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Klaus Böldl - Odin - Der dunkle Gott und seine GeschichteDer Untertitel - bei deutschen Büchern ja längst nicht gang und gäbe - ist auffallend passend, gerade wenn man sich Odin aus einer konstruktivistischen Perspekte nähert. Und damit sind wir auch sofort bei der großen Stärke des Buches, da Klaus Böldl meines Erachtens glaubhaft die Gestalt Odin aufspannt in ihren großen Interpretationsspielräumen; und damit wird dieses Werk zu einem rezeptionsgeschichtlichen Werk, nämlich der Frage nachgehend, was könnten wir tatsächlich über Odin wissen oder inwieweit wird der Odin, den wir rezipieren, immer wieder neu erschaffen oder überformt.
Böldl gibt sich viel Mühe, schon früh herauszuarbeiten, dass schon die ältesten, historischen Spuren überformt sind, egal ob wir bei der Mercurius-Beschreibung des Tacitus beginnen, uns der Edda und anderen Sagas nähern oder direkt in die verzerrende Rezeptionsgeschichte gehen, die Odin für allerlei, auch teils politische oder ideologische Verklärungen in Anspruch nehmen wollte, wie bspw. das SS-Ahnenerbe.
Er betont, dass selbst die wenigen archäologischen Spuren immer stark interpretationsbedürftig sind. Insofern erscheint es wenig verwunderlich, dass es gar nicht so einen richtig fassbaren Odin zu geben scheint, und dass er viele Rollen annehmen kann. Etwas, was zu der angenommenen Gestaltwandelfähigkeit passt.
Das alles arbeitet Klaus Böldl sehr gelehrt und prägnant aus, sodass die Beschäftigung mit dem Buch meine Erachtens lohnend ist.
Zur Kritik gehört allerdings auch, dass eine gewisse Vorkenntnis über die Thematik notwendig ist, um Teile von Böldls feinsinnigeren Einlassungen zu verstehen.
Schade fand ich zudem, dass die Einlassungen zur modernen Rezeption sehr kurz ausfallen, sich mehr oder minder auf die Metal- oder die Rechtsextremismusszene beziehen.
Hier hätte ein breiteres, tieferes Herangehen Früchte tragen können; nämlich hätte die Frage gestellt werden können, wie Odin (und eben die ganzen nordischen Mythen) auch modern und ab vom Rechtsdiskurs rezeptiert werden kann. Dass die nordische Götterwelt bspw. sehr prominent in der Videospielszene angekommen ist (Beispiele sind Assassin's Creed: Valhalla oder auch God of War: Ragnarök) steht außer Frage. Dass es ganze Bands im Musikbereich gibt, die sich dem Phänomen fast ganzheitlich nähern (Beispiele: Amon Amarth oder lyrisch vielleicht sogar noch wertvoller: Skálmöld aus Island), spricht auch dafür. Zuletzt spielt - wenn auch nur angelehnt - die nordische Mythologie auch eine gewisse Rolle in der Mittelalterlager-Szene, und auch da erkennbar abseits von rechtsradikalen Strömungen.
Gerade mit der Frage, wie sich die Deutung Odins bspw. noch ändern kann zukünftig, wäre dies spannend gewesen.
Es ändert nichts daran, dass es ein gut lesbares Buch zum dunklen Gott Odin ist.
7,5 von 10 Punkten