Und weiter geht's mit der Zockanleitung.
In diesem Beitrag kommen wir nun endlich dazu, wie man sich die HârnWorld erzocken kann. Dazu möchte ich gerne mehrere Möglichkeiten vorstellen, die meines Erachtens einen guten Einstieg in das Setting bieten. Wie immer gilt, take everything with a grain of salt.
VORGEFERTIGTE ABENTEUER
Wer mit HârnMaster spielt, der hat eine gar nicht so kleine Auswahl an vorgefertigten Abenteuern. Zwar gibt es wenige offizielle Abenteuermodule, aber dafür eine relativ große Anzahl von sogenannten "Fanon" (HârnSpeak für inofzielles Fanmaterial) Szenarien, die ihr euch auf Lythia.com kostenlos downloaden könnt. Mit "Web of Widows" gab es vor über 20 Jahren sogar ein d20-Abenteuer und mittlerweile sind in den letzten Jahren auch Einstiegsabenteuer erschienen (Field of Daisies, Dead Weight).
Abweichend zu den meisten Abenteuerempfehlungen für HârnWorld möchte ich hier aber eine Warnung raushauen: Viele der angepriesenen Abenteuer sind Murder-Mysteries. Und ich hasse Murder-Mysteries. Das trifft leider auch auf das eigentlich fabelhafte "Dead of Winter" (ursprünglich eine deutsche Eigenproduktion) zu. Und auch auf das oft empfohlene "Shower of Silver" sowie das jüngst erschienene "On the Edge". Sogar im ersten Hârn-Abenteuer überhaupt ("100 Bushels of Rye") muss man im Prinzip eine Mordserie aufklären (auch wenn es hier weniger problematisch ist, mehr dazu siehe weiter unten). Das macht mich einfach fertig, weil Detektiv spielen 1) mMn überhaupt nicht funktioniert im Rollenspiel und 2) HârnMaster und HârnWorld hier nicht ihre Stärken ausspielen können. Man sieht das ja wunderbar bei so Spielen wie Cthulhu, wo die Regeln nettes Beiwerk sind und nicht essentiell für das Spielgeschehen. Wenn ich Krimigeschichten spielen will, dann mache ich ein Krimidinner mit Muggeln, die keinen Bock auf echtes Rollenspiel haben. In der HârnWorld will ich aber Abenteuer erleben und die große Sandbox von Hârn bespielen, nicht Kammerspiel am Hofe betreiben.
Apropos Kammerspiel. Genauso oft genannt wie "Shower of Silver" wird auf Lythia.com auch "Earl's Progress". Das ist im Endeffekt eine große Reise durch Kaldor (sowas wie das "Startkönigreich" von Hârn) mit dem Grafen von Minarsas. Der Hintegrund ist, dass der Graf eigentlich nie reist und nun ganz überraschend mit seinem ganzen Hof zum alljährlichen Turnier in Olokand am anderen Rand des Königreichs aufbricht. Auf dem Weg dahin und auf der Rückreise kann man dann die ganzen Orte, zu denen es ja größtenteils offizielle Module gibt, besuchen und sogar offizielle Abenteuer einbinden. Von der Idee her wirklich brilliant. Aber trotzdem rate ich stark ab: 1) Ist der zentrale Plot schon wieder ein fucking Murder-Mystery (kann hier nicht mehr schreiben wegen Spoilergefahr) und 2) ist die Reise eigentlich nur eine mittelalterfarben bestrichene Eisenbahn, mit der man durch Kaldor tuckert, ohne dass man Einfluss auf das Geschehen nehmen kann. Die Reiseroute ist vorgeschrieben, Abweichungen nicht möglich. Auch die "Abenteuer-Hooks" für die einzelnen Stationen sind super tief gestappelt. Ich gebe hier mal einige Auszüge wider, die stellvertretend für die Mehrheit der "Hooks" stehen:
"The Earl decides to ride ahead of the slow moving caravan to take in a little sport. He invites several nobles to accompany him. The Chamberlain quickly assigns several servants to assist the falconer."
"The Sheriff’s wife, Lady Elana (nee Verdreth), approaches a noble PC with a sealed letter to her father, the Baron of Ternua. She asks the PC to deliver it in person. Contents are up to the GM."
The hosts (in this case, Lady Thilisa and Sir Meathgir) are expected to ensure the safety of their guests. However, there are too many guests for the Qualdris guard to watch to Sir Kobar’s satisfaction. Fearing a possible assassination attempt (especially if something happened during the hunt at Zoben), Sir Kobar instructs the members of the entourage (nobles and servants alike) to be extremely vigilant. However, they must take great care not to insult Lady Thilisa by implying she is incapable of controlling her own castle. This should be a dicey proposition for the PCs, who may be tasked with ascertaining the veracity of suspected threats."
WTF!?! Wie kackelangweilig ist das denn bitte? Da reitet man durch ein Fantasy-Königreich, an dessen Grenzen wilde Barbarenvölker und Gargun(Ork-)Schwärme lauern und dann soll ich ausspielen, wie ich Briefe überbringe und dabei keinen diplomatischen Faupax produziere, wenn ich bei der protokollarischen Rangfolge den Mundschenk des Schwippschwagers der Baronentochter übergehe und stattdessen zuerst den Oberstallmeister begrüße? Da schlafen mir die Füße ein. Bei HârnMaster gibt es für diesen Irrsinn nicht einmal einen Skill.
