenbruch des römischen Militärwesens -> Zack! -> waren Speere wieder überall. Von Rom abgesehen gab es eine derartige Verdrängung des Speers von den Schlachtfeldern der Welt nirgendwo sonst.
Davon abgesehen ist es dem Speer grundsätzlich ähnlich wie mit dem römischen Kurzschwert. Wie lang oder kurz ein Speer ist, welche Zusatzelemente er hat, das hängt direkt davon ab in welchem Kontext er benutzt wird. Parierhaken, wie beim Flügelspeer, sind nahezu sinnlos, wenn ein Speer vor allem einhändig geführt wird. Man zieht kaum Nutzen aus ihnen, bei einhändiger Führung. Um den Speer aber zweihändig effektiv führen zu können und folglich auf den Schutz eines großen Schildes zu verzichten, braucht man eine adäquate Schutzwaffe, die imstande ist den Verlust des Schildes angemessen auszugleichen. Gleichzeitig können aber Kämpfer in einem Kontext, in dem es keine guten Schutzwaffen neben dem Schild gibt, durchaus davon profitieren, einen längeren, schwereren Speer mit Parierflügeln beidhändig zu führen, auch in direktem Wettstreit mit Gegnern, die einhändige Speere mit großen Schilden führen. Der Zugewinn an Kontrolle, Reichweite und Kraft, den man dann mit dem längeren Speer hat, kann in den Händen eines fähigen Kämpfers den Nachteil des fehlenden Schutzes ausgleichen, denn Angriff, bzw. Gefahrenzonenkontrolle als aktive Defensive, kann in vielen Fällen genauso gut sein, wie eine passive Defensive.
Fast alle simulationistischen Rollenspiele separieren aber sehr stark und wollen der Waffe allein für sich Eigenschaften zuweisen, die sie in dieser Form gar nicht hat. Besonders Schilde und Rüstungen werden in diesem Zusammenhang überwiegend falsch verstanden, passiv und für sich gestellt verwendet.
Was der Speer letztlich taugt, hängt vom Kontext ab. Für sich allein aber ist er bereits eine exzellente Waffe. Ein Speerkämpfer, der 1-2 Stunden Einweisung und Übung hat, kann sich 1 gegen 1 mit einem Schwertkämpfer messen, der bereits seit Monaten Schwertkampf trainiert. Der Speer ist sehr leicht zu erlernen, extrem gefährlich und sehr unberechenbar. Anders als ein Schwert kann ein Speer blitzschnell den Angriffsvektor ändern und von einer Bedrohung der Beine einen Stich zum Kopf führen. Die vermeintliche Zerbrechlichkeit eines Speers ist im Kampf 1 gegen 1 praktisch kaum gegeben. Die meisten Schwert-, Axt- oder Streitkolbenkämpfer leben nicht lange genug, um den Speer kaputt zu machen.
Komplizierter wird es aber, sobald Schilde ins Spiel kommen. Aber auch da ist der Speer erst einmal dem Schwert überlegen, wenn beide Kämpfer gleichartig kompetent sind. Das lässt sich schon allein dadurch sehr gut belegen, dass es die meisten Berufskämpfer quer durch die Geschichte ihr Schwert (oder andere Handwaffen) erst zogen, wenn ihr Speer weg oder kaputt war. Das Schwert ist toll im Alltag, weil es sehr effektiv ist für etwas, dass man immer bei sich tragen kann. Im Kampf aber spielte es immer die zweite Geige.
Wenn der Speer als persönliche Nahkampfwaffe so überlegen wäre wäre er vermutlich etwas länger dominant geblieben.
Das ist ein wenig extrem romanozentrisch gedacht. Es stimmt ja noch nicht einmal für die gesamte Zeit des römischen Reiches, geschweige denn global. Während die Römer für das Äquivalent eines historischen Herzschlags kurzzeitig mal vom Speer als Hauptwaffe abkamen und ein anderes sehr umfangreiches Waffensystem nutzten, blieben alle anderen beim Speer und auch die Nachfolge-Fraktionen des römischen Reiches kehrten bis zur Ausreifung der Muskete zum Speer zurück und substituierten die Schusswaffen dann mit Speeren und Pseudospeeren, bis die Feuerrate der Schusswaffen sich deutlich steigerte und der Speer schlussendlich global als Hauptwaffe verschwand.
Es ist schon etwas seltsam einer Waffe ihre Dominanz durch die gesamte Geschichte unserer Spezies abzusprechen, beginnend noch ehe wir Homo Sapiens waren bis in den Ersten Weltkrieg hinein, nur weil die Römer eine Zeitlang einen Kurzschwertfetisch hatten.
Nein. Wie ich schon weiter oben im Threads dargelegt habe, unterscheidet sich eine Lanze - ich meine eine richtige Kriegslanze, kein Prop für Turnier-Schaukämpfe - vom Speer dadurch, dass das Blatt mit Flügeln oder Knebeln ausgestattet ist, um zu gewährleisten dass man das Ding wieder aus dem Ziel rausgezogen bekommt.
Darf ich mal fragen, wo du deine sehr spezifische Vorstellung von der "Lanze, der richtigen Kriegslanze" her hast? Die Idee, dass eine Lanze Flügel oder Knebel hätte und das dies in irgendeiner Weise ein qualifizierbares Merkmal wäre, halte ich für etwas seltsam. Die Briten haben das bei einem mir bekannten Lanzenmodell so gemacht in der ausgehenden Viktorianischen Zeit. Ein paar wenige indo-persische Lanzen und Spieße sind so gestaltet. Das war es im großen und ganzen dann aber auch schon, von Einzelfallausnahmen abgesehen. Im Allgemeinen hatten Reiterlanzen keine Vorrichtungen, um die Eindringtiefe zu begrenzen. Unter anderem, weil die meisten Lanzen ohnehin nicht mehr als einen Vollkontakttreffer überstanden. Berittene Krieger hatten, wenn sie Teil einer funktionierenden Militärlogistik waren, daher immer mehrere Lanzen auf Lager. Zeitweise gab es Spezialisten, deren alleinige Aufgabe es war, den kämpfenden Truppen neue Lanzen im Kampf zukommen zu lassen. Das gleiche galt für Pferde, die ja im Krieg auch oft ein Wegwerfartikel waren.