Das ist eine Sache, die ich für mich selbst noch nicht abschließend beantworten kann und die mich sehr interessiert. Macht es für das Balancing und Nischenschutz einen Unterschied, ob bestimmte Charaktere in der Gruppe tatsächlich vorhanden sind? Oder gibt es auch einen "theoretischen" Nischenschutz gegenüber nur potentiell existierenden Charakteren? Letzteres ist wichtig, wenn man mit demselben Charakter in verschiedenen Runden spielen möchte, etwa auf Cons oder in Spontanrunden auf der Drachenzwinge etc. Da ist eine verbindliche Grundlage wichtig, auf die man sich berufen kann. In der eigenen Gruppe gilt das nicht, da trifft man im Grunde ja eine Aussage: Wie wollen wir miteinander spielen? Dass ein Spiel zufällig by the book perfekt für die eigene Gruppe ist, halte ich für sehr unwahrscheinlich.
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Der theoretische Nischenschutz ist dann wichtig, wenn er tatsächlich zu einer größeren annähernd gleichberechtigten Auswahl an "Pseudoklassen"* führt. Wenn also nicht aus Angst vor Nischenwilderei oder mangelndem Spotlight Spieler sich dazu genötigt sehen, doch nur immer wieder die gleichen Klassiker zu spielen**.
Doch da muss man vorsichtig sein: Ein zu starker Nischenschutz führt schnell dazu, dass sich viele Spieler bei manchen Klassen zu stark eingeengt sehen, weil sie sich in der Nische unwohl führen, weil wichtige subjektive Elemente fehlen.***
Der "nicht Heilzauber könnende Magier" bei AD&D2nd war so ein Beispiel für mich.
(* auch in klassenlosen oder Freibausystemen hat man ja ein Konzept oder gar Klischee im Kopf. Annahme "Ich will Feuerwehrmann spielen" und mein Nachbar spielt einen Straßencyborg, der nicht nur feuerresistenter, sondern auch ausdauernder ist - ein besserer Kämpfer sowieso -, dann wäre der Nischenschutz bedroht, ganz gleich ob es feste Klassen gibt oder nur individuelle Konzepte)
** Ich habe auch gar kein Problem mit Spielern, die IMMER NUR einen Elfen spielen. Nicht einmal dann, wenn sie einen "zaubernden Jäger" spielen wollen. Wenn sie aber an sich nen Jäger/Moha/whatever spielen wollen, der aber selbst im zentralen Bereich "Jagen" gegen den Elfen abstinkt, geht was schief.
Für (Zauber-)Barden gilt dies ebenfalls.
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In meinen Augen ist auch nicht die Nische so wichtig, sondern das Spotlight.
Habe ich meine 5 Minuten Ruhm am Abend?
Auf Kosten eines anderen Spielers?
Oder ist es gar eine Win/win-Situation? (Ein Spotlight führt zu Spotlight bei jemand anderem; Gegenseitiges Zuspielen)
Auf Cons wiederum oder allgemein in neuen Runden ist die Nische auch nur dann wichtig,
wenn das Abenteuer oder der Spielleiter bestimmte Nischen besetzt sehen will.
Ansonsten gilt auch da das oben gesagte.
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***Warum ich das Magiesystem .... nein, eher die Traditionen und ihre streng zugeordneten Rituale... so bashe, liegt gerade nicht daran, dass ich eine eierlegende Wollmilchsau haben will.
Im Gegenteil: Ich bin begeistert von der Zurechtstutzung der Magierschaft
Ich denke nur, dass es dieser strengen Trennung nicht bedürfte, wenn die einzelnen Fähigkeiten gebalanced sind.
DANN hat jeder sein Spotlight, ganz gleich ob er ein eher klassisches Konzept hat, dass sich an "klassische Klassen" anlehnt, einen tendenziellen Allrounder oder einen Hybridcharakter.
Und DANN braucht es auch keinen Nischenschutz regelseitig.****
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Und in besonderen Kampagnen spricht sich der SL eh mit der Gruppe ab, was für Charaktere er gebrauchen kann und welche nicht und welche Fähigkeiten gar nicht gehen.
WENN er aber beispielsweise gar keine fliegenden Charaktere gebrauchen kann, ist es auch unerheblich, ob es theoretisch eine fliegende Hexe ("Die dürfen das aber! Siehe Seite XY"), ein fliegender Magier ("Habe ich an 1001 Nacht angelehnt") oder ein fliegender Zwerg ("oh, ich dachte Steampunk, sorry...") wäre.