Zusammenfassend entstand für mich der Eindruck, dass ca. 50 Prozent der Abenteuer Krimiabenteuer und der Rest railroadige Hol-und-Bring-Quests waren mit einem extrem großen Anteil an Flufftexten, die sich keine Sau merken kann. Für manche mag das der Kern von HârnWorld und HârnMaster sein. Für mich ist das langweilig. Da kann ich ja gleich DSA in den Mittelreichen spielen. Ich möchte stattdessen für einen Einstieg in HârnWorld plädieren, der die Sandboxartigkeit der Welt nutzt und wo auch mal gewürfelt und vielleicht - oh Schreck! - sogar mal gekämpft und gestorben werden muss.
VORSCHLAG 1: KALDOR (DER KLASSIKER)
Mit Abstand am besten eignet sich für den Einstieg in die HârnWorld sicher das Königreich Kaldor. Es ist sowas wie das pseudomittelalterliche Default-Königreich von Hârn und damit am zugänglichsten. Wie zu jedem Königreich bzw. Region von Hârn gibt es zu Kaldor eine Überblickspublikation und dann Module zu den einzelnen Grafschaften/Baronien/Herrschaftssitzen. Eine kleine Überblick gibt es hier:
https://columbiagames.com/harnworld/choose-a-kingdom/kaldor/Kaldor ist von allen Regionen am dichtesten beschrieben. Das ist natürlich Fluch und Segen zugleich, weil man einerseits viel Material hat, aber andererseits viel Material braucht, wenn man sich an den Fluff halten will.
Ich empfehle daher, erstmal in einem Teil von Kaldor zu starten. Am besten bietet sich hier der Nordosten von Kaldor an, nämlich Olokand, der Herrschaftssitz des Clans Elendsa, der zur Zeit den König von Kaldor stellt. Hier spielt auch das Abenteuer "100 Bushels of Rye", das ich als Einsteigerabenteuer (wie andere Poster hier im Tanelorn auch) empfehle. Im Folgenden möchte ich kurz erläutern, wie man hier eine sandboxesque Kampagne starten kann.
1) Die Gruppe
Charaktere werden bei Hârn prinzipiell nach dem Zufallsprinzip erstellt. Trotzdem macht es Sinn, sich zu überlegen, wie die Charaktere zu einer Gruppe werden. Hierzu braucht es in der Regel einen Aufhänger. Das bietet das Abenteuer in Form des alljährlichen königlichen Turniers in Olokand, wo das Abenteuer seinen Ausgang nimmt. Die Charaktere könnten entweder alle automatisch dem sozialen Stand des Adels angehören (und spielen, sofern möglich Ritter oder Höflinge) oder die Charaktere gehören unterschiedlichen sozialen Schichten an und sind z.B. das Gefolge eines adligen Charakters. Wichtig ist hierbei zu bedenken, dass HârnWorld soziale Unterschiede ernst nimmt. D.h., wenn man einen Dieb aus der Gosse spielt, so darf dieser natürlich nicht mit an der Tafel eines Barons sitzen. Dies führt dazu, dass nicht-adlige Charaktere von adligen Tischgesprächen ausgeschlossen sind. Umgekehrt können sich Ritter und adlige Damen nicht gemeinsam mit dem Ziegenhirten in der Taverne besaufen. Das sollte man vor Spielbeginn bedenken. Ich würde dieses "Problem" so lösen, dass man zunächst die Werte der Charaktere bestimmt und dann danach einen gemeinsamen Background ausarbeitet bzw. im Falle von unterschiedlichen Charakteren allen den gleichen sozialen Stand zuweist. Dier Berufswahl liegt sowieso beim Spieler, daher ist das Vorgehen bei HârnMaster RAW. Bei anderen Systemen ist es möglicherweise eh kein Problem.
2) Die Location
Das Abenteuer beginnt wie bereits beim königlichen Turnier von Olokand. Der Spielleiter kann sich hierbei zunächst über das übergeordnete Königreich informieren. Dabei liest man das Modul nicht von Anfang bis Ende, sondern zieht nur die Seiten heran, die sich mit dem jeweiligen Ort oder mit damit zusammenhängenden Personen beschäftigen. Wenn ich da nur kurz reinschmökere, dann steht da in einem Nebensatz bespielsweise, dass der herrschende König Miginath keine legitimen Nachfolger (aber dafür ein paar Bastardsöhne hat) und dass (das steht da nicht direkt) ein Erbfolgekrieg droht. Und just einer dieser Bastarde, das entnehme ich der einen (!) Seite zu Olokand im Modul, ist quasi der "Statthalter" des Königs in Olokand, Sheriff Maladan Harabor. Er hat natürlich Ambitionen auf den Thron und ist passend dazu skrupellos. Wenn wir uns das Olokand-Modul besorgen, erfahren wir noch mehr über ihn und seine Familie (z.B. ist sein Sohn ein typischer böser Adliger). Außerdem wird erwähnt, dass sich in der Umgebung von Olokand viele Flüchtlinge aus dem nördlichen Orbaal aufhalten, die dort seit der Invasion der "Wikinger" hierher geflohen sind. Im Olokand-Modul gibt es außerdem eine Beschreibung des könglichen Turniers mit einem kleinen Abenteuer-Szenario.
(to be continued...